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Der aussichtslose Klassenkampf – „Der haarige Affe“ im Volkstheater (Kritik)
Die Wellen peitschen gegen den riesigen Luxusdampfer. Im Maschinenraum, einem Stahlgebilde, sitzen drei verrußte Männer und diskutieren über ihre Situation. Wer sind sie in dieser Welt der Industrie und des Stahls, was bewirken sie, wer interessiert sich für sie. Mit diesen Fragen setzt sich das Stück „Der haarige Affe“ von Eugene O’Neill auseinander, das nun unter der Regie von Abdullah Kenan Karaca im Volkstheater aufgeführt wird – und leider den Sprung ins Heute verpasst. Das Stück dreht sich dabei primär um den Heizer Yank (Jonathan Müller), der in den 20er im Maschinenraum eines gewaltigen Luxuskreuzers arbeitet. Er selbst sieht sich als Mittelpunkt der Welt, als Zahnrad in der Industrie,…
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Ein Stück Paris in München – „Paris de Nuit“ auf dem Tollwood (Kritik)
Alle Jahre wieder, so auch 2019: das Tollwood Winterfestival. Auf dem heiligen Boden des Oktoberfests, der Theresienwiese, schlagen unzählige Stände und Aktionszelte mit Kunst und Kultur, Speis und Trank ihre Pforten. Ein beliebter Anlaufpunkt für München und Umgebung – auf mehrere Hunderttausende Besucher kann das Festival jährlich zurückblicken. Bis 31. Dezember 2019 gastiert das Tollwood wieder im Herzen von München – und damit auch wieder ein Varieté, das mit fast täglichen Aufführungen lockt. „Paris de Nuit“ heißt die diesjährige Show und wird präsentiert von Recirquel, einer ungarischen Nouveau Cirque-Compagnie, die seit 2014 bereits dem Programm die Welt bereits. Im Spiegelzelt am Ende des Geländes findet die Darbietung statt, das tatsächlich…
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Vaterkomplexe und weibliche Emanzipation – „Die Räuberinnen“ an den Kammerspielen (Kritik)
Nur im Spiel, schrieb Friedrich Schiller, sei der Mensch wirklich frei und nach dieser Freiheit sehne er sich. Wie weit diese Freiheit von Regisseurin Leonie Böhm auf sein bekanntes Stück „Die Räuber“ angewendet werden kann, hätte aber Schiller selbst wahrscheinlich kaum für möglich gehalten. Wer bei „Die Räuberinnen“ in den Münchner Kammerspielen eine Nacherzählung der Geschichte Karl Moors und seiner polternden Räuberbande auf ihrem brandschatzenden und nonnenschändenden Weg zum gesellschaftlichen Umsturz erwartet, wird überrascht. Am Abend des 23. November. 2019 filetiert Böhm, die Meisterin der Reduktion, ohne falsche Ehrfurcht den alten Stoff um – wie Gro Swantje Kohlhof gleich zu Beginn in schillerschen, proklamatorischen Worten verkündet: „Das gewohnte Denken vom Geist aus…
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„Was hast du, Lulu? Nichts.“ – „Lulu“ im Marstall (Kritik)
„Lulu“ von Frank Wedekind? Das wirkt auf den ersten Blick ähnlich kreativ wie Brechts Baal und die totgeplünderten Räuber von Schiller. Natürlich hat das erotisch-verspielte Stück durchaus seinen Reiz, wohl auch in einer spröden Originalinszenierung, aber damit würde man es sich dann auch einfach deutlich zu leicht machen. Bastian Kraft hat diesen Ansatz nicht – er modelt das Verständnis um, lässt die Geschichte betrachten als sie nur zu spielen. Was genau dahintersteckt, offenbarte sich an der Premiere am 22. November 2019 im Marstall des Residenztheaters – und das kann sich sehen lassen! Dass so ein Abend gegen die Stück-Konventionen nicht gerade auch in der Besetzung eine exakte Kopie abverlangt, sollte selbstverständlich…
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Der eine macht mich zum Hund, der andere zum Gott – „Amphitryon“ im Residenztheater (Kritik)
Die Zuschauer, die am 21. Novemberabend 2019 zur Münchner Premiere von Heinrich von Kleists „Amphitryon“ im Residenztheater Platz nehmen, sehen zunächst einmal: sich selbst, in einer bühnenweiten, schräg herabhängenden Spiegelwand; und mit etwas Winken gelingt auch das Erkenne dich selbst ganz ordentlich. Erkenne dich selbst – der delphischen Aufforderung müssen – auf eine ganz verquere Art – auch Amphitryon (Florian von Manteuffel) und Sosias (Nicola Mastroberardino) nachkommen, die heimkommend aus dem Krieg sich durch Doppelgänger ersetzt finden. Zeus/Jupiter (Christoph Franken) und Hermes/Merkur (Elias Eilinghoff) haben die Plätze des Thebanerfeldherren und seines hasenfüßigen Dieners eingenommen, denn: Der Göttervater hat es auf Amphitryons Gattin Alkmene (Pia Händler) abgesehen – ob dabei die Samenlegung…
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Hier wo mein Wähnen Frieden fand – „Lohengrin“ in der Staatsoper (Kritik)
Das Nationaltheater ist ausverkauft. Richtet man einen Blick auf den Spielplan, was die Bayerische Staatsoper hier an diesem Donnerstag, 21. November 2019, dem freudig erwartenden Opernpublikum präsentiert, ist dies auch wenig verwunderlich: „Lohengrin“ von Richard Wagner. Auch wenn die Inszenierung mittlerweile vor einem Jahrzehnt Premiere feierte und man das Werk, zudem an Wagners Wirkungsstätte München, wohl schon unzählige Male sah – das Interesse ist ungebrochen. Liegt es am Libretto, der Musik, der Besetzung? Letztendlich: an allem. Allein die Besetzung liest sich wie ein Best-Of der Münchner Dauergäste, setzt man auf stimmstarke Wagner-Opern: Klaus Florian Vogt in der Titelpartie, dieses Mal Lohengrin, Anja Harteros in der weiblichen Hauptrolle, dieses Mal Elsa…
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Theater – der Dezember 2019 in München (Überblick)
Theaterübersicht für den Monat Dezember 2019! Residenztheater Premieren: – Leonce und Lena, 7.12. (14.12.) – Kassandra/Promotheus. Recht auf Welt (Marstall), 19.12. (22./28.12.) – Der eingebildete Kranke, 20.12. (23./31.12.) Reguläres Programm: – Die Verlorenen, 15./27.12. – Ronja Räubertochter, 1./8.12. – Sommergäste, 21./29.12. – Olympia In The Dark (Marstall), 3./10./29.12. – Der Riss um die Welt (Cuvilliéstheater), 1./9./12./18.12. TICKETS FÜR DAS RESIDENZTHEATER hier. Gärtnerplatztheater Reguläres Programm: – Hänsel und Gretel, 4./5./6./11./18./19./20./23./29.12. – My Fair Laidy, 21./22./30./31.12. – Der Nussknacker (Ballett), 1./12./13.12. – Pumuckl, 4./7.12. – Momo, 10./11./17./18./26./27.12. – La Bohème, 25./28.12. TICKETS FÜR DAS GÄRTNERPLATZTHEATER hier. Münchner Kammerspiele Premieren: – Lob des Vergessens (Kammer 3), 6.12. (7./8.12.) – The Vacuum Cleaner…
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Ein guter Mensch rennt nicht – „Wozzeck“ in der Staatsoper (Kritik)
11 Jahre ist es mittlerweile, dass „Wozzeck“ Premiere in der Bayerischen Staatsoper feierte. Die Oper von Alban Berg hat eine wilde Historie hinter sich, bezieht sich aber letztendlich auf Georg Büchner fragmentarisches Drama „Woyzeck“ – und wird auch ebenso szenenhaft und fragmentarisch aufgeführt. Andreas Kriegenburg inszenierte Bergs Erstling damals im Jahr 2008 – auch an diesem Sonntag, 17. November 2019, sitzt er im Publikum, fast unscheinbar und unerkannt. Dass ihn die pure Nostalgie an seine früheren Arbeiten zurückzieht, ist unwahrscheinlich; der Hauptgrund, wie für den Großteil der Besucher, ist ein Münchner Rollendebüt: Christian Gerhaher in der Titelrolle. Wie es der bekannte Münchner Bariton bisher geschafft hat, der Rolle an der…
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Neandertaler im Schlafanzug – „Ronja Räubertochter“ im Residenztheater (Kritik)
Es gibt nur wenige Bücher, die Eltern ihren Kindern generationsübergreifend vorlesen, Klassiker wie „Die unendliche Geschichte“, „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“ oder „Pippi Langstrumpf“ – „Ronja Räubertochter“ gehört ebenfalls dazu. 1981 erschienen, ist es den meisten Kindern im Publikum des Residenztheaters wahrscheinlich so bekannt, dass sie schon vorher sagen können, was jetzt gleich passiert. Das tun sie am Samstag, 16. November 2019, zur Premiere des Familienstückes auch vereinzelt im Flüsterton. Alle sind sehr aufgeregt, nicht nur die kleinen Zuschauer, sondern auch die Besetzung, schließlich handelt es sich um eine Produktion des Formates ‚Resi für Alle‘. Das bedeutet, dass einige Mitglieder der Räuberbande von Münchner Bürgern verkörpert werden, die nicht als SchauspielerInnen am…
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„Licht und Schatten, Dunst und Tod“ – Tosca im Gärtnerplatztheater (Kritik)
Alles beginnt mit einer Revolution. Österreich ist in Italien einmarschiert und hat die Monarchie eingeführt, Napoleon wurde zurückgeschlagen, und nun ist das Land in Aufruhr, gespaltet durch Monarchisten und Bonapartisten. Der ehemalige Konsul wurde gefangen genommen und in der Engelsburg eingesperrt, doch nun ist er geflohen. In dieser aufgeheizten Stimmung spielt die Oper „Tosca“ von Puccini, und nun wird sie unter der Regie von Stefano Poda im Gärtnerplatztheater aufgeführt. Dabei beginnt das Stück ganz harmlos in einer Kirche, die ebenfalls von Stefano Poda als riesiges, umgefallenes und kaum noch gestütztes Kreuz dargestellt wird. Der Künstler Mario Caravadossi (Artem Golubev) arbeitet hier an einem neuen Alterbild und an dem Bild einer schönen…