Freiheit, Leidenschaft, Mut und Liebe! Große Gefühle tragen den Filmklassiker Dirty Dancing aus dem Jahr 1987. Die Geschichte geht in der Musical-Adaption von Federico Bellone erneut auf Tour und macht vom 7. März bis zum 26. März 2023 im Deutschen Theater in München Halt. Der Abend ist in allen seinen Facetten ein gelungenes Gesamtkunstwerk! Tanz, Gesang und Schauspiel, doch auch das Bühnenbild, Dialoge und die Art, wie die bekannte Handlung neu erzählt wird, fügen sich zusammen zu einem herausragenden Bühnenerfolg. Nicht umsonst tourt die Produktion bereits das zweite Mal in fünf Jahren durch Deutschland, wie KiM bereits berichtete.
Das Musical ist ein großartiges Beispiel dafür, dass die Inszenierung eines weltbekannten Stoffes live auf der Bühne den Fans ein Erlebnis bieten kann, das die Filmvorlage noch toppt. Warum das nicht selbstverständlich ist? Gerade bei bekannten Stücken, mit Songs, die man aus dem Radio, aus dem Club oder zahlreichen Remakes kennt, werden die Bühnenadaptionen dem großen Erbe der Vorlage oft nicht gerecht. Musicals, in denen man aufgrund der Songs und der ikonischen Momente einen Abend erwartet, der die Leute vom Hocker reißt, können diese Erwartung nicht immer erfüllen. Dirty Dancing schafft genau das.
Doch was möchte jemand sehen, der sich die Musical-Version eines Kultfilmes anschaut? Natürlich die lustigen, sinnlichen, schlicht: die Kultmomente! Damit kann der Abend auf jeden Fall dienen. Das Publikum liebt es! In der Szene, in der Jonny sinnlich über Babys Arm streift, kichert das Publikum schon, bevor es Baby tut. Die Wassermelone wird mit Spannung erwartet und Jonnys Bekenntnis, sein Baby gehöre zu ihm, wird mit lautem Johlen unterstützt.
Natürlich steht der Tanz im Zentrum des Abends! Choreograf Austin Wilks leistet hier ganze Arbeit. Dass nach Erscheinen des Filmes die jungen Paare in Scharen in die Tanzstudios rannten, um den leidenschaftlichen Mambo zu lernen, ist nach diesem Musical nur zu verständlich. In den sinnlichen Szenen zwischen Jonny und Baby herrscht eine große Intimität. Kurz darauf sorgen die Massenszenen im ‚Miller‘, wo sich nur die Tanzlehrer treffen, wieder für Spaß und Partystimmung. Das Bühnenbild (ebenfalls von Federico Bellone) ist dabei zugleich zurückhaltend und sehr vielfältig. Mit nur wenigen Elementen erschafft er, wahlweise den Dinnersaal des Kellermann-Ferienclubs, den Mitarbeiterbereich mit Club ‚Miller‘ oder den Bungalow der Familie Houseman. Genau das ist die Magie des Theaters: mit wenigen symbolischen Mitteln die Fantasie des Publikums so anregen, dass es sich ganz bereitwillig in eine andere Zeit, eine andere Welt versetzen lässt.
Wenn gleich Dirty Dancing eine Tanzromanze ist, erschaffen Bente Mulan Nanayakkara und Benedikt Ivo mit ausgewählten live gesungenen Stücken wie ‚We Shall Overcome‚ oder ‚The Time Of My Life‚ besondere Augenblicke. Ein Lieblingsmoment des Publikums am Premierenabend auch: ‚Lisa’s Hula‚. Dieser sorgt für zahlreiche Lacher und übertrifft mit seiner Komik die Szene im Film. Hier beweist Alex Balga, Regisseur der deutschen Tour, ein sehr gutes Gespür dafür, wann Übersetzungen angebracht sind und wann nicht. Vielen deutsch Musicaladaptionen sorgen mit deutschen Übersetzungen von Klassikern für Cringe-Momente. Doch nicht bei Dirty Dancing! Die Dialoge im Stück sind alle auf deutsch. Bei den Songs wird auf den Einzelfall geschaut, so ist ‚Lisa’s Hula‚, ins Deutsche übersetzt, weil so die Albernheit des Liedes noch deutlicher wird, ebenso wie ‚Kellerman’s Anthem‚, die Hymne auf den Ferien Club. Die weltbekannten Titel wie ‚Hey! Baby‚ oder ‚She’s Like The Wind‚ werden dankenswerterweise in Originalsprache belassen.
Besonders beeindruckend: Die Produktion geht sogar über die im Film bekannten Dimensionen hinaus!
Dass die Akademikerfamilie über Vietnamkrieg und Dominotheorie diskutiert, dient im Original als Mittel, die Hotelgäste von den Tänzern abzugrenzen. Im Musical wird jedoch viel deutlicher auf die Zeit eingegangen, in der die Geschichte spielt. Es ist eine Zeit, in der die privilegierten Weißen sich entscheiden können und müssen, ob sie sich für die von Martin Luther King geforderte Gleichberechtigung interessieren, ob sie sich gegen den Krieg stark machen möchten, wie Baby oder ob sie, wie Lisa, darüber grübeln, welches Kleid sie zur Hochzeit tragen.
Durch einige Szenen, die im Film nicht vorkommen, erhält dieser Aspekt der Handlung zusätzliche Tiefe.
So hören sich die Hotelgäste gemeinsam die Rede ‚I have a Dream‘ im Radio an. An einer anderen Stelle fordert Baby Jonny heraus, für seine Ideale einzutreten, weil es dabei um mehr gehe, als nur um die eigene Haut, nämlich darum, gleiche Rechte für alle einzufordern. Und auch die Frage, ob Vater Jake die Beziehung seiner Tochter zu dem scheinbar daher gelaufenen Tänzer billigt, wird zu einer Frage moralischer Überzeugungen. Als Baby ihrem Vater vorwirft ‚Du hast mir gesagt, dass alle Menschen gleich sind, aber Du meintest nur die, die sind wie Du!‘ Gerade solche tiefgreifenden Themen können an einem Abend, der auch von Liebe und Leidenschaft strotzt, schnell unpassend und gezwungen wirken. Federico Bellone schafft es allerdings, diese unterschiedlichen Facetten der Geschichte harmonisch und sehr glaubhaft zu verbinden.
Das große Finale mit der weltbekannten Hebefigur wird vom Publikum noch einmal besonders gefeiert und nach zwei Stunden und 20 Minuten fällt der Vorhang. Ein glanzvoller Abend für Filmfans, Musicalfans und Tanzbegeisterte gleichermaßen ein absolutes Muss! Einziger kleiner Wermutstropfen: Die Darsteller huschen oft durch die Dialoge. Das ist für den Zuschauer nicht dramatisch, da die ohnehin bekannte Handlung dennoch gut nachvollziehbar bleibt. Doch kommen viele kleine Momente, die für die Dynamik zwischen den Figuren einen Unterschied machen, etwas zu kurz. Der Moment, an dem Jonny Baby erklärt, die alten reichen Frauen würden ihn benutzen und nicht andersherum, oder der Moment, in dem Lisa sagt, sie würde Baby die Haare machen und dann sagt, es sei doch nicht nötig, weil Baby so wie ist, schön sei. Um diese kleinen Momente ist es etwas schade. Das Strahlen des Gesamtkunstwerkes kann davon jedoch nicht getrübt werden. Herzliche Empfehlung!
KARTEN gibt es HIER!
Bericht: Jana Taendler