Idyllisch wirkt schon der Weg zu diesem Theaterabend, der einen ersten Blick auf das liebevoll gestaltete Bühnenbild (Franz Stetter, Michael Siegert) werfen, die Vorfreude noch größer werden lässt und zugleich in Staunen versetzt. Denn dieses schwimmt auf dem örtlichen Weiher im Zentrum der Gemeinde Markt Schwaben. Im Gespräch vor Beginn wird klar, all das hat der nun 34 Jahre zählende Theaterverein Markt Schwaben ganz allein auf die Beine, besser, auf den Teich gestellt. Nur mit den eigenen Einnahmen der letzten Jahre und einigen ortsansässigen Spendern gelang es den engagierten Vereinsmitgliedern einen Theaterabend zu bieten, der mit denen einiger Landesbühnen in Deutschland konkurrieren kann. Doch wie sah dieser aus?
Am auffälligsten für alle, die den „Brandner Kaspar und das ewig‘ Leben“ nicht kennen (soweit das in Bayern überhaupt möglich ist): Bayerisch ist die Mundart des Abends! Der Weißwurstäquator trennt die Figuren vom Rest der Welt: Den Preißn! Das Vogelgezwitscher und die schlagende Kirchenuhr des Ortes verschmelzen mit der am Tegernsee spielenden Handlung.
Es ist ein Jagdstück, das sich um den Brandner Kaspar (Franz Stetter) dreht. Dessen Ein und Alles, Enkelin Marei (Sabine Bogenrieder) sorgt sich um den Alten, vor allem, weil ihr Liebster Flori (Florian Czapek) ihn zur Wilderei überreden will, um sich etwas dazu zu verdienen. Doch die Jäger dürfen ihnen nicht auf die Schliche kommen. Mit viel Humor beginnt das Volksstück also, Wald und Jagd vermitteln Märchen-Atmosphäre. Das Publikum ist bestens gelaunt, nach einer halben Stunde wird überall selbstgemachtes oder mitgebrachtes Hochprozentiges ausgeschenkt, vertraute Stimmung beim lockeren Lustspiel! Prost! Doch auch der weitere Verlauf des Stückes, die Schlüsselszene, lässt keine Gelegenheit zum Witz aus. Boandlkramer aka der Tod (Ferdinand Maurer) stattet einen Besuch ab und will den Alten überzeugen, mit ihm ins Himmelreich zu kommen. Mit reichlich Schnaps übervorteilt Kaspar diesen jedoch beim Kartenspiel und ergaunert sich achtzehn weitere Jahre. Merke: Naht sich der Tod, lad‘ ihn zum Kirschschnaps ein! Dann poltert er besoffen gegen den Rahmen anstatt durch die Tür hindurch. Als der Betrug im Himmel auffällt, bricht großes Durcheinander los und Kaspar und der Boandlkramer müssen ihre Suppe wieder auslöffeln. In herrlichen Kostümen und mit viel Liebe zum Detail wird die bayrische Traditionsgeschichte zum Besten gegeben.
Die Zuschauer genießen den vertrauten Stoff, klatschen im Takt der Musik, brüllen über Flachwitzkomik. Durch die Freiluftstimmung sind sie lockerer als in einem schicken Theaterhaus. Fällt die Spannung ab, geht das Publikum sich noch ein Bier holen. Dergleichen Projekte sind für eine Gemeinde wie Markt Schwaben mindestens so bereichernd wie die Premieren in der Oper für die Münchner Schickeria. Ein Sehen-und-Gesehen-Werden unter den Zuschauern, ein kreatives Hobby und der Applaus als Lohn für die Beteiligten. Dieses Stück passt perfekt hierher und hat alles, was es braucht, um Begeisterung aufzubauen – über die bereits gelobte Bühne hinaus, herrliche Kostüme, verständliche Sprache, eine aufwendige Lichttechnik und den einen oder anderen Spezialeffekt (so ist das Gefährt des Todes kein Wagen, sondern ein Bötchen). Viele Witze, musikalische Einlagen, aber auch ernste Gespräche finden sich ebenso. Bei den drei ins Stück integrierten Songs handelte es sich um Aufnahmen, von Darsteller zwar selbst eingesungen, aber vom Band wiedergegeben. Da stellt sich die Frage, warum nicht live, wenn man so gute Sänger in einer Laien-Gruppe hat? Oder wenigstens, wenn schon von Band, warum bietet sich dazu nicht eine Tanzeinlage an? Stattdessen versucht sich der Betroffene im Lip Sync, während die weiteren Figuren derweil etwas verloren schunkeln. Das ist schade, weil mit kleinsten Veränderungen Highlights aus den musikalischen Einlagen werden könnten.
Die Spielweise der Laien unterscheidet sich, das liegt in der Natur der Sache, zwischen den Darstellern deutlich. Daran kann auch Regisseur Ferdinand Maurer nichts ändern. Er selbst ist als Boandlkramer mit Abstand der Stärkste. In einem Bewegungshabitus, der an Johnny Depp als verrückten Hutmacher erinnert, bleibt er nachhaltig im Gedächtnis, gefolgt vom zweiten Protagonisten, Franz Stetter. Bogenrieder ist als Marei in ihrer Verliebtheit, aber auch ihrer Sorge wirklich überzeugend! Auch Christian Jäger zieht als Erzengel Michael die Sympathie durch sein rollenbedingt unsympathisches Auftreten auf seine Seite. Auffällig ist, dass das Team keinen Dramaturgen an Bord hat, diesem wäre es vielleicht gelungen, das eine oder andere Mal die Spannung zu erhöhen und etwas mehr Zug in die Szenen zu bringen. Als Teufelin Luze (Britte Knauer) um Ende fragt: „Seid ihr nun bald fertig, mir wird kalt“, stimmt der eine oder andere Besucher in Gedanken zu. Allein mit wacheren Dialogen käme man locker auf unter zwei Stunden statt 140 Minuten.
In den Szenen von Maurer und Stetter wird deutlich: Bühnenpräsenz und auch Inszenierung bis ins Detail, der Theaterverein kann sowas! Die „Massenszenen“ im Himmel oder beim Geburtstagsfest sind daran gemessen schwächer. Der Grund ist das altbekannte Problem jeder Truppe: Je mehr Leute auf der