“The best band in the world” – so kündigt Support-Act Bartees Strange am Ende seines Sets im Münchner Zenith am 1. Oktober 2023 die Headliner The National an. Dass dies für Strange mehr als nur ein schmeichlerischer Spruch ist, beweist ein Blick in seine Diskografie: Noch vor seiner Debut-EP brachte er 2020 eine Cover-EP ausschließlich mit Songs von The National heraus. Der Einfluss seiner musikalischen Vorbilder ist deutlich zu hören. Die atmosphärischen, einlullenden Gitarrenarpeggios, kombiniert mit den treibenden Grooves einer weiblichen Schlagzeugerin, erinnern an die Headliner, wenngleich Stranges soulige Stimme dem ganzen Individualität verleiht. Hier kommt allerdings schon ein erster Eindruck auf, der sich beim Hauptact bestätigen sollte – dass diese dichten Arrangements von verzerrten Gitarren nur mäßig mit der reflexionsreichen Akustik des Zeniths zusammenspielen.
Das Konzert von The National beginnt um 20:30 Uhr mit einer schwarz-weiß Kameraschalte aus dem Backstagebereich. Starproduzent Aaron Dessner (Taylor Swift, Ed Sheeran) nippt geduldig an seinem Drink, während Frontmann Matt Berninger noch einmal seine Gliedmaßen dehnt. Man fragt sich etwas, worauf jetzt eigentlich noch gewartet wird, allerdings erhöht die Kameraschalte auch die Spannung, denn es ist klar: Jeden Moment wird es losgehen.
Nachdem die Band auf der Bühne steht und jedes Mitglied noch einmal vor Publikum an seinem Drink genippt hat, beginnt das Set mit dem meditativ anmutenden Klavierintro von “Once Upon a Poolside”. Plötzlich merkt man, wie laut die Einlaufmusik war, denn plötzlich ist es ganz leise – auch im Publikum. Die Leinwand, die noch den leeren Backstagebereich zeigt, wechselt auf schwarz. Ein sehr gelungener Stimmungswechsel, der die Aufmerksamkeit voll auf die Musik lenkt. “Don’t make this any harder, everybody’s waiting” fängt Berninger in seiner markanten Baritonstimme an zu singen, davon, wie es sich anfühlt, jede Nacht trotz starker Depression auf die Bühne zu treten und in die Rolle des Frontmanns zu schlüpfen. Nicht viele Konzerte fangen damit an, dass der Sänger berichtet, wie schwer es ist aufzutreten. The National aber darf das, denn genau darum geht es in ihrer Musik: Sich als Männer mittleren Alters einzugestehen, keinen Schimmer vom Leben zu haben, sich der eigenen Zerbrechlichkeit, Ungewissheit und dem Scheitern zu stellen und sich diesen Dingen gegenüber anderen zu offenbaren. Ein durchaus modernes Männlichkeitsbild, dem sich kaum eine andere Band in dieser Intensität verschrieben hat. Schade nur, dass diese durchaus poetischen und anspruchsvollen Texte akustisch an diesem Abend schwierig zu verstehen sind.
Auch optisch sticht Berninger als einziger Anzugträger unter seinen vier T-Shirt- und Jeansträgerkollegen deutlich hervor. Er nutzt den Raum auf der Bühne ausgiebig für seine tranceartigen Bewegungen. Dass er sich für diese Bühnendarstellung immer noch maßvoll der berauschenden Wirkung von Alkohol und Cannabis bedient, gibt er in Interviews offen zu. Passend zu seinen Texten wirkt Berningers Bühnenperformance zerbrechlich, introvertiert und in Melancholie schwelgend – gleichzeitig aber in allen diesen Dingen selbstbewusst. Der Sänger beweist hier, dass ein guter Frontmann nicht zwangsläufig eine energiegeladene Rampensau sein muss. Auch Schwermut kann Teil einer überzeugenden Bühnendarstellung sein.
Wie schon beim Support-Act offenbaren die dicht instrumentierten Arrangements von The National die akustischen Probleme des Zeniths als Konzerthalle schonungslos. Das sorgfältig arrangierte Gitarrenaquarell von Aaron und Bryce Dessner verschwimmt bei lauteren Songs oft zu einem undefinierten Gewittergrollen. Um diese Probleme zu kaschieren, dominieren der Schlagzeugsound und Matt Berningers Gesang den Mix. Gitarren, Bass, das Bläserspiel der beiden Begleitmusiker und Klavier sind etwas unterrepräsentiert, interessante Details in den Arrangements gehen dadurch verloren.
Spätestens nach der Hälfte des fast zweieinhalbstündigen Sets macht dieser Klang das Konzerterlebnis sehr anstrengend. Zudem klingen viele der 28 Songs so ähnlich, dass sich die zweite Hälfte etwas anfühlt, als hätte man viele Songs bereits gehört. Der Großteil der Songs besteht aus Variationen desselben treibenden Schlagzeuggrooves (mit sechzehntel Hi-Hat und synkopischen Snare-Akzenten – meistens sogar im gleichen Tempo). Zwar gehört dies zum unverkennbaren Stil von The National, der für die Band offensichtlich seit zwanzig Jahren funktioniert und ihnen eine – für ihren unkommerziellen Musikstil – überraschend große weltweite Fanbase eingebracht hat. Allerdings ist es nur mit diesen Songs schwer, den für ein so langes Konzert nötigen Spannungsbogen zu erzeugen. Man fragt sich, welchen Mehrwert die Band glaubt ihren Fans mit einer so langen Konzertdauer zu bieten. Nach 105 Minuten laufen regelmäßig Leute aus dem vorderen, abgesperrten Bereich heraus und wieder herein, sei es um sich noch einmal Bier zu holen oder auf Toilette zu gehen. Im Publikum ist eine deutliche Ungeduld zu spüren. Als die Band schließlich von der Bühne geht, erwartet man noch die üblichen ein bis zwei Zugaben – stattdessen kommen fünf. Die erste Zeile Matt Berningers „Don’t make this any harder, everybody’s waiting” spiegelt nun die Stimmung im Publikum wider.
Angesichts der großen musikalischen Bandbreite der Nebenprojekte der beiden Dessner-Brüder (Aaron Dessner hat bspw. die beiden hochgelobten Pandemiealben von Taylor Swift produziert, Bryce Dessner ist Komponist für Filmsoundtracks) kann der Umstand der mangelnden Varianz zwischen den Songs kaum an mangelnder Kreativität der Bandmitglieder liegen. Vermutlich setzt man einfach auf eine bewährte Formel, anstatt das Risiko einzugehen, mit einer musikalischen Weiterentwicklung langjährige Fans zu verschrecken.
Man muss allerdings anerkennen, dass The National diese bewährte Formel extrem gut beherrschen. Es gibt nicht viele Bands, die die dunklen Seiten des menschlichen Seins so schonungslos und ungefiltert in Musik umsetzen. The National klingen nicht schön, sollen sie aber auch nicht, denn auch eine Depression fühlt sich nicht schön an. Vielmehr klingen sie wie ein Nebel aus Schwermut und emotionaler Distanziertheit. Wenn man weiß, was man von einem The National-Konzert zu erwarten hat und bereit ist, sich von diesem Nebel knapp zweieinhalb Stunden einhüllen zu lassen, wird man von der Band sicherlich nicht enttäuscht.
Setlist: Once Upon A Poolside / Eucalyptus / Tropic Morning News / New Order T-Shirt / Don’t Swallow The Cap / Bloodbuzz Ohio / The System Only Dreams In Total Darkness / I Need My Girl / This Is The Last Time / Baby, We’ll Be Fine / Secret Meeting / Apartment Story / Lemonworld / Conversation 16 / Alien / Grease In Your Hair / Deep End (Paul’s In Pieces) / Smoke Detector / Day I Die / Rylan / England / Graceless / Fake Empire – Zugaben: Light Years / Mr. November / Terrible Love / Space Invader / About Today
Bericht: Eric Voigt
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