So blutleer? – „Die Tragödie des MacBeth“ im Volkstheater (Kritik)

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‚Das war ja ganz anders als im Buch!‘, sagen die einen, nach einem Theaterabend, bei dem sich das Ensemble der Textvorlage in eigener Herangehensweise widmet. ‚Wenn ich das eins zu eins sehen will, schaue ich mir eine Verfilmung mit 100% Texttreue an und gehe nicht ins Theater!‘, heißt es, wenn man sich strikt an das Drama hält. Philipp Arnold schafft es in ‚Die Tragödie des Macbeth‘ beide so widersprüchlichen Positionen zu vereinen. Diese feierte am 28. Mai 2021 am Münchner Volkstheater Premiere. In knapp zwei Stunden hält er sich zwar nahe an Shakespeare, zeigt dem Publikum aber zugleich die Tragödie hinter der Tragödie: den wachsenden Wahnsinn, die auf Aberglaube beruhenden Zwänge, die überhaupt erst zur unausweichlichen Katastrophe hinführt.

© Gabriela Neeb

Nach der Schlacht ist bei Shakespeare vor der Schlacht, denn als Macbeth (Jakob Immervoll) und sein Gefährte Banquo (Henriette Nagel) heimreisen, sagen ihnen die Schicksalsschwestern großes Voraus: Beförderung bis zum König für Macbeth, die Krone für die Kinder Banquos. Damit nimmt das Unglück seinen Lauf. Denn dadurch, dass zwei von drei Sprüchen eintreten, kommt die Lady (Anne Stein) auf den Trichter, man müsste dem Schicksal jetzt mal nachhelfen. So ist es nur naheliegend, dass sich in einer späteren Szene des aufkommenden Wahnsinns eine Figur, die den Schicksalsschwestern nicht unähnlich sieht, den Text mit Immervoll teilt. Hier wird das so textnah umgesetzte Stück doch alltagsrelevant. Was ist denn Realität? Was ist Schicksal? Kann ich mir nicht meine eigenen Tatsachen schaffen? Kann ich nicht mit einer Bombendrohung ein Flugzeug landen lassen, nur um einen Systemkritiker da heraus zu bekommen? Kann ich den König nicht einfach umbringen, um selbst König zu werden?

Diese Themen werden nicht offen ausgesprochen. Da muss der Zuschauer selbst drauf kommen. Dafür bekommt er auch die Zeit, denn statt überdrehtem Gebrüll und postdramatischer Unendlichkeitsschleife einer Szene verlässt sich Arnold auf das schauspielerische Können seines jungen Ensembles. Dass Crossgender-Besetzungen ebenso klappen wie die Inszenierung auf Abstand beweist Henriette Nagel. Sie schafft es, die Vielfalt dieser Figur auf dem Punkt zu bringen. Schließlich ist Banquo einerseits eingeweiht über die Prophezeiung, hofft, dass sich auch der seine Söhne betreffende Spruch erfüllt und zugleich enger Freund von Macbeth, andererseits muss er ahnen, wer König Duncan umgebracht hat. Es gelingt Nagel, all diese Ambivalenz nur mit ihrem Spiel zu transportieren. Auch Immervoll verdient natürlich Lob, schafft er es doch zugleich Mordlust und Raserei in der Titelfigur zu verkörpern, aber auch die aufkommende Panik, den Verfolgungswahn, der dem eines Herodes gleicht, und den Wahnsinn, der immer mehr Besitz von Macbeth ergreift. Dieser Spagat gelingt sehr gut! Doch nicht nur die Darsteller*innen verdienen große Anerkennung. Vor allem Kostüm und Videoinstallation sind großartig eingesetzt. So entstehen die Hexen lediglich durch das Aufziehen von Handschuhe und Masken, diese allerdings entfremden die Darsteller*innen so stark, dass gleich klar ist: hier passiert jetzt was besonderes. Außerdem sieht es einfach gut aus.

© Gabriela Neeb

Im Allgemeinen ist die Inszenierung optisch ein Genuss. Viele bildgewaltige Momente und das trotz so reduziertem Bühnenbild aus nur zwei planenbespannten Rollgerüsten. Zudem findet der findige Zuschauer viel kleine Zeichen; sieht nicht die Frisur von Lady Macbeth aus wie die Hörner des Teufels? Trägt nicht Malcolm (Max Poertinger) einen Kragen wie aus der elisabethanischen Zeit Shakespeares? Kurzum, die Inszenierung ist, wie man sich Theater vorstellt: kluge Köpfe, die wissen was sie tun! Dabei zeigt das Volkstheater sonst oft bis ins Detail ausgestattete Bühnenbilder oder punktet mit großem Material- oder Technikaufgebot. Doch das braucht dieser Macbeth gar nicht, er schlägt trotzdem ein. Besondere Erwähnung sollte ein weiterer Verzicht finden: Macbeth Inszenierungen sind meist Blutbäder. Das ist ja auch naheliegend, denn jemand, der vollgeschmiert ist mit Kunstblut, kann den oder die Wahnsinnige doch recht eindrucksvoll verkörpern. Auch da hat sich Arnold etwas cleveres Einfallen lassen. Die zahlreichen Morde des Stückes werden nicht gezeigt, nicht mal die verhängnisvollen Dolche oder das Blut, was uns wieder dazu bringt, wo Prophezeiung aufhört und Realität beginnt. Der Einzige, dessen Blut im Stück buchstäblich vergossen wird, ist ganz am Ende Macbeth selbst. Wie poetisch!

Ein ganz kleiner Wermutstropfen fällt dann aber doch noch. Obwohl es im Stück jede Szene so durchdacht ausgearbeitet ist, käme der Abend wohl auf ein ganz neues Level, wenn manche Szenen ein kleines bisschen kürzer, ein Quäntchen zügiger ablaufen würden. Denn diese Inszenierung hat das Potenzial, den Zuschauer mitzureißen und zu verschlingen. Mit etwas mehr Zug drauf, kann sie dieses voll ausschöpfen und würde von einer ganz großen zu einer überragenden Nummer werden.

Kritik: Jana Taendler