Der steinige Weg zum gelebten Traum – „Amélie – Das Musical“ im Werk7 Theater (Kritik)

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Eigentlich war es die letzten Monaten schon schier unmöglich, in München nicht über eines der unzähligen Plakate zum Musical zu „Die fabelhafte Welt der Amélie“ zu stolpern. Groß ist dementsprechend die Erwartung am 14. Februar 2019, dem Tag der Europapremiere des Stücks im Münchner Werk7 Theater. Vor zwei Jahren lief ein erster Versuch bereits am Broadway, leider wenig erfolgreich – nun versucht es Stage Entertainment am anderen Ende der Welt mit einer Neuinszenierung.

Bis September lief noch „Fack ju Göhte – Das Musical“ im frisch eingeweihten Theater des Werksviertel Mitte, das trotz einer fantastischen Produktion nicht so recht beim Publikum zünden wollte. Für Amélie wurde das Theater einmal grundlegend verändert, der Anstrich im Foyer geändert und natürlich der gesamte Innenraum umgestaltet – die Plastikstühle und die unüberwindbare Fabrikhallen-Atmosphäre bleiben trotz der Bemühungen bestehen. Schämen muss man sich dafür aber wahrlich nicht, störend ist es auch nicht: das Bühnenbild nimmt später so viel Fokus ein, dass man die Örtlichkeit schnell vergisst. Zur Premiere ist selbstredend allerlei Prominenz von Ralph Siegel bis Katja Ebstein gekommen. Die Anspannung beim Kreativ-Team ist riesig, die Erwartung hoch.

© Franziska Hain

Aus der schulischen Turnhalle wurde ein Pariser Café, genauer gesagt: das Café des 2 Moulins. Dort arbeitet Amélie, nachdem sie aus ihrem tristen Elternhaus ausgezogen ist. Die lieblose Erziehung lässt sie immer wieder in ihre Fantasie flüchten, aber kaum Anschluss im echten Leben finden – sehr kontaktscheu und beziehungsarm verhält sie sich. Zwar binden sie Cafébesitzerin Suzanne, Tabakverkäuferin Georgette und Arbeitskollegin Gina (im Buch die Concierge ihres Hauses) bestmöglich ein ins Leben, aber so recht will sie keinen eigenen Fußabdruck hinterlassen. Als sie zufällig die Kiste eines ehemaligen Vormieters in ihrer Wohnung findet, will sie es ihm zurückgeben und sieht ab diesem Zeitpunkt ihre Aufgabe darin, das Leben anderer zu verbessern – ohne auf ihr eigenes zu achten und den Seelenverwandten Nino nicht doch endlich mal anzusprechen. Soweit der Filmplot, soweit auch die Musicalhandlung.

Natürlich adaptiert man den Großteil der Storyline, fügt aber auch neue Stränge hinzu bzw. verändert bestehende Begebenheiten, um tatsächlich über die Länge von 120 Minuten zu funktionieren. Der Film dauert zwar ähnlich lang, geht aber alles gemächlicher und wesentlich poesievoller an – vielleicht doch ein Punkt, an dem sich das Kreativteam rund um das Musical orientieren hätte sollen. Was bei „Fack ju Göhte“ noch bestens funktioniert hat, nämlich das schnelle, atemlose Tempo, wirkt hier etwas fehl am Platz und transportiert auch nicht die Geschwindigkeit, sondern eher unnötige Hektik. Die sechsköpfige Band spielt teilweise fast schon kammermusikartig die ruhigen und fantastischen Kompositionen von Daniel Messé, erstmals auch kombiniert mit dem Original-Filmscore von Yann Tiersen. Zwar taucht das bekannte Hauptmotiv nur zweimal im Hintergrund auf – aber es reicht allemal, um den Besuchern ganz kurz wieder an die zauberhaften Klangbilder zu erinnern.

© Franziska Hain

Denn Musik und Darbietung sind definitiv die Gewinner der Produktion. Das gesamte Ensemble hat mehrere und verschiedene Rollen, einzig Sandra Leitner als Amélie und Andreas Bongard als Nino bleiben konstant. Leitner gelingt es stimmlich als auch vor allem schauspielerisch tatsächlich, eine Vorbild-Amélie abzugeben, die nicht schlicht die Filmvorlage kopiert, sondern sich eher einer Hommage annimmt. Bongard schafft es schauspielerisch ebenso zu glänzen, wenngleich allerdings stimmlich nicht ganz zu überzeugen, zu wenig druckvoll wirkt es in seinem Solo im zweiten Akt. Das gesamte Ensemble wiederum agiert auf höchstem Niveau, spielt und verschiebt die Stühle auf der Bühne und bringt hunderte von kleinen Spielereien für Szenen auf die Bühne – was vielleicht zum größten Problem führt: die Inszenierung.

© Franziska Hain

Mit der Wahl von Christoph Drewitz als Regisseur hat man wieder auf das altbewährte Rezept vertraut, das im reinen Kreativ-Resultat beim „Fack ju Göhte“-Musical bestens funktioniert hat. Leider wirkt es so, als hätte er einfach die gesamte Inszenierung auf das Amélie-Musical übergestülpt – etliches an abgedroschen-peinlichen Zotenwitzen inklusive. Das ist es auch letztendlich, was dem Stück zum Verhängnis wird: keine Konzentration auf die liebevolle Poesie und Verspieltheit der Vorlage, sondern den Willen, auf Biegen und Brechen ein Potpourri aller Genre-Richtungen zu finden. Damit ist das prinzipiell musikalisch und dramaturgisch intim und zauberhaft angelegte Stück in der Inszenierung zu einem erschreckend standardisiertem Musical verkommen, dem bereits in der ersten Hälfte die Puste ausgeht und das zwischen gelungener Komik (eine witzige Elton John-Einlage) und plumpen Klamauk (die ins unerträglich gehenden Ausschlachtung eines Lauch-Liebhabers) seinen Charme verliert. Da täuscht der Moment der absoluten Stille, als Amélie sich überwindet, Nino zu berühren, der kurzzeitig ein Gefühl der sprichwörtlichen Atemlosigkeit erzeugt, auch nicht mehr über die Fehler hinweg.

„Die fabelhafte Welt der Amélie – Das Musical“ läuft bis zum 31. Oktober im Werk7 Theater München.
Tickets gibt es HIER!

Kritik: Ludwig Stadler