The Good Doctor – Haken im Backstage (Konzertbericht)

Dream Theater als Festzelt-Kapelle für das Oktoberfest bestätigt! – Nein, soweit ist es noch nicht, doch dass man in München ein Herz für Prog hat, beweist die Tatsache, das Haken am 8. März die Backstage Halle schon im Vorfeld restlos ausverkaufen konnten. Sänger Ross Jennings ergeht sich auch prompt in markigen Ansagen über die zukünftige Größe der Hallen, die er und seine Band bespielen werden. Doch ehe Haken um zehn Uhr zu Rossinis Wilhelm Tell-Overtüre (in der 8-bit-Version) auflaufen werden, gilt es noch, sich mit den beiden Supportbands der Briten zu befassen.

Ben Levin und seine Band begleiten Haken mal als Bent Knee, mal als Ben Levin Group, heute hatte es das naturgemäß schon früh volle Backstage mit letzterer zu tun. Die Amerikaner, die neben der herkömmlichen Gitarrenbesetzung auch noch mit Geige aufwarten können, lassen sogleich aufhorchen: Denn Levin baut oftmals Elemente aus dem Rap-Bereich, vornehmlich natürlich in seinen Gesangsvortrag ein. Wer jetzt an Korn und Konsorten denkt, liegt jedoch weit daneben. Seine Themen, die sich prominent mit dem Umgang mit dem teuflischen Dupel depression and anxiety beschäftigen, in allen Ehren, aber die nur manchmal durchbrechende interessante Musik, der diese Truppe offenbar fähig ist, zu einer überbreit aufgestellten Beat-Maschine zu degradieren, um Platz für fahrigen und zugleich geschraubten Conscious Rap zu machen, überzeugt nicht wirklich.

Konnte man sich bei der Ben Levin Group noch über den druckvollen (insbesondere Bass-) Sound freuen, sorgen vor allem die ersten 15 Minuten von Vola für Irritation – im Zwerchfell, dank eines überlauten Bassbereichs, der dankenswerterweise alsbald angepasst wird und den Auftritt der Dänen zu einer sehr genießbaren Dreiviertelstunde macht. Das Trio bewegt sich im Spannungsfeld zwischen einer ryhthmisch vertrackten, zentnerschweren Djent-Grundstufe und eingängigen, sich durchaus am Stadion-Pop orientierenden Melodien; der Applaus kommt nicht nur von einer fernen Menge, wie der Titel ihres aktuellen Albums „Applause of a Distant Crowd“ nahelegt, sondern nachdrücklich von vielen angetanen Konzertbesuchern direkt vor ihnen. Allein entsteht bisweilen der Eindruck, dass Volas Songs daran kranken, sich nicht von einer ihrer beiden Seiten vollständig aufrollen lassen: Zu beliebig die Melodien, zu wenig vernichtend die Riffs, jeweils für sich genommen.

Setlist: Smartfriend / Starburn / Ghosts / Your Mind Is A Helpless Dreamer / Owls / Alien Shivers / Ruby Pool / Whaler / Stray The Skies

Und eben dafür sind Haken bekannt: Wurde ihnen auch ein über jedes Maß und Ziel hinausschießendes Jonglieren mit Stilen vorgeworfen, Wert und Erfolg der Musik Hakens lässt sich sicherlich auch darauf zurückführen, dass sie, egal in welchem Medium, großartige Melodien zustande gebracht haben, dass sie mit Songs wie dem heute begeistert begrüßten „Falling Back To Earth“ zehnminütige Mitsing-Nummern im Geiste von „Child in Time“ und „Stairway to Heaven“ geschaffen haben. Und auch das neue Album „Vector“, das ungleich härter ausgerichtet ist als seine Vorgänger, lässt, genau wie die halbrunde Aufstellung der Band auf der Bühne, in der Mitte reichlich Platz für Melodien, natürlich vornehmlich transportiert und präsentiert von Sänger Ross Jennings.

Ist „Wilhelm Tell“ auch eine Oper, so würde Hakens Auftritt wohl eher in die Kategorie Operette fallen: Die Engländer verstehen unter der Genrebezeichnung Progressive Metal/Rock (zum Glück) nicht das bierernste Durchexerzieren von Konzepten, die dem Publikum am besten noch visuell unter die Nase gerieben werden, sondern profilieren sich als ernsthafte Unterhalter, Jennings zitiert den Gestus des engagierten Frontmans zwar alldieweil an, übt sich aber zugleich in vornehmer Zurückhaltung, um den fünf Instrumentalisten die Show nicht zu stehlen, und demonstriert damit anschaulich die Band als organisches Ganzes. Ein solches ist das Konzert auch insgesamt, trotzdem oder gerade weil sich Haken vor allem auf ihr neuestes Werk konzentrieren, zu gleichen Teilen spannend, konsistent und unterhaltsam.

Setlist: The Good Doctor / Puzzle Box / Falling Back to Earth / A Cell Divides / Nil by Mouth / 1985 / Veil / The Architect – Zugabe: Crystallised

Bericht: Tobias Jehle