Rendezvous am Valentinstag – Ute Lemper im Deutschen Theater (Kritik)

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Es ist Februar, es ist Ballsaison! Fast jeden Abend richtet das Deutsche Theater eine andere Feierlichkeit aus. Vom Bal Classique bis zum Rock That Swing Ball ist alles vertreten. Doch an diesem 14. Februar 2023 wird anlässlich des Valentinstages eine Ausnahme gemacht. Der große Saal wird zum Varieté, denn statt Sitzreihen erstrecken sich Dinner-Tische durch den gesamten Raum und selbst auf den Rängen sind Tische eingedeckt. Um wirklich den Eindruck einer eleganten Soiree zu erzeugen, stehen die Tische allerdings etwas zu eng, ist die Bestuhlung etwas zu ambitioniert. Schaut man aus dem zweiten Rang hinab, fühlt man sich eher an einen Abiball erinnert. Auch das Finden der Plätze und die Abendkasse sind eher durcheinander, schließlich wurden drei geplante Abende auf diesen 14. Februar zusammen gelegt.
Woran lag es? Nicht genug Interesse? Dabei hatten doch der Münchner Merkur und München TV ausgiebig über diesen Abend berichtet: ‚Ute Lemper – Rendezvous mit Marlene‚.

Lemper ist bekannt von der Theater- und Musicalbühne ebenso wie aus Film und Fernsehen, erst 2022 beeindruckte sie in der ProSieben-Show „The Masked Dancer“. Der Bühnenikone Marlene Dietrich fühlt sie sich schon seit Jahrzehnten verbunden. Doch kann man diesem Erbe überhaupt gerecht werden? Bereits in den 1920er Jahren schaffte die Berlinerin den Sprung nach Hollywood und war eine der ersten, die durch ihre Filme das Phänomen ‚Filmstar‘ auslöste. Selbstbewusst und unabhänging gilt Marlene Dietrich seit jeher nicht nur Sängerinnen und Schauspielerinnen, sondern Frauen im Allgemeinen als Vorbild. Daher möchte Ute Lempter mit ihrem Bühnenabend in Form einer One-Woman-Show ihre Verehrung zum Ausdruck bringen. Man kann vorweg nehmen: es ist nicht Marlene Dietrich, die an diesem Abend im Mittelpunkt steht, sondern Ute Lemper. Inspiration für den Abend mit Live-Band und Gesang ist ein Telefonat, das die beiden Damen vor Jahren geführt haben. Lemper damals am Anfang ihrer Karriere, Dietrich am Ende.

Lemper, in bis zur Hüfte geschlitztem Abendkleid und transparenter Strumpfhose, versucht nachzustellen, wie sich die gealterte Marlene gefühlt haben muss. Unklar ist, ob die offensichtlichen Parallelen zwischen zwei Show-Stars dabei gewollt inszeniert sind oder unbeabsichtigt aufkommen. In den ersten Minuten imitiert Lemper die rauchige Stimme Dietrichs und singt ausschweifend Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Dabei wirkt sie allerdings ganz und gar nicht verführerisch und geheimnisvoll, sondern aufgekratzt und gekünstelt. Man fragt sich, ob sie die betrunken-melancholische Marlene spielt oder selbst vor der Vorstellung angestoßen hat, auf einen Abend, der es in sich haben möge – und er hatte es in sich. Immer wieder streckt Lemper die Beine aus dem Kleid, doch all das wirkt wenig verführerisch als eher gewollt; das liegt nicht an Lempers Alter, sondern an ihrer Ausstrahlung. Wer bei den Ankündigungen in der Presse das Bild eines unterhaltsamen Abends erhält, bei dem man Spaß hat, beschwingte Songs hört und einer vielfältigen Bühnenshow beiwohnt, der hätte wohl Lempers Beschreibung etwas wörtlicher nehmen sollen: „Ich erzähle, was mir wichtig ist an ihr und hauche ihrer Figur mein Leben ein. Es ist eine Verschmelzung von ihr und mir.“ Denn hier erzählt Ute Lemper, was Ute Lemper wichtig ist und Ute Lemper haucht Marlene Dietrich Ute Lempers Leben ein. Selbstverwirklichung ist wohl der treffendste Begriff dafür.

Ironisch ist dabei, dass Dietrich bei dem Telefonat, auf dem alles aufbaut, schon eine dem Leben und der Karriere nachtrauernde ältere Dame gewesen sein muss, wird ihr doch in den Mund gelegt, Lemper solle aufhören, Marlene zu spielen, denn sie, also Marlene, könne das doch selbst viel besser. Und jetzt steht da eine Ute Lemper, deren größte Erfolge schon etwas hinter ihr liegen, und gibt genau das gleiche Bild wie Marlene vor all den Jahren ab. Es hätte auch ein intelligenter, selbstreflexiver Abend werden können, mit der Frage, wie man selbst mit dieser Karriere-Retrospektive umgeht. Selbstironisch und witzig hätte es sein können. Doch gerade weil Lemper gar nicht merkt, wie sehr sie der gealterten Marlene gleich, wirkt alles sehr absurd.

© Brigitte Dummer

Der Humor an diesem Abend beruht auf dem immer wiederkehrenden Witz, wie viele Männer (und Frauen) Marlene doch verführt habe und wie viel Alkohol sie doch trinke. Besonders anspruchsvoll hätte der Abend auch werden können, da es Lemper wichtig war, auch Dietrichs Verhältnis zu Deutschland, zu den Juden, den Nazis zu zeigen. In der Umsetzung kommt diese Auseinandersetzung allerdings so langatmig daher, dass einige Zuschauer, die in der Pause die Show verlassen, sich an eine öffentlich-rechtliche Dokumentation über das Dritte Reich nach 22 Uhr erinnert fühlen: Im Hintergrund werden auf die Bühnenrückwand ‚zur Show passende‘ Bilder projiziert. Einen Tag nach dem Jahrestag des Bombenanschlages auf Dresden, eine Woche nach einem der schlimmsten Erdbeben in Europa dienen Bilder von zerstörten Städten als Hintergrund für Ute Lemper, um am Valentinstag im Glitzerkleid sich selbst zu inszenieren. Das ist keine Hommage, das ist Aneignung. Besonders unangenehm ist der Moment, als auf der Bühnenrückwand das Bild eines Kindes in Nazi Uniform erscheint und keine Minute später ‚Herr Soldat, ist das eine Pistole in Ihrer Hose oder freuen Sie sich mich zu sehen?‘ als Witz in einer ’netten Anakdote‘ gerissen wird. Da lacht man aus Verlegenheit, weil es so geschmacklos ist.

Ist der 24-jährigen Ute Lemper denn am Telefonat nicht schon aufgefallen, dass es sich bei der gealterten Marlene nur noch um ein an der Vergangenheit hängendes Abbild ihres früheren Ichs gehandelt haben muss? Scheinbar nicht. Für die Songs nimmt sich Lemper extrem viel Zeit und versucht vor allem das Ende jedes Liedes besonders kunstvoll auszugestalten. Am Ende bewahrheitet sich ein unangenehmes Vorurteil: Schauspieler*innen möchten im Mittelpunkt stehen, daher brauchen sie Regisseur*innen, Dramaturg*innen und Texte, mit deren Hilfe sich die Ambition der Schauspieler*in in ein Format bringen lässt, dass der Person schmeichelt. Marlene Dietrich war eine inspirierende Persönlichkeit, Ute Lemper eine großartige Sängerin und Schauspielerin, man hätte die beiden nur gut zusammenführen müssen.

Kritik: Jana Taendler