Alle Veranstaltungen, die die Attribute „Jonas Kaufmann“ und „München“ in sich tragen, haben eines gemeinsam: sie sind bis auf den letzten Platz ausverkauft. Immer. So auch das Solo-Konzert „Ô Paradis“, welches sich am 10. Dezember 2017 im Nationaltheater ereignete. Es ist sozusagen die Premiere des neuen Programmes von Jonas Kaufmann, passend zum aktuellen Album „L’Opera“ mit etlichen Arien aus dem französischen Repertoire. Die Bayerische Staatsoper in München, auch Heimat- und Wohnstadt von Kaufmann selbst, hat sich da immer schon als guter Ort für einen Testlauf herausgestellt, denn die Münchner lieben den Tenor und sind trotzdem kritisch genug, um ihre ehrliche Meinung zu äußern.
Dementsprechend groß ist der Andrang bereits vor Öffnung der Türen. Sogar Intendant Nikolaus Bachler nimmt im Theater seines Betriebes Platz und sieht sich das Konzert seines zugstarken Schützlings an. Erst mit Bachler konnte Kaufmann oft und regelmäßig in der Staatsoper spielen, der Oper, die er als Münchner Junge erstmals besucht hat und die ihn mit seinem Besuch von „Madame Butterfly“ zur klassischen Musik gebracht hat. Dass der Aufstieg des Sängers so kometenhaft werden könnte, hat aber wohl niemand geahnt, auch nicht Bachler selbst, der zwar 2008 des Öfteren versuchte, einen etablierten Sänger in seine geplanten Produktionen zu bekommen, aber noch lange nicht den wohl größten lebenden Tenor der Welt.
Interessant sollte sich herausstellen, dass gar nicht unbedingt Kaufmann im Fokus steht, sondern allen voran das überragende Bayerische Staatsorchester, welches kurzerhand aus dem Orchestergraben auf die Bühne wechselt und mit imposanten 71 (!) Leuten einen überraschenderweise unfassbar nuancierten Klang erzeugt, was letztendlich am genialen Bertrand de Billy liegt, der als musikalischer Leiter viel Wert auf Detail legt und nur dann klotzt, wenn es auch wirklich nötig ist. Mit recht vielen Titeln, die nur dem Staatsorchester angedacht sind, auch einigen Vorspielen, sinkt die letztliche Zeit, in der Kaufmann sinkt, auf ein ziemliches Minimum und lässt sich im Prinzip auf sechs Arien, zwei Duette und ein Abschlusslied zu Dritt einigen – für den, aufgrund des Ansehen des Sängers und Orchester absolut verständlichen, Preis fast etwas zu wenig. Nach gerade einmal 45 Minuten ist bereits Pause, der zweite Block hat die gleiche Spiellänge, zuzüglich drei Zugaben. Insgesamt etwa 110 Minuten, wovon abzüglich Pausen zwischen den Werken und den Orchester-Stücken ziemlich wenig von Kaufmann bleibt. Das Publikum jubelt trotzdem nach jeder Arie und steigert sich insgesamt bis zur fantastischen Abschluss-Arie „Pourquoi me réveiller“ aus dem dritten Akt von Massenets „Werther“.
Jonas Kaufmann selbst ist in bester stimmlicher Verfassung und überzeugt bei jedem Ton. Interessant, dass das klassische Liedblatt-Ungetüm, das sonst vor den Sängern liegt, letztendlich durch ein praktisches Tablett eingetauscht wurde – man geht ja mit der Zeit.
Als das Orchester plötzlich verstummt und in der Stille auf den Tenor gewartet wird, hechtet er mit einiger Verzögerung doch noch auf die Bühne. „Ich habe extra hinter der Bühne mitgelesen und war mir sicher, dass noch ein paar Takte folgen werden“ sagt er und bittet um Verzeihung – das Publikum lacht herzlich, Kaufmann tut es auch. Das sind wohl diese kleinen Momente, die den gefragten Opern-Sänger doch immer wieder zum sympathischen, bodenständigen Menschen werden lassen.
Mit dem großartigen Gesang, und hierbei sind die unglaublichen Gast-SängerInnen, Bariton Ludovic Tézier und Sopran Ermonela Jaho unbedingt miteinbezogen, bekommen die Künstler das Publikum nach jedem Stück zum frenetischen Klatschen, wobei letztendlich das Resümee gezogen werden muss, dass der nicht fassbare, der überwältigende Wow-Moment, an den man sich auch in 30 Jahren noch erinnern wird, gefehlt hat – eine starke Leistung, aber sicher kein Konzert für die Ewigkeit.
Auf dem Rückweg sieht man bereits eine Warteschlange voller Fans am Bühneneingang, die in der Kälte auf Jonas Kaufmann warten, um sich ein Autogramm oder ein Erinnerungsfoto zu holen. Die Schlange ist sogar erstmals mit Absperrband in eine Linie gebracht, was sofort zeigt, dass sich nicht mit der Hoffnung, es könnte ja klappen, angestellt wird, sondern, dass der Tenor tatsächlich rauskommt. Und das tut er auch, wie nach fast jeder Vorstellung, und nimmt sich intensiv Zeit für jeden Einzelnen. Die Tatsache, dass er niemals seine Anhängerschaft vergisst, trotz seiner Größe im Operngeschäft, macht ihn so sympathisch, dass man gerne immer wieder kommt. Ein schöner Abschluss.
Bericht: Ludwig Stadler
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