Es ist eben eine dieser echten lebenden Legenden, die an diesem Sonntag, 26. Mai 2019, in der restlos ausverkauften Olympiahalle ihren gebührenden Abschied feierten: Elton John. Obwohl am Donnerstag erst sein großes Biopic „Rocketman“ auf die Leinwand kommt und der Musiker derzeit wieder in aller Munde ist, hat sich der Brite im Januar 2018 dazu entschlossen, auf seine letzte große Tournee zu gehen und anschließend seine Live-Karriere zu beenden. Mit mittlerweile 72 Jahren eine wohl mehr als legitime Entscheidung, zudem er sich natürlich auf ausufernde und jahrelange Reise durch die Welt begibt, um noch einmal allen die Möglichkeit zu bieten, ihn zu sehen. In München wurde das bestens angenommen: zwei Abende hat der Musiker in Windeseile ausverkauft, dem ersten wohnen wir heute bei.
Kurz nach 19 Uhr erlischt das Licht. Eine Vorgruppe gibt es nicht. Braucht es auch wahrlich nicht, denn was folgt, ist ein fast dreistündiges Feuerwerk an Elton John-Musik, ein großes Fest der Live-Musik. Deutsche Musik-Prominenz von Peter Maffay und Campino zeigen sich ebenso wie das gesamte Aufgebot von Presseleuten der großen Zeitungen – Elton John ist eben ein großes Thema, auch noch im Jahr seines Abschieds. Als er die Bühne betritt, springt auch sofort die gesamte Halle von ihren Stühlen, um dem Meister zuzujubeln. 11.500 Menschen, eine irrsinnige Masse – und nach jedem einzelnen Song wird ausgiebig geklatscht und ganz klischeehaft vom Stuhl aufgesprungen. Ob das nicht leicht übertrieben ist? Nein!
72 Jahre schreibt der britische Entertainer mittlerweile, seine Stimme ist deutlich dunkler geworden, die Kopfstimmen-Parts meidet er größtenteils. Dennoch brilliert er im Gesang, ist tonsicher und kann vor allem in den Balladen vollends überzeugen. Am Piano bleibt er wohl ungeschlagen, über die gesamte Zeit klimpert er sich schnell und motiviert durch seine Diskografie, ist um kein langes Solo verlegen und spielt auch sonst deutlich in der Liga seiner Mitmusiker, teilweise sogar etwas drüber hinaus. Diese Mitmusiker sind teilweise jahrzehntelange Weggefährten Johns, wie beispielsweise der in München lebende Percussionist Ray Cooper, der mit solch einer Euphorie in die Trommeln schlägt, dass er dem Star des Abends nicht nur einmal die Show stiehlt, teilweise sind sie erst seit kurzem in der Formation dabei, wie Gitarrist John Jorgenson, der ein wenig wie die zwanzig Jahre ältere Version von Joe Bonamassa aussieht – und auch so spielt! Musikalisch, da gibt es wohl wenig zu entgegnen, sind diese 160 Minuten auf allerhöchstem Niveau.
Und natürlich sind sie dabei, die Hits von „I’m Still Standing“ bis „Your Song“. Vor „Believe“ setzt Elton John zu einer ausführlichen Ansage über seine Aids-Foundation an – und geht dabei noch drüber hinaus, wird deutlich politisch. Er wolle das Stigma um die Erkrankung bekämpfen, bezahlbare Medikamente erreichen. Außerdem sei er „so sick of Britain and Brexit“. Er ist ein Europäer! Nach diesem Aufruf springt die Menge jubelnd auf – what a statement, am Tag der Europawahl, von einem Künstler, der nie großartig durch Politik aufgefallen ist. „I Guess That’s Why They Call It The Blues“ kommt zwar ziemlich zu Beginn, aber genau dieser setzt ein, als um 21:45 Uhr der letzte Ton von „Goodbye Yellow Brick Road“ gespielt ist. Es hätte noch ewig so weitergehen können, und ja, „Crocodile Rock“ und die „König der Löwen“-Nummern haben gefehlt, aber man kann eben auch nicht alles unterbringen. Es war ein würdiger Abschied – am 5. Juli folgt der zweite, wieder restlos ausverkauft. Mach’s gut, Sir Elton John!
Setlist: Bennie And The Jets / All The Girls Love Alice / I Guess That’s Why They Call It The Blues / Border Song / Tiny Dancer / Philadelphie Freedom / Indian Sunset / Rocket Man (I Think It’s Going To Be A Long, Long Time) / Take Me To The Pilot / Sorry Seems To Be The Hardest Word / Someone Saved My Life Tonight / Levon / Candle In The Wind / Funeral For A Friend/Love Lies Bleeding / Burn Down The Mission / Daniel / Believe / Sad Songs (Say So Much) / Don’t Let The Sun Go Down On Me / The Bitch Is Back / I’m Still Standing / Saturday Night’s Alright For Fighting – Zugaben: Your Song / Goodbye Yellow Brick Road
Bericht: Ludwig Stadler