Das Glück war doch zum Greifen nah – „Eugen Onegin“ im Gärtnerplatztheater (Kritik) 

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Das Staatstheater am Gärtnerplatz feiert mit „Eugen Onegin“ am 8. Oktober 2020 die erste Premiere der neuen Spielzeit 2020/2021. Zwar läuft der Spielbetrieb bereits seit Mitte September, jedoch hat man sich mit der neusten Opern-Inszenierung lieber etwas Zeit gelassen. Das Auftragswerk des Gärtnerplatztheates ist eine reduzierte Orchesterfassung der Tschaikowski Oper „Eugen Onegin“, basierend auf dem gleichnamigen Versroman des russischen Autor Alexander Puschkin. 

Unter der Regie von Ben Baur ist eine wunderschöne Inszenierung entstanden, die in ihrer Bildkomposition und Ästhetik an Verfilmungen anderer Literaturklassiker erinnert. So verführt das schlicht gehaltene, jedoch monumental hochragende Bühnenbild in einen eleganten Landsitz, der gleichermaßen aus Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ oder Tolstois „Anna Karenina“ stammen könnte. Durch fabelhaftes Lichtdesign und die wunderschönen Kostüme von Uta Meenen entstehen in dieser Produktion ausdrucksstarke Bilder, deren Atmosphäre und Ästhetik ihresgleichen suchen. 

© Christian POGO Zach

Vor diesem Hintergrund brillieren die Darsteller in ihren Rollen. Mária Celeng durchläuft als Protagonistin Tatjana einen enormen Wandel von einer jungen Elisabeth-Benennt-gleichen Träumerin hin zu einer starken, vom Leben geprüften Frau, deren Pflichtbewusstsein und Loyalität sich nicht durch Schatten aus der Vergangenheit verändern lassen. Stimmlich beeindruckt Celeng mit lebendigen Emotionen und facettenreichen Klangwelten, die den mehrfachen Szenenapplaus mehr als verdient haben. Matija Meić in der Titelrolle gibt den dazu passenden etwas verkühlten Mister Darcy, der die Liebe Tatjanas erst als mädchenhafte Schwärmerei abtut, schlussendlich sein Handeln jedoch schmerzlich bereut.

© Christian POGO Zach

Auch Matija Meić kann, wie alle Darsteller, in seiner Rolle überzeugen und zieht das Publikum mit sich in seiner sich abwärts drehenden Spirale: erst lehnt er Tatjanas Zuneigung ab, dann erschießt er seinen besten Freund in einem Duell und zuletzt muss er mit ansehen, wie Tatjana seinem Liebesgeständnis entflieht und ihrem Mann treu bleibt statt mit ihm durchzubrennen. Emma Sventelius und Alexandros Tsilogiannis ergänzen Celeng und Meić als zweites ebenfalls unglückliches Liebespaar, das zunächst noch frisch verliebt und zuversichtlich, später durch Eifersucht und Unverständnis sich in den Ruin stürzt. In all dem Liebeschaos gibt es auch Momente, die das Publikum zum Schmunzeln bringen können: Anna Agathonos als greise, schrullige Amme verleiht den emotionsgeladenen Momenten einen Hauch Humor mit ihrem detaillierten Spiel und Juni Bichler aus der Kinderstatisterie als junge Tatjana ist einfach nur unglaublich süß anzusehen. 

Es bleibt zu sagen, dass Anthony Bramall (Musikalische Leitung), dem Orchester des Gärtnerplatz in der knapp drei Stunden langen Aufführung einiges an Tempo und Leistung abverlangt, jedoch sind es gerade die sanften „lyrischen Szenen“, welche die Zuschauer berühren und bewegen. „Eugen Onegin“ als erste Premiere der neuen Spielzeit ist für alle Opernfans sichtlich ein Erfolg, das Warten hat sich also definitiv gelohnt. 

Kritik: Anna Matthiesen