„Chaotische Verwirrung!“ – dies scheint das Motto des Abends zu sein. Doch keine Verwirrung, kein Chaos, das nicht begründet in den Tiefen einer höchstgenialen Inszenierung liegt. Handelt es sich doch um den Blick in den Kopf eines einzigartigen und begnadeten Dichters und Dramatikers: Heinrich von Kleist. Inmitten seines beeindruckenden Ideenreichtums, märchenhafter Rittergeschichten und emotionsgeladener Schauspieler*innen kann man schonmal ein wenig den Kopf verlieren. So wie auch er selbst. Das Käthchen von Heilbronn feierte am 1. Dezember 2022 Premiere im Cuvilliéstheater.
Kleist trifft auf Käthchen – so der Rahmen, in dem Regisseurin Elsa-Sophie Jach ihre Inszenierung positioniert. Für sie tun sich zwischen den beiden eine Vielzahl an Parallelen auf, die sie untrennbar miteinander verbinden. Kleist als ihr Schöpfer, der sich mit seiner Protagonistin identifiziert und sein Leben in ihrer Geschichte widerspiegelt. Als prüfendes Gegenüber stellt Jach dem Dramatiker Kleist die Dichterin Karoline von Günderrode zur Seite, die ihn immer wieder hinterfragt „und das mit ihm verbundene männliche Geniebild […] kritisch beleuchtet“. Sie bedient sich dafür einiger Texte aus dem Werk Kein Ort. Nirgends von Christa Wolf. Eine Regisseurin, die mit Texten einer Schriftstellerin arbeitet, um dem Typus des genialen und brillanten Mannes eine weibliche Stimme entgegenzusetzen, die ihn und sein Schaffen begutachtet und anzweifelt? Lieben wir!
Jach wählt dafür vielseitige Mittel, die die Inszenierung zu einem spannenden Abenteuer für Augen und Ohren werden lassen. Videoprojektionen, Schattenspiele, fliegende Pferde – das Übliche eben, was eine märchenhafte Rittergeschichte so braucht. Vor allem braucht sie Live-Musiker, die das ganze Geschehen mit Synthesizer und Drums zu einem Klangschauspiel à la Kraftwerk werden lassen. So übersetzt Jach das Geschehen, inklusive modernisierter Sci-Fi-Ritterburg aus grünem Plexiglas, in einen technologischen, robotisierten, fortschrittlichen Zusammenhang – eine Übertragung der Geschichte in die Zukunft also, die genauso fantastisch und unwirklich für uns erscheint, wie die Zeit, in der das Werk eigentlich angesiedelt ist: im Mittelalter, der Vergangenheit.
Die Schauspieler*innen erbringen an diesem Abend Höchstleistungen. 2,5 Stunden ohne Pause durchspielen auf aller höchstem Niveau, dazwischen immer wieder in verschiedene Rollen schlüpfen und die schwierig angelegten Texte Heinrich von Kleists im Ausdruck mit denen Christa Wolfs differenzieren. Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle Vincent zur Linden, der zwischen Kleist und Käthchen hin- und herspringt und dabei beide Rollen mit so viel Emotion und Spielfreude, so viel Genauigkeit und Präzision füllt, das man an seinen Lippen hängen muss. Doch das ganze Ensemble macht hier einen herausragenden Job und erweckt die unkonventionelle Inszenierung Elsa-Sophie Jachs zum Leben.
Wer also genug hat von Klassiker-Inszenierungen, die angesiedelt im ursprünglichen Milieu immer wieder um die gleichen Fragen von Machtverhältnissen und Geschlechterrollen kreisen, und stattdessen mit frischem Blick und neuartiger Rezeption auf ein Werk und seinen Autor schauen möchte, sollte diese Inszenierung auf keinen Fall verpassen!
Kritik: Rebecca Raitz