„Trump unterschätzt die Kraft der Menschen“ – Amanda Palmer im Interview

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Feministin, Aktivistin, Bestseller-Autorin – aber in erster Linie Musikerin: Sängerin und Klavierspielerin Amanda Palmer im Interview mit „Kultur in München“.

Am 11. September 2019 spielt die ehemalige The Dresden Dolls-Frontsängerin mit ihrem Solo-Programm in der Alten Kongresshalle. Tickets findet ihr HIER!

Das englische Original-Interview findet ihr unten! (English version below)

 

DEUTSCHE VERSION / GERMAN VERSION

Kultur in München: Ihr Album „There Will Be No Intermission“ ist dieses Jahr im März erschienen. Was möchten Sie im Jahr 2019 Ihren Zuhörern vermitteln? Und inwieweit unterscheidet sich dieses Werk und seine Aussagen von Ihren vorherigen Arbeiten?

Ich denke, meine Arbeit wird umso direkter, je mutiger ich werde und je weniger Schamgefühl ich empfinde. Auch wenn ich weiß, dass es weit hergeholt und nicht im Kontext ist, Adorno’s „There can be no poetry after Auschwitz“ wurde hier zu „There can be no metaphor after Trump“ für Amerika. Die Dringlichkeit ist zurzeit extrem. Abtreibung, Klimawandel, der Rechtsruck: wir können nicht nur herumstehen. Es ist einfach wichtiger, direkt zu handeln, direkt zu sprechen. Uns läuft die Zeit davon.

Kultur in München: Dieses Album ist nicht durch irgendeine Plattenfirma finanziert worden, sondern komplett durch rund 12.000 Unterstützer auf „Patreon“. Warum wählten Sie diesen Weg der gemeinschaftlichen Finanzierung? Haben solche Plattformen bestimmte Vor- und Nachteile?

© Kahn & Selesnick

Als eine Frau, die jahrelang in der Musikszene gearbeitet hat, war ich einfach genervt davon, immer die Genehmigung für alles zu brauchen, egal ob im Kreativen oder in der Vermarktung. Ich war genervt von großen Meetings voller Männer, die mir erklären, dass sie meine Arbeit und meine Fans besser verstehen als ich selbst. Haben sie nicht. Also hab ich mich entschlossen, mein eigenes unabhängiges System aufzubauen, in dem mein Ausdruck und meine Arbeit sich komplett frei entwickeln können. Deshalb habe ich Patreon genutzt, auch wenn das viele Menschen scheinbar nicht verstanden haben. Es ist letztendlich ein Stipendium. Die Leute, die mich unterstützen, sind nicht nur meine „Fans“, sie sind meine Familie, meine Freunde, meine Community, die Menschen, die für mein Essen und meine Miete zahlen wollen, während ich mich damit herumschlage, was ich als nächstes machen soll. Es ist eine komplette Abwendung vom Herumdiskutieren, was ich mit einem Major Label andauernd machen musste, es ging immer nur darum, ein Produkt zu verkaufen.

Kultur in München: Sie sind für Ihre freizügige Attitüde bekannt. Das Albumcover ziert Sie nackt, von vorne, mit erhobenem Schwert. Was bedeutet Nacktheit für Sie? Und welche soziopolitischen Waffen wählen Sie wirklich?

Jede Kunst kann eine Waffe sein. Die richtige Kunst kann die stärkste, kraftvollste und schärfte von allen sein. Trump und die heutigen Politiker unterschätzen die Kraft der Menschen. Die Kraft der Menschen, wenn sie wissen, welche Zeit gekommen ist. Insbesondere Frauen werden furchtloser, ihre Geschichte wahrheitsgetreu zu erzählen – und das ist eine gute Sache. Nacktheit ist, im richtigen Kontext, nur ein Symbol für die Wahrheit. Zu viele Frauen wurden gezwungen, ihren Körper für die falsche Art von Symbolik zu missbrauchen, viele Frauen holen sich ihren Stolz zurück, indem sie die Welt mit ihrer ungebremsten Stärke überraschen.

Kultur in München: Anlässlich des Todes von David Bowie veröffentlichten Sie im Februar 2016 die EP „Strung Out In Heaven: A Bowie String Quartet Tribute“. Haben sie noch andere musikalische Vorbilder oder Inspirationen?

