-
Adé der Angst vor Reclam – Animal Farm im Volkstheater (Kritik)
Neben „1984“ ist Animal Farm wohl das bestbekannte Buch von George Orwell und dürfte insbesondere den Abiturient*innen hierzulande ein – zuweilen angstschweißauslösender – Begriff sein. Gerade diesen Umstand scheint sich diese bemerkenswerte Produktion unter der Regie von Sapir Heller zunächst zu eigen zu machen, wenn zu Beginn des Stücks ein sprechender Golden Retriever mit einem Heftchen des wohl meistgehassten Bücherverlags Reclam im Maul die Bühne betritt. Eines wird dem Zuschauenden damit sofort klar: Man hat sich gewiss nicht in der Tür geirrt. An diesem Oktoberabend kann nur eine Inszenierung der Fabel „Animal Farm“ von Orwell aus dem Jahre 1945 auf dem Spielplan des Münchner Volkstheater stehen. Ein Blick in die…
-
Große Gefühle für große Werke – „Feeling Faust“ im Volkstheater (Bericht)
I feel you! Mit Feeling Faust widmete sich das Volkstheater DEM deutschen Dichter und Denker schlechthin. DEM Stück schlechthin! Am 28. Oktober 2022 feierte der knapp zweistündige Abend Premiere vor ausverkauftem Haus. Ist ja klar, schließlich ist Faust Pflichtprogramm. Oder nicht? Ist der Stoff vielleicht längst überholt? Von anderen Stoffen und Autoren wie Büchners Woyzeck oder gar Juli Zehs Corpus Delicti? Die lebt ja sogar noch! Diese Debatte illustriert Regisseurin Claudia Bossard mit dem achtköpfigen Ensemble zunächst in einem Szenenbild (Elisabeth Weiß), das Assoziationen mit einem Fernsehstudio, einer Talkshow-Runde weckt. Das Kostümbild mit Kleidung, das eher an die 80er-Jahre erinnern als an 2022, lässt vermuten, dass Formate vom Kaliber Literarisches Quartett…
-
Doppel-Premiere in den Kammerspielen: „Nora“ und „Die Freiheit einer Frau (Kritik)
Nora oder ein Puppenheim – so wird das 1897 von Henrik Ibsen veröffentliche Stück in Deutschland häufig genannt. Stattdessen feiert an diesem 7. Oktober 2022 Nora und die Freiheit einer Frau im Schauspielhaus der Kammerspiele Premiere. Damit werden nicht nur zwei Stückvorlagen verbunden, sondern in Summe kommen gleich fünf Theatertexte zusammen und zwei Inszenierungen werden hintereinander präsentiert. Besondern hervorzuheben ist dabei das Konzept, dass man den zweiten Teil des Abends, die zweite Inszenierung, Die Freiheit einer Frau nach dem Roman von Édouard Louis, zwangsweise in der Stimmung erlebt, in der die erste einen zurückgelassen hat. Zwischen beiden liegen 30 Minuten Umbaupause. Die bewusste Entscheidung, kein großes Konglomerat um das Thema…
-
Die Weiherspiele sind zurück – mit „Das Wirtshaus im Eberwald“ (Bericht)
In diesem Sommer der endlich nachgeholten Konzerte, der wieder stattfindenden Festivals und der wieder aufblühenden Kultur, finden sich auch in Markt Schwaben die Mitglieder des Theatervereins zusammen, um ihre seit Jahrzehnten bekannten Weiherspiele zum Besten zu geben. Die Weiherspiele sind ein ganz besonderes Ereignis, scheut der Theaterverein doch keine Kosten und Mühen, um ihr Freilufttheater nicht auf einer normalen Bühne oder in einer Mehrzweckhalle, sondern auf dem Kirchweiher im Ortskern aufführen zu können. Das sorgt freilich für eine ganz besondere Stimmung, und so finden sich Darsteller*innen und Zuschauer*innen zur Premiere am Freitag, dem 1. Juli 2022 um kurz nach 20 Uhr ein, erleichtert darüber, dass der Regen aufgehört hat, und…
-
„The Harmony Game“ – Eine Verneigung vor Simon & Garfunkel im Metrolpoltheater
Auch wenn Corona, trotz der gefallenen Auflagen, immernoch in aller Munde ist, lässt sich das Metrolpoltheater davon nicht einschüchtern, und füllt den Saal komplett bei der Premiere des „Harmony Game“ am 24.04.2022. Das ist auch gut so, und man kann hoffen, dass sich der Saal auch weiterhin füllt, denn das, was Vanessa Eckart und Katharina Müller-Elmau hier auf die Beine gestellt haben ist wirklich mehr als sehenswert. Dabei ist es auch genau das, was es sein will: Eine Verneigung vor Simon & Garfunkel, einem der bekanntesten Musikduos aller Zeiten. Ein Zusammenfassung des Abends ist hier nicht schwierig: Mit Musik, Humor, viel Wissemswerten und Anekdoten aus ihrem eigenen Leben führen die…
-
Rauch in Säcken auf Bühnen in Schlössern – „Die Wolken, die Vögel, der Reichtum“ am Residenztheater (Kritik)
Texte aus der griechischen Antike sind im Allgemeinen ja beliebte Stoffe für die großen Theater, ob Ödipus, Medea oder Antigone, nach tausenden von Jahren immer noch hoch brisant für unsere heutige Zeit. Bestes Beispiel 2018 die Kammerspiele mit dem Antike-Rundumschlag „Dionysos Stadt“. Doch das Residenztheater widmet wich mit ‚Die Wolken, die Vögel, der Reichtum‚ einer Textvorlage, die in Allgemeinen wohl nicht so prominent ist wie die eben genannten – letztendlich logisch, handelt es sich schließlich um eine Uraufführung. Die Inszenierung nach Motiven von Aristophanes fasst Hausregisseur Thom Luz wie folgt zusammen: «In den letzten 2400 Jahren scheint sich die Welt kaum verändert zu haben. Unser Leben gleicht heute wie damals einem hastig…
-
In der monotonen Dystopie – „1984“ im Hoftheater (Kritik)
Es ist Vorweihnachtszeit! Sofern Covid keinen Strich durch die Planung macht, werden in Kirchgemeinden Krippenspiele und in vielen Theatern Weihnachtsmärchen geprobt: Hänsel und Gretel, Frau Holle, Die Schneekönigin, aber auch zeitgenössischere Stoffe wie Rudolph, das Rentier – die Liste ist lang. Selbst viele staatliche Theater, die sich übers Jahr nun eher den ernsten Themen widmen, ziehen im Dezember mit Familienstücken die kleinen Gäste in die Säle; oder wie das Residenztheater dieses Jahr: vor die Bildschirme (mit dem Format ‚Resi sendet für Kinder‘). Umso bemerkenswerter, dass sich ein kleines, ganz frisches Theater im Münchner Süden einem dem Klassiker dystopischer Literatur annimmt. „1984“ steht auf dem Spielplan des Hoftheaters im Stemmerhof zwischen Theresienhöhe…
-
„Ein Stück für Münchner“ – Jeeps in den Münchner Kammerspielen (Kritik)
Am 21. November 2021 gab es in den Münchner Kammerspielen mal wieder eine Weltpremiere, also eine Uraufführung zu bestaunen, was immer mit Erwartungen verbunden ist, keine Vergleiche mit vorherigen Inszenierungen ziehen zu können. Was soll den Zeitgeist denn auch besser einfangen als ein völlig neues Stück, was soll die Probleme, Wünsche und Hoffnungen der modernen Welt besser bedienen? Nora Abdel-Maksoud hat sich an diese Aufgabe gemacht und versucht nun mit Jeeps genau das zu liefern: ein modernes Problem auf eine moderne Art und Weise einem modernen Publikum vermitteln. Doch manchmal bleibt bei all dem Modernen die Essenz zurück, und am Ende kann eine Mockumentary maximal die Absurdität der Welt aufzeigen, während…
-
Zwischen Speichelleckern, Lausbuam und Rosenkränz – „Agnes Bernauer“ am Residenztheater (Kritik)
„Aber man muß die Menschen doch lieben, was soll man denn sonst mit ihnen anfangen.“ Nächstenliebe zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsschichten war seit jeher problematisch. Die Einen haben zu viel, die Anderen zu wenig. Sie sind neidisch, wollen aber trotzdem nichts geschenkt, während die, die zu viel haben, versuchen etwas abzugeben, um sich besser zu fühlen, ein reines Gewissen zu haben. Intoleranz und Unverständnis auf beiden Seiten. Ein Teufelskreis, der wohl nie ein Ende finden wird. Doch was passiert im Falle eines sozialen Aufstiegs? Für welches Leben entscheidet sich der Mensch, der beides gesehen hat? Agnes Bernauer feierte am 18. November 2021 Premiere am Cuvilliéstheater. Im Jahre 1977 erlebte Franz Xaver Kroetzs Werk seine Uraufführung. Eine Bearbeitung von Friedrich Hebbels gleichnamigem…
-
„Weißt du was, ich leide jetzt!“ – Der Selbstmörder im Volkstheater (Kritik)
Am 6. November 2021 öffneten sich im Münchner Volkstheater, wenn auch unter 2G-Regeln, wieder die Vorhänge für eine neue Premiere, für ein eher unbekanntes Stück, dafür aber mit reichlich von allem, was man sich so wünscht. „Der Selbstmörder“, so der wenig lustig Name der umso lustigeren Inszenierung. Das Stück ist wohl auch, als nur eines von zwei Stücken von Nikolai Erdman, verständlicherweise eher unbekannt, wurde der Autor doch in der Höhe seines Schaffens unter Stalin verboten und konnte erst viel später aufgeführt werden. Aber wenn man den Stoff nicht kennt, so fällt es auch schwer, eben dieses zu vergleichen; denn ein solcher Vergleich könnte bei der Aufführung im Volkstheater durchaus…