In der monotonen Dystopie – „1984“ im Hoftheater (Kritik)

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Es ist Vorweihnachtszeit! Sofern Covid keinen Strich durch die Planung macht, werden in Kirchgemeinden Krippenspiele und in vielen Theatern Weihnachtsmärchen geprobt: Hänsel und Gretel, Frau Holle, Die Schneekönigin, aber auch zeitgenössischere Stoffe wie Rudolph, das Rentier – die Liste ist lang. Selbst viele staatliche Theater, die sich übers Jahr nun eher den ernsten Themen widmen, ziehen im Dezember mit Familienstücken die kleinen Gäste in die Säle; oder wie das Residenztheater dieses Jahr: vor die Bildschirme (mit dem Format ‚Resi sendet für Kinder‘). Umso bemerkenswerter, dass sich ein kleines, ganz frisches Theater im Münchner Süden einem dem Klassiker dystopischer Literatur annimmt. „1984“ steht auf dem Spielplan des Hoftheaters im Stemmerhof zwischen Theresienhöhe und Harras. Die Produktion von Johannes Pfeifer feierte am Mittwoch, 24. November 2021 München-Premiere und überzeugt sofort.

Allein mit dem Spielplan positioniert sich das Theater als ein Ort für Unterhaltung und geselliges Verweilen bei Jazzmusik und zugleich als Hort der Inspiration und der geistigen Herausforderung. Das ist deshalb auffällig, weil viele Privattheater mit ’seichter Kost‘ auf Nummer sicher gehen, schließlich sind sie nicht mit hohen Summen staatlich gefördert und möchten daher ein Publikum anziehen, das vor allem eines möchte: eine gute Zeit, für die man gern Geld ausgibt. Diese hat man bei 1984 in jedem Fall auch, jedoch nicht weil der Stoff so belanglos und unterhaltsam ist. Mit schlichtem Bühnenbild in monochromer Farbgebung (Steven Koop) und einem ebenso einheitlichen Kostümbild (Johanna Bogner) fallen die Parallelen zur bekannten britischen Verfilmung aus dem Jahr 1984 ( 😉 ) auf. Mit einem Ensemble von fünf Darsteller*innen wird die Geschichte des Außenseiters Winston (Peter Kremer) im Kontrollstaat der Zukunft erzählt. Der alles beherrschende ‚Big Brother‘ der Handlung wird dabei von einem Bildschirm, projiziert auf eine Leinwand in der Mitte der Spielfläche, dargestellt, vor dem sich Protagonist Winston bei seinen rebellischen Tagebucheinträgen stets in einer Ecke der Bühne zu verstecken scheint. Die reduzierte Ästhetik der trostlosen Welt findet sich nicht nur im Bühnenbild wieder, sondern auch im Raum des Hoftheaters, welcher hier und da die unverputzte Ziegelwand blicken lässt. Durch den kleinen Raum des Theaters ist das Publikum umso direkter in die beklemmende Handlung eingebunden.

Laura Antonella Rauch fällt schon bei Ihrem ersten Auftritt nicht nur durchs Kostüm auf, sondern auch ihr Spiel sticht hervor. Sie spielt extrovertiert. Was zu Beginn noch überambitioniert wirkt, erklärt sich mit fortlaufender Handlung, schließlich ist Julia im Stück jene, die ihre Rebellion durch eine auffällige Linientreuheit zu verbergen zu sucht. Mit viel Liebe zu Detail werden Szenen wie die Begegnungen zwischen Winston und dem Besitzer des Kramladens (Christian Buse) aufgebaut. Umso schmerzhafter ist dann der Moment, an dem sich ebendieser als Verräter und Vertrauter des Systems herausstellt. In der Gesamtheit schafft die Produktion es so, das Publikum emotional abzuholen, mit in die monotone und gehirngewaschene Welt zu nehmen, die George Orwell bereits im Jahr 1949 entstehen ließ. Allein im zweiten Teil des Abend geht man der Nähe zum Film etwas zu sehr auf den Leim. So ruft in der Verfilmung die Folterszene, in der O’Brien (im Stück Marcus Widmann) droht, Ratten auf Winstons Gesicht los zu lassen, wenn dieser seine Überzeugungen nicht verrate, Grauen und Mitgefühl hervor. In der Umsetzung des Hoftheaters kommen für diesen Moment zwei Folterknechte mit blutverschmierten Metzgerschützen vor, die weniger mit Gehirnwäsche als mit Halloween assoziiert werden. Die Ernsthaftigkeit der Szene wird natürlich deutlich, doch hier wäre weniger mehr gewesen.

Alles in Allem ist dieser Theaterabend aber ein großartiges Erlebnis für alle, die sich im Theater nicht nur berieseln lassen, sondern den Geist herausfordern wollen. Gerade in der Vorweihnachtszeit ist ein solches Intermezzo des netten Beisammenseins sicher hilfreich für uns verwöhnte Westeuropäer, um uns klar zu werden, dass all unser Wohlstand und unsere Freiheit nicht selbstverständlich sind und sich unser Meckern über Covid & co. doch auf hohem Niveau bewegt. Daher Hut ab für das Hoftheater, wo ein mutig gewähltes Stück ausdrucksstark umgesetzt wird.

Kritik: Jana Taendler