Ach, so viele. Die wahren Poeten, die Kompromisslosen wie Bowie. Patti Smith, Leonard Cohen, Margaret Atwood, Nick Cave – die Liste ist endlos.

Kultur in München: Ein immer wiederkehrendes Thema in Ihren Songtexten ist die Sexualität. Mit Ihrer Band The Dresden Dolls sangen Sie einst Songs über Vibratoren. Warum wählen Sie immer wieder dieses Thema?

Ich denke, du meinst „Coin-Operated Boy“. Der Song handelt nicht von einem Vibrator. Der Song handelt von Angst und Intimität. Aber es gibt eine ironische Möglichkeit, dass es über Vibratoren gehen könnte, falls du darauf hinaus möchtest. Magst du Vibratoren?

Kultur in München: Ihre Lieder sind auch von biographischen Motiven durchdrungen. In „Voicemail for Jill“ stellen Sie persönliche Erfahrungen mit Abtreibungen mit einer großen Offenheit und Ehrlichkeit dar. Wie gehen Sie damit um, so ein – gerade für Frauen – hoch emotionales, vielleicht sogar traumatisierendes Thema immer wieder – beim Songschreiben, technischem Aufnehmen oder bei der Performance auf der Bühne – erneut zu Durchleben?

Ich fühle eine tiefe, innere Bestätigung, wenn ich Erleichterung in den Gesichtern der Menschen sehe. Ich mag es, über Themen zu schreiben, die die Menschen weniger allein fühlen lässt. „Voicemail for Jill“ ist ein gutes Beispiel dafür. Ich hatte drei Abtreibungen und ich fand diese Erfahrungen wirklich isolierend. Ich wünschte, es hätte so einen Song gegeben, der meine Hand während dieser Erfahrungen gehalten hätte. Vielleicht hätte ich mich dann weniger verwirrt gefühlt, weniger allein. Also habe ich dieses Lied für mein früheres Ich geschrieben, im Bewusstsein, dass es andere Frauen (und Männer) trösten und erleichtern würde, die so etwas erleben mussten. Und es hat funktioniert. Diesen Song auf der Tour und vor den Menschen zu spielen, ist mittlerweile ein Ritual. Ein Ritual, dass die Leute brauchen, um diese unausgedrückten Gefühle und dieses Trauma in Worte zu fassen, die vielleicht noch niemals verschriftlicht wurden.

Kultur in München: Vor vier Jahren bekamen Sie Ihr erstes Kind. Wie hat das „Muttersein“ Sie und Ihr musikalisches Schaffen verändert? Wie bekommen Sie „Elternschaft“ und Job unter einen Hut? Vielleicht einen Rat für die moderne Frau des 21. Jahrhunderts?

Du bist dir selbst genug. Das ist das Mantra. Ich habe mein Kind und mein Mutter-Dasein in meine Kunst eingebunden, anstatt so zu tun, als wäre es normal, alles zu abgrenzen.

Kultur in München: Haben Sie eine Technik oder ein spezielles Ritual vor Ihren Auftritten? Wie bereiten Sie sich auf eine Performance vor?

Ich lege mein Handy weg, ziehe neue Klamotten an, mache mein Make-Up und versuche, alles andere auszublenden. Es ist ein disziplinierter Prozess, vor allem wenn du dein eigener Chef bist und ein Kind hast, außerdem ist da immer dieser eine Text oder diese E-Mail, mit der man sich herumschlägt. Aber wenn ich weiß, dass da 2000 Menschen in einem Theater darauf warten, mit mir gemeinsam Zeit zu verbringen, versuche ich ihnen die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken wie auch jeder oder jedem engen Freund/in. Ich möchte ihnen nicht nur meine halbe Aufmerksamkeit geben, das wäre nicht angebracht. Ich möchte ihnen alles von mir geben.

Außerdem: Wein

Kultur in München: Was würde Amanda Palmer machen, wenn es keine Musik geben würde? Darf man nach Ihrer Besteller-Autobiographie im Jahr 2014 „The Art of Asking“ noch ein weiteres Buch von Ihnen erwarten?

Ich habe darüber nachgedacht, Teile der Show und des Albums in ein Buch auszulagern. Es sind viele Geschichten darin, die ich ungern im Laufe der Zeit und nach den Shows verloren sehe. Und ich denke, ich werde wohl versuchen, mehr im Theater zu machen. Ich vermisse es. Und da sind immer noch The Dresden Dolls. Wir stehen kurz vor einer neuen Runde.

Kultur in München: Ihr letztes und drittes Studioalbum „Theatre Is Evil“ ist genau sieben Jahre her. Welche Erwartungen haben Sie an die kommenden sieben Jahre, bzw. wo sehen Sie sich dann?

In sieben Jahren? Ich werde 50 sein. Ash wird zehn sein. Neil wird 68 sein. Ich hoffe nur, dass wir alle noch leben und niemand einen Unfall hat oder Krebs bekommt. Das wäre schon fantastisch.

Kultur in München: Herzlichen Dank für das Interview und wir freuen uns sehr auf Ihren Auftritt am 11. September in der Alten Kongresshalle in München!

Oh! Genau. Ein tragischer und erinnerungsträchtiger Tag für alle Amerikaner. Es ist immer spannend, an 9/11 in Europa zu sein. Das ist eine gute Perspektive. Wir Amerikaner haben uns so mit unserer Trauer als Nation herumgeschlagen, dass wir oft vergessen, was andere durchgemacht haben. In Deutschland studiert zu haben – und übrigens auch meinen Universitätsabschluss in Germanistik und Holocaust-Studien bekommen zu haben – lässt mich doch glauben, dass ich eine objektive Perspektive in all diesem Irrsinn behalte. Ich habe viele Holocaust-Berichte und -Erinnerungen im College gelesen, außerdem in der Schule Zeit in Bayern verbracht und Auschwitz und andere Holocaust-Gedenkstätten besucht. Es ist nicht so lange her. Die Amerikaner leben, ohne die direkten Folgen von Krieg und Genozid zu kennen. Wir fangen gerade erst an, wieder in diesem Grauen zu erwachen, und ich hoffe, wir schaffen es unsere Stimmen zu erheben, bevor es zu spät ist.

Interview (Planung & Durchführung): Carolina Felberbaum

 

 

 

ENGLISH VERSION

Feminist, activist, bestseller author – but first of all musician: singer and piano player Amanda Palmer in an interview with „Kultur in München“.

Amanda Palmer at Alte Kongresshalle Munich on 11th September – get TICKETS here!

 

Kultur in München: Your album „There Will Be No Intermission“ was released this march. What do you want so say to your listeners in 2019? In which points there’s a difference between your work and your message in comparison with your earlier releases?

I think my work is getting more and more direct the braver I get and the less shame I feel. Though I know it’s taken widely out of context, Adorno’s „There can be no poetry after Auschwitz“ has been usurped over here into a „There can be no metaphor after Trump“ in America. The stakes feel too high at the moment. Abortion, climate change, the slide to the right wing: we cannot fuck around. It feels more important now to be direct, to speak directly. We are running out of time.

Kultur in München: The album wasn’t sponsored by a music label, but was financed by 12.000 supporters via the platform „ Patreon “. Why do you choose that way? Which (dis-)advantages does this platforms have?

© Kahn & Selesnick

As a woman who has worked inside the industry for years, I was just tired of needing the approval of me; whether they were in the creative department or the marketing department. I got so tired of giant meetings full of men telling me that they understood my work and my fans better than I did. They don’t. So I finally decided to just built my own off-grid system where my expression and work could be completely free. That’s why I use patreon, even though a lot of people don’t seem to understand it. It’s actual patronage. The people supporting me aren’t „fans“, they’re my family, my friends, my community, the people who want to pay for my food and rent while I struggle to figure out the next thing to make. It’s a complete departure from the song-and-dance I had to do with a major label, which was all about „selling“ a „product“.

Kultur in München: You are also fame for your dissoluteness. On the album cover you are naked, frontal, with and sword raised. What does nudity means for you? And which sociopolitical weapons do you really choose?

All art can be a weapon. The right art can be the most peaceful, powerful, piercing weapon of all. Trump and the politicians of the day underestimate the power of people. They underestimate the power of the crowd, when the crowd knows what time it is. Women, especially, are becoming fearless in their taking back of the narrative, and this is a good thing. Nudity is just, in the right context, just a symbol for the truth. Too many women have been forced to use their body as the wrong kind of symbol, and many women are grabbing back their power by forcing the world to reckon with their unashamed power.

Kultur in München: On the occasion of the death of David Bowie you released the EP „Strung Out In Heaven: A Bowie String Quartet Tribute“ in February 2016. Do you have another musical idols or inspirations?

Oh, so many. The true poets, the uncompromising ones like Bowie. Patti Smith, Leonard Cohen, Margaret Atwood, Nick Cave – the list is endless.

Kultur in München: A recurring theme in your lyrics is sexuality. Once you sang about vibrators with your earlier band The Dresden Dolls. Why do you choose this theme over and over again?

I think you’re talking about coin-operated boy. That song isn’t about a vibrator. That song is about our fear of intimacy. But there’s a tongue-in-cheek suggestion that it could be about a vibrator, if that floats your boat. Are you into vibrators?

Kultur in München: Your songs are full of autobiographic situations. In „Voicemail for Jill“ you sing about personal experiences with abortion with a great openness and honesty. How do you manage it to relieve an – especially for woman – highly emotional, maybe traumatic topic again and again (writing, recording and performing the song)?

I feel a huge human pleasure in seeing relief in other people’s faces. I like to write about things that make people feel less alone. Voicemail for Jill is a great example of that. I’ve had three abortions, and I found the experience really isolating. I wish I’d had a song like that to hold my hand through the experiences. Maybe I wouldn’t have felt so confused, so alone. So I wrote that song for my former self, and in doing that, I knew that it would comfort and relive other women (and men) who have been through the experience. And it’s worked. Touring that song and playing it on stage for people is almost like a ritual, a ritual that people need, to put words to the unexpressed feelings and trauma they’ve been through but have maybe ever articulated.

Kultur in München: You got your first child four years ago. How has being a mother changed your musical work and maybe yourself? How do you manage it to combine being a mother and making such a time-consuming job? Maybe an advice for the modern woman of the 21st century?

You are enough. That’s the mantra. I have wrapped and enfolded my child and motherhood into my art instead of pretending that it’s normal to compartmentalize everything.

Kultur in München: Have you a technique or a special ritual before your performances? How do you prepare for live performances?

I put away my phone. I put on new costume-y clothes, and make-up, and I try to leave the outside world behind. It’s a discipline process to do that, especially when you run your own business and you have a kid and there’s always one more text or email to deal with. But when I know there are 2,000 people in a theater waiting to spend time together, I try to treat them with the same consideration that I would treat any dear friend or lover.  I don’t want to give them half of my attention, that’s inconsiderate. I want to give them all of me.

Also, wine.

Kultur in München: What would Amanda Palmer do, if there is no more music in her life? Can we expect another book, after your autobiography „The Art of Asking“ in 2014?

I have thought about transforming parts of this show and album into a book. I have a lot of stories that I don’t want to just get lost to the dustbins of the stage and time. And I think I might try to do more work in the theater. I miss it. And there’s always The Dresden Dolls. We are due for another round of attack.

Kultur in München: Your latest and third studio album „Theatre Is Evil“ was released seven years ago. What expectations have you for the next seven years? Where do you see yourself then?

In seven years? I’ll be 50. Ash will be ten. Neil will be 68. I just hope we’re all fucking alive and that nobody gets crushed by a bus or gets cancer. That would be glorious.

Kultur in München: Thank you for the interview! We are really looking forward to your concert in Munich at the Alte Kongresshalle on September 11!

Oh! Yes. A day of tragedy and remembrance for all Americans. It’s always interesting to be overseas on 9/11. It’s a good perspective. We Americans have dealt with our fare share of grief as a nation, and we also forget what everybody else has gone through. Having studied in Germany for a while – and also getting my degree in German and Holocaust studies in university – I like to think I’ve managed to keep some sort of perspective in the madness. I read a lot of Holocaust accounts and memoirs in college, I spent time in school in Bavaria leaving and visiting Auschwitz and other important Holocaust sites. It wasn’t that long ago. Americans live without having known the direct knock-on of war and genocide. We are just waking up to those horrors now, and I hope we manage to raise our voices before it’s too late.

Interviewer: Carolina Felberbaum