„New York in 24 Stunden“ könnte ein Kapitel im Marco Polo-Reiseführer sein. Für jene USA-Reisenden, die in kurzer Zeit so viel wie möglich sehen wollten. Das wollen die Protagonisten in Leonard Bernsteins Debüt-Musical „On the Town“ auch, es feierte am Freitag im Staatstheater am Gärtnerplatz Premiere. Anders als abenteuerlustige Touristen, sind die drei Matrosen aber gezwungen, den einen Tag perfekt zu nutzen, denn sie müssen, ganz in Cinderella-Manier, um Punkt 6 Uhr wieder auf dem Schiff sein.
So beginnt das Musical mit dem eingängigen Song „New York, New York“. Die drei stürzen sich ins Gewühl der Stadt. Schon auf dem Weg zur ersten Sehenswürdigkeit werden alle Pläne über Bord geworfen, als Gabey (Daniel Prohaska) das Plakat der „Miss U-Bahn“ Ivy Smith (Julia Klotz) entdeckt. Wer das Programmheft nicht liest, ist an dieser Stelle bereits skeptisch. Doch diesen Titel gab es in den 1940ern tatsächlich! Der ganze Plot sollte wohl im Lichte des zweiten Weltkrieges, der glorifizierten Soldaten, der Neuentdeckung der Rolle der Frau gesehen werden. Loyal wie Kameraden sind, machen sie sich getrennt auf die Suche nach Miss Smith.
Bereits im Taxi kommt Matrose Chip (Boris Pfeifer) von seiner Mission ab. Die selbstbewusste Fahrerin Hildy Esterhazy (Sigrid Hauser) drängt den jungen Mann, mit in ihre Wohnung zu kommen. Was eine Lovestory sein könnte, ist tatsächlich Belästigung und zeigt keine unabhängige Frau, sondern eine notgeile, schrille Schnalle! Sigrid Hauser muss dennoch gelobt werden, denn diese Charakterzüge brachte das Libretto (aus dem Jahr 1944 von Betty Comden und Adolph Green) hervor! Gespielt und gesungen wird die überzeichnete Figur von Hauser wirklich treffend. Zum Teil sehr lustig, in ihrer obszönen und pragmatischen Art. Das Publikum hat seine Freunde.
Matrosenkollege Ozzie (Peter Lesiak) ergeht es nicht viel anders. Er sucht Ivy im Museum of Modern Art, wo sie Malerei studiert. Allerdings geht er ins National Museum of History (warum auch immer). Forscherin Claire de Loone (Bettina Mönch) erleidet trotz ihrer wissenschaftlichen Betrachtung des Mannes ab und an „Rückfälle“ in die Nymphomanie und schmeißt sich Ozzie direkt an den Hals. Der ist nicht abgeneigt.
Gabey schließlich findet die Ersehnte beim Musikunterricht in der Carnegie Hall. Am Abend treffen die drei Freunde, zwei davon mit Frauen, die ihnen praktisch nachlaufen, wieder zusammen. Allein Ivy erscheint nicht zum Date. Nachdem die Gruppe durch immer schlechter werdende Bars zieht, findet sie Miss U-Bahn doch in einem Club, wo sie mit Bauchtanz Geld für die Schulden bei der Gesangslehrerin verdient. Nach so vielen überraschenden Ereignissen begeben sich die Jungs wieder aufs Schiff und neue Matrosen kommen von Bord, um einen aufregenden Tag in New York zu verbringen.
Um diesen Plot auszuarbeiten, haben sich die Autoren ein halbes Jahr intensiver Arbeit und höchste Ansprüche hergenommen. Ein Stück für die Jugend sollte es sein und dazu weder billig noch affig wirken. Die Story sollte von Tanz und Musik nicht unterbrochen, sondern ausgeschmückt und bestärkt werden. Das hat hier leider nicht geklappt. Die drei Matrosen unterscheiden sich im Charakter nur marginal. Von drei „modernen Frauen“ sind zwei triebgesteuert. Ivy Smith ist das Mädchen mit großen Träumen, das die harte Realität aber kennt und damit als Figur wenigstens etwas ambivalent. Teilweise ist der Humor vulgär, die Phrasen platt. „Gabey: Du bist der Held!“. Dennoch: All das ist Kritik am Text!
Inszeniert ist dieser von Intendant Josef E. Köpplinger mit viel Liebe zum Detail und Feingefühl! Die Kostüme von Alfred Mayerhofer fallen zwar im Stil der 40er, bunt und vielfältig, aber weder aufdringlich noch zu knallig aus. Auch bei den Tänzen zwischen den Szenen, die vom Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz übernommen werden, kommen Vielfalt und Ideenreichtum zum Tragen. Die Bühne (Rainer Sinell) wandelt sich vom Hafen, zur U-Bahn, zum Museum oder dem Club. Hier wird alles geboten, was zum Musical dazu gehört. Das ist natürlich vor allem MUSIK! Die ist opulent, zackig und lädt zum Mittanzen ein. Hell und mehrstimmig haben die Titel keine Ohrwurmgarantie, sind dafür aber komplex und verlieren trotzdem nicht an Leichtigkeit. Bernstein verstand sein Handwerk, auch in seinen frühen Jahren, und Michael Brandstätter tut es noch heute, indem er diese Vorlagen als Musikalischer Leiter sehr adäquat umsetzt. Die Kraft der Sänger kann mit dem Orchester mithalten und man merkt ihnen den Spaß an der Show an. Besonders in Erinnerung bleibt Dagmar Hellberg als Gesangslehrerin Madame Dilly, alte Dame in der Bahn und überdrehte Diva in den Bars. Sie unterhält das Publikum köstlich.
Die Dramaturgie des Abends ist eine unstete, der Rhythmus ein zügiger. So passiert unheimlich viel in zweieinhalb Stunden, dafür können Situationen und Emotionen nicht richtig aufgebaut werden, sondern die Figuren kommen auf die Bühnen und sind mitten im Geschehen. Durch den einfachen Plot ist das aber nicht weiter schlimm, schließlich sind die Figuren von Anfang an klar etabliert. Vor allem die Kinder- und Jugendvorstellungen dieses Stückes sind hoffentlich gut besucht und auch internationale Gäste können gut folgen, da die Songs in englischer Originalsprache gegeben werden. Grundsätzlich kann resümiert werden: Bernstein hat aus einer komischen Story das Beste gemacht und Köpplinger mit seinem Team aus dieser Musicalvorlage ebenso.