Krieg aus, Friede überdrüssig – „Einer gegen alle“ im Residenztheater (Kritik)

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Sobald irgendwo Oskar Maria Graf draufsteht, eilen die Münchner hin. In der Forschung wird dieses Phänomen schon humoristisch gesehen, wurde der Bäckersjunge aus Berg bei Starnberg zu Lebzeiten doch zumeist belächelt und hat erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs überhaupt etwas Aufmerksamkeit bekommen. Zu spät für Graf, der bereits in New York seine neue Heimat gefunden hat und den Deutschen die NS-Zeit niemals verzeihen konnte. Besonders ausführlich geht es in seinen Werken aber um die Zeit der Räterepublik, der Weimarer Republik und allgemein der Zeit der Aufstände nach dem Ersten Weltkrieg in München. „Einer gegen alle“, sein Roman aus dem Jahr 1932, dreht sich genau darum. Das Residenztheater bringt eine Bühnenfassung, Premiere am 9. Oktober 2020.

© Birgit Hupfeld

„Et in Arcadia ego“ steht da in blutroter Schrift inmitten des Bühnenbilds, das eine Mixtur aus Bauerntheater-Setting und Geisterbahn darstellt. Et in Arcadia ego. Sinnkontextuell übersetzt: der Tod ist überall. Im Krieg, aber auch im Frieden. Die Radikalisierung der verschiedenen Sichtweisen sind schon immer ein schwerpunktmäßiger Forschungspunkt Grafs gewesen, oft autobiografisch, immer hochpolitisch. Auf der Bühne gelingt das alles bildstark, manchmal aber auch einfach nur seltsam-zusammenhanglos, wenn in Geistergewändern musiziert wird. Wie Episoden schimmern die verschiedenen Meinungen in Alexander Eisenachs Inszenierung durch: Der CSU-konservative Wutbürger Alois Löffler, der patriotisch-radikale NS-Vorreiter Toni. Und inmitten darin: Girgl Löffler, Bruder des Alois und kriegstraumatisierter Umtriebener. Im Krieg gemordet, im Frieden gefangen und letztendlich inmitten dessen dabei, seinen Weg zu finden. Doch seine Traumatisierungen auf dem Schlachtfeld lassen ihn immer wieder in dunkle Gegenden vordingen: als Bankräuber, als Prediger und schlussendlich: als Mörder im Frieden. Elias Eilinghoff zerdeppert dazu ganz coronakonform eine Wassermelone und stellt die letzte Stufe der Selbstfindung des Girgl da, bevor er ein letztes Mal nach Hause zurückkehrt.

© Birgit Hupfeld

Nicht nur Eilinghoff, auch Vincent Glander und Christian Erdt sind Girgl – verschiedene Facetten vom Schweigsamen bis Kriminellen. Recht zu Beginn persifliert ein kamerabegleiteter Dialog zwischen Glander und Myriam Schröder schier kongenial den oft plumpen, altbackenen Kriminalfilm. Allgemein ist sich Eisenach der Persiflage als Mittel bewusst und lässt Lukas Rüppel auch als Oskar Maria Graf selbst, der dem Kriegsdienst durch das Spielen einer Nervenkrankheit entfliehen konnte, in Form des Poetry-Slammer „OMG“ agieren. Besonders großartig auch: eine Szene im Zug mit drei konservativen Klischee-Deutschen, die allerlei Vorurteile um sich werfen, welche im Wortlaut wohl damals wie heute immer noch an der rhetorischen Tagesordnung zwielichtiger Gruppen stehen dürfte. Doch Girgl ist zu verletzt, zu geschädigt, er entkommt seinem eigenen Trauma nicht. Am Ende erhängt er sich. „Krieg aus, Friede überdrüssig“ hinterlässt er in Zettel-Form.

Als exemplarisches Bild einer ganzen Generation verfasst Graf diese seelische Zerrissenheit des Girgl. Sympathie baut man mit der Figur nicht auf, Antipathie allerdings auch nicht – sie bleibt allein schon durch die personelle Mehrteilung nicht greifbar, nur ein Flimmern auf der Bühne. Oft scheint es, als geht es mehr darum, Momentaufnahmen festzuhalten als tatsächlich einer stringenten Handlung zu folgen. Doch egal, welch radikalisierte Handlung gezeigt wird: letztendlich mündet alles in der Geisterbahn der Strömungen. Es dauerte Jahre, bis Graf sich wieder aus der Nervenheilanstalt Haar befreien konnte – auch, weil er mit der Zeit wirklich verrückt wurde. Der Krieg, sagte er, machte ihn verrückt, nur eine menschliche Reaktion. Girgl macht auch der Frieden verrückt, er findet nirgendwo seine Ruhe, sondern nur den allgegenwärtigen Tod. Et in Arcadia ego. Und das Licht geht aus.

Kritik: Ludwig Stadler