Ein entspannter Theaterabend sieht definitiv anders aus. Denn bei knapp über drei Stunden reiner Spielzeit braucht es einiges an Ausdauer, sowohl auf Seiten der Zuschauer als auch der Schauspieler. „Die Dämonen“ von Fjodor M. Dostojewskij (in der Übersetzung „Böse Geister“ von Swetlana Geier), welches am 25. Oktober 2018 im Münchner Volkstheater seine Premiere feiert, verlangt allen Beteiligten des Abends einiges an Sitzfleisch und Konzentration ab.
Die Inszenierung beginnt mit schwarzen Silhouetten, die im gleißenden Gegenlicht über die karg ausgestattete Bühne auf das Publikum zukommen. Silhouetten, die in der weiteren Handlung ein fester Teil des Handlungshintergrunds werden. Es gibt kaum eine Szene, in der keiner der Schauspieler sich seinen Weg in geraden Linien oder Diagonalen über die Bühne sucht. Sie sind überall und immer anwesend. Dazu sechs Windmaschinen, drei auf jeder Seite, die zunächst die einzigen Elemente eines kaum zu erahnenden Bühnenbildes sind. Im weiteren Verlauf kommen mehrere ca. vier Meter hohe Fahnenmaste inklusive überdimensionaler schwarzer Flaggen dazu, werden mehrfach repositioniert und dienen als einzige Requisiten. Die Flaggen als Verkörperung der vorrevolutionären Situation, die im Sturm der Windmaschinen fleißig flattern. Eine minimalistisch wirkende Bühne als schwarzer Hintergrund, vor welchem die Figuren in ihren Kostümen, die aus unterschiedlichen blauen Kleidungsstücken zusammengewürfelt sind, ihre Geschichte erzählen.
Zwei Männer kommen zurück in die Stadt, dem einen – Nikolaj Stawrogin (gespielt von Silas Breiding) – eilt sein Ruf als charmanter Frauenverführer und unüblicher Gastgeber voraus, der andere – Pjotr Werchowenskij (gespielt von Pola Jane O`Mare) – wird sehnlichst von seinen studentischen Anhängern erwartet. Für den Zuschauer ist es zunächst schwer erkennbar, welchem der beiden man mehr Aufmerksamkeit schenken sollte. Nikolaj und seine angeblichen Eskapaden sind bereits vor seiner Ankunft Stadtgespräch, aber Pjotr gewinnt mit seiner nihilistischen Weltanschauung immer mehr Mitglieder für seine Geheimgesellschaft – die Fünfergruppe. Die Gruppe besteht aus Studenten, die mit großem Enthusiasmus planen, die derzeitige staatliche Ordnung Russlands zu zerstören, stetig angetrieben durch Pjotrs zornige und immer fanatischer werdende Überredungen. Nikolaj weigert sich zwar, der Fünfergruppe beizutreten, wird aber durch Pjotrs Behauptungen, er sei bereits Mitglied und würde Anweisungen an alle Fünfergruppen verteilen, unabsichtlich mit in die Pläne der radikalen Studenten mit eingegliedert. Als dann ein Arbeiteraufstand entfacht, ein Brand gelegt wird und sowohl Nikolaijs Ehefrau als auch die Frau, die er eigentlich liebt, umkommen, will er nichts mehr mit der Fünfergruppe zu tun haben und reist ab. Pjotr will die Mitglieder seiner Studentengruppe durch die drohenden Gefahr einer Denunziation aus den eigenen Reihen und einer gemeinsamen Bluttat zusammenschweißen, erreicht jedoch nur das Gegenteil. Die Gruppe zerfällt und die Mitglieder denunzieren sich selbst. Ihr anfänglich so überschwänglich wirkende Enthusiasmus für ihre Sache erlischt.
Allein der Stoff reicht aus, den Zuschauern Kopfschmerzen zu bereiten. Das ungefilterte Aufeinandertreffen unterschiedlicher Ideologien, gepaart mit philosophischen Fragen über Gott und seine Verbindung zum Volk, ist die schwere Grundlage für die Inszenierung mit überwiegend jungen Schauspielern. Dass der Antagonist Pjotr dabei von einer Frau gespielt wird, genau wie der Student Alexej, der später als Opferlamm Pjotrs freiwillig Suizid begeht, schadet dem Stück keineswegs. Beiden Schauspielerinnen, Pola Jane O`Mare als auch Mara Widmann, gelingt es, ihre Figuren erschreckend realitätsnah und menschlich zu verkörpern. Wenn O´Mare sich in einer ihrer fanatisch radikalen Reden über den Boden wälzt, kann ihre Überzeugungskraft den Zuschauern durchaus Angst einflößen. Einen angenehmen Gegensatz dazu bietet das Ensemble, dass in mehreren Gruppenchoreographien auch mal gemeinsam eine Personen darstellt. An der Spitze hierbei Silas Breiding und Carolin Knab, denen es gelingt, die Ernsthaftigkeit und Seriosität an einigen Stellen zu durchbrechen, sodass auch Lachen in diesem Stück durchaus möglich ist. Besonders Carolin Knab kann mit beiden Persönlichkeiten ihrer Doppelrolle, die düstere und bedrohliche Stimmung erheblich aufhellen und erlangt damit schnell die Sympathie des Publikums.
Fjodor Michailowitsch Dostojewskij ist unbestreitbar einer der bekanntesten und bedeutendsten russischen Schriftsteller und sein dritter Roman „Bjesy“ mit über 800 Seiten ein Schwergewicht der Literatur. Dabei gibt es bereits bei der Übersetzung des Titels ins Deutsche Schwierigkeiten: mögliche Übersetzungen sind nämlich „Die Dämonen“, „Böse Geister“ , „Die Teufel“ oder auch „Die Besessenen“, wobei es sich bei allen Übersetzungsversuchen lediglich um eine Paraphrase handelt – eine passendes deutsches Äquivalent für „Bjesy“ gibt es nicht. Das Volkstheater und das Team um Regisseur Felix Hafner beweisen mit der Inszenierung des russischen Romans Mut und den Willen, auch eher theaterungeeignete Klassiker dem Publikum schmackhaft zu machen. Gelingen will ihnen das jedoch nicht vollkommen, denn die Inszenierung ist für die Zuschauer zwar größtenteils verständlich, aber der durchaus komplizierte Sprachaufbau kann sehr erschlagend wirken. Auch die ständige Anwesenheit fast aller Figuren auf der Bühne, sei es im Hintergrund oder an den Seiten, kann zu Verwirrung führen. Grundsätzlich ist Hafner jedoch eine Produktion geglückt, an der nicht nur ausgesprochene Dostojewskij-Liebhaber ihre Freunde haben werden.
Kritik: Anna Matthiesen