Ein winterliches Schauermärchen – „The Snow Queen“ in der Staatsoper (Kritik)

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„Die Schneekönigin“ von Hans Christian Andersen gilt als eines der für Kinder untauglichsten Märchen, was wohl auch eines der Gründe ist, wieso es nicht zu den ganz großen Sagen der Märchenschmöker zählt. Komponist Hans Abrahamsen hat sich der Geschichte seines Landesgenossen angenommen und die Geschichte erstmals als Oper vertont, im Auftrag der Königlichen Oper Dänemark. Direkt nach der Uraufführung in dänischer Sprache wandert das neue Werk nun als englischsprachige Erstaufführung in die Bayerische Staatsoper, in der es als „The Snow Queen“ am 21. Dezember 2019 Premiere feierte.

© Wilfried Hösl

Dass eine zeitgenössische Oper von Abrahamsen musikalisch keine leichte Kost wird und wenig märchenhaft, ist doch ein wenig vorhersehbar und bestätigt sich auch in der Bühne von Harald B. Thor und insbesondere der Inszenierung von Andreas Kriegenburg, der mit der Masse von Arbeiten an der Staatsoper fast schon zum Inventar gehört. Wie eine Spieluhr öffnet sich die große mittlere Kuppel, die an eine dreckige Psychiatrie erinnert und auch im weiteren Verlauf mit Kostümen (Andrea Schraad) und Darstellungen das betont. Das Hauptszenario: die exakte Märchen-Storyline. Gerda und Kay gibt es dabei aber dreifach zu sehen – als Kinder, als (stummes) Schauspiel-Paar und als Sängerinnen-Paar. Am prägnantesten ist dabei die Kombination von Sopranistin Barbara Hannigan als Gerda und Schauspieler Thomas Gräßle, ehemals am Residenztheater, als Kay. Er ist es auch, der anfangs einen geistig mit sich kämpfenden Charakter darstellt, der erst mit der Rettung vom Palast der Eiskönigin wieder gerettet wird und auftaut. Ein wildes Durcheinander, musikalisch als auch bildlich – und dennoch überzeugend.

Zwar verfängt sich Abrahamsens Musik vor allem zu Beginn in der Atonalität, holt aber im Laufe der Oper zum wahren musikalischen Rundumschlag aus und verpasst jedem Charakter eine individuelle Note, die eben nicht nur die einzelnen Figuren, die gerne mal von den gleichen Akteuren gespielt werden, hervorhebt, sondern auch die musikalische Abwechslung, welche vom Bayerischen Staatsorchester unter Leitung von Cornelius Meister lobenswert umgesetzt wird. Die Inszenierung hält es da ähnlich – Kriegenburg bietet eine Reihe an Interpretationsmöglichkeiten und lässt zeitweise ein wildes Traum-im-Traum-im-Traum-Szenario entstehen, das kurzzeitig durcheinanderbringt, aber auf verschiedenen Ebenen das Publikum dauernd zum strikten Aufpassen auffordert. Einzig eine Richtung oder einen Vorschlag hätte er zum Ende noch darlegen können – so tollt das Ensemble lächelnd minutenlang im Kunstschnee umher, bevor das Licht ausgeht.

© Wilfried Hösl

Zu erwarten ist es bei Unwissenheit über die Geschichte nicht unbedingt – die Interpretation der Krähen, des Königspaares, selbst der Alten Frau, bringen etwas ungemein Unheimliches mit sich, auch die etlichen Krankenhaus- und/oder Psychiatrie-Metaphern machen die gesamte Oper kaum für Familien geeignet und reihen sich in bester Manier zur Kritik der Märchengeschichte ein. Hannigan und Rachael Wilson als Kay wissen aber gesanglich absolut zu begeistern, insbesondere auch die männliche Eiskönigin und das gewitzte, aber verletzliche Rentier, beides dargestellt von Peter Rose, erhält abschließend außerordentlich viel Applaus. Nette Einfälle wie der singende Frauenchor mit verblumten Gesichtern, die ebendiese im Garten der Alten Frau musikalisch mimen, sind zwar, wie oftmals, anfangs befremdlich, lassen aber die gesamte Oper zu einem cleveren Gesamtkonstrukt verschmelzen, das wohl erst auf dem zweiten Hörer oder Blick vollends zu gefallen weiß. Ein Schauermärchen – mit Happy End.

Kritik: Ludwig Stadler