Feuerwerk der Kulturen – Bokanté im Ampere (Konzertbericht)

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Vor Beginn der Veranstaltung am Mittwoch, 25. Juli 2018, schmücken die ausladende Bühne im Ampere des Muffatwerks bereits zahlreiche interessante und unbekannte Instrumente. Einige E-Gitarren an eindrucksvollen Verstärkern, eine halbelektrische arabische Oud, eine Kebambe, Percussion aus allen erdenklichen Erdteilen, mehr Verstärker, Mikrofone, Bässe, etc.

© Peter Hundert

Noch kaum mit Menschen gefüllt, ist der Raum schon sehr warm an diesem heißen Sommerabend und beinahe passend dazu in ein bedrohliches, rotes Licht getaucht. Die meisten Besucher strömen daher erst in den Raum, als die Vorgruppe Bassekou Kouyate & Ngoni Ba mit zehn Minuten Verspätung ihren Auftritt starten. Das Bild, das sich dabei zeigt, ist ein buntes, schillerndes Stück Afrika: in reich verzierten traditionellen Gewändern brechen die fünf Musiker aus Mali in treibende Rhythmen aus, die das Publikum sofort in ihren Bann ziehen. Der Bass der großen Trommel ist dabei beinahe etwas zu hervorstechend – doch das scheint einige Besucher umso mehr zum Tanzen zu animieren. Die Band gleicht gewissermaßen einem Familienausflug: an der Percussion der eine Neffe, am Bass-Ngoni ein weiterer, am Schlagzeug (mit verletztem Bein) der Bruder und die Sängerin Amy Sacko schließlich die Ehefrau des Ngoni-Spielers alias Lead-Gitarristen der Gruppe. Dessen Vita wiederum wirkt jedoch alles andere als „provinziell“: Bassekou Kouyate ist ein Musiker von Weltrang, der sich bereits mit Sir Paul McCartney oder Joachim Kühn die Bühne teilen durfte und sogar mehrfach von der BBC zum „best African artist of the year“ prämiert wurde, zuletzt 2013. Und das nicht ohne Grund. Die Ngoni, eine primitiv anmutende, mit Tierfell bespannte Gitarre, beherrscht er meisterlich. Vermutlich nicht zuletzt daher, dass er in einer langen Tradition steht: Dem Publikum erklärt er mit einem breiten Grinsen auf gefärbtem Englisch, dass bereits ein Urahn von ihm im 18. Jahrhundert einem afrikanischen König auf der Ngoni vorgespielt habe und schließlich alle bis hin zu seinem Großvater und Vater das Wissen über das Instrument weitergegeben hätten. Kurz darauf versinkt er wieder im nächsten Solo-Part und unter intensivem Einsatz eines Wah-Pedals an seinem Instrument könnte man meinen, es wäre das virtuose Spiel von Jimi Hendrix, dem er da nacheifert. Um ca. 21 Uhr spielt die Band ihr letztes Stück, ein Liebeslied vom neuesten Album. Und die kräftige, klare Stimme der Sängerin entführt die Besucher ein letztes Mal in die Welt der afrikanischen Musik.

War der Raum zum Schlussapplaus noch gut gefüllt, stürmen alle Gäste in der Umbaupause auch schon nach draußen, um der Hitze für kurze Zeit zu entfliehen oder ein Getränk zu sich zu nehmen. Michael League, Bassist und Kopf der Band Snarky Puppy, ist selbst fleißig am Umbau auf der langgestreckten Bühne beteiligt. Bereits vorher konnte man einen Blick auf den bekannten Musiker erhaschen, als er vom Bühnenrand aus mit großem Interesse der Vorband folgte. Beim zweiten Bier sind die umfangreichen Arbeiten schließlich erledigt und die Band sammelt sich am Bühnenrand. Man schickt die Percussion-Spieler voraus und ganz links beginnt der Schwede André Ferrari auch gleich mit einem mitreißenden „four-on-the-floor“-Beat. Er ist außerdem bekannt durch den intensiven Einsatz der „grouse pipe“, die auch an diesem Abend in seinem Mundwinkel steckt. Schlagartig ist die ganze Halle bis zum Eingang gefüllt.

© Francois Bisi

Bei Bokanté handelt es sich um eine Supergroup der Weltmusik: Sängerin Malika Tirolien, zusammen mit Michael League Gründerin der Band, hat nach einem ausführlichen Jazz-Studium in Montreal bereits Hauptrollen im Cirque Du Soleil gesungen. League lernte sie bei den Aufnahmen des Snarky Puppy-Albums „Family Dinner“ kennen. Auch an diesem Abend beweist sie ihr unglaubliches Gesangstalent mit so manchem improvisierten Part oder auch anhand der gekonnten Verwendung zahlreicher Gesangseffekte und eines Vocoders, den sie mit dem Midi-Keyboard vor sich in bestimmten Songs interessant einsetzt. Ebenfalls von Snarky Puppy stammen die beiden US-amerikanischen Gitarristen Chris McQueen und Bob Lanzetti, die von Blues über Funk bis hin zu schnellen Jazz-Soli ihr ganzes Können beweisen. Ein besonderes Highlight stellt Jamey Haddad dar, war und ist er doch Percussionist von Größen wie Paul Simon, Sting, Nancy Wilson und vielen anderen. Er beweist sein gekonntes Spiel vor allem an ausgefallenen Instrumenten wie Zimbeln und verschiedensten Schelleninstrumenten und begeistert das Publikum im Ampere ganz besonders, als er sich einen „Waschbrettbauch“ nach Südstaatenmanier umbindet und in sagenhafter Geschwindigkeit mit zwei Handschuhen darauf spielt. Sein Gesichtsausdruck bleibt dabei stets ruhig und cool. Haddad weiß, dass er niemandem mehr etwas beweisen muss – und schafft genau das. Der dritte „Trommler“ im Bunde, der Japaner Keita Ogawa, hat sich vor allem auf brasilianische Percussion spezialisiert und ist damit weltweit unterwegs. Doch auch ein zylinderförmiges, metallenes und reich verziertes Instrument aus seiner Heimat hat er neben einigen Congas und Glocken platziert und weiß meisterhaft darauf zu spielen. Generell kann man sagen, dass es gerade die Percussion ist, die Bokanté so besonders macht und der Band ermöglicht, musikalische Elemente aus unzähligen Kulturen in ihre Stücke zu integrieren und die Zuschauer in alle Teile der Welt zu entführen. Einen großen Beitrag dazu leistet auch Roosevelt Collier, der Publikumsliebling des Abends. Mit seinem virtuosen Spiel auf der Lap Steel und seiner überaus positiven, charismatischen Ausstrahlung sorgt er einfach für gute Laune, grinst und lacht er doch selbst die ganze Zeit. Da Michael League bei Bokanté nicht Bass, sondern Bariton und überraschenderweise auch die arabische Oud spielt, hat man sich außerdem einen Bassisten aus Frankreich geliehen. Vom Aussehen wirkt dieser wie einer britischen Folk- oder Punk-Band entrissen und überrascht auch durch sein Bassspiel mit dem Plektrum, im Jazz doch sehr unüblich.

© Francois Bisi

Das Motto des Abends ist eindeutig die Multikulturalität und das friedliche Zusammenleben. Eine bessere Welt, von der Malika Tirolien da in ihren französischen und französisch-kreolischen Texten singt. So handelt gleich das zweite Lied von der Stärke der Frauen. „Are there any women today?“, ruft sie in den Saal. Die Antwort könnte kaum euphorischer sein. Auch Michael League, eigentlich bekennender Pazifist, kann vor einem weiteren Lied einen Kommentar nicht zurückhalten: „Every time I play this song, these are my seven minutes where I feel like punching Donald Trump right in his face!“ Ekstatische Zustimmung aus dem Publikum. Übrigens handelt es sich dabei um das Stück, bei dem das zuvor erwähnte Südstaaten-Waschbrett zum Einsatz kommt. Das achte der teils zehnminütigen Stücke ist schließlich das letzte, heißt es. Doch natürlich jubelt das Publikum die Künstler zurück auf die Bühne. Zu hören gibt es nun einen packenden Song als Zugabe, den Malika für ihre Tochter geschrieben hat. Oder auch für die gesamte zukünftige Generation. „Hope they do better than us“, ist die Crux.

Doch selbst nach Ende dieses Songs lässt das Publikum die Musiker noch nicht ziehen. Mehrere Minuten lang geschieht unter tosendem Applaus erst gar nichts, dann kehren die Musiker tatsächlich noch einmal zurück. Doch wen haben sie da dabei? Es ist tatsächlich Bassekou Kouyate mit seiner Ngoni, der das letzte Lied begleitet und nochmal ein erstaunliches Solo abliefert. Das rote Licht im Raum hat am Ende schließlich einem blauen und grünen Platz gemacht. Denn Hoffnung ist es, mit der die Besucher in eine angenehm kühle Sommernacht entlassen werden.

Bericht: Thomas Steinbrunner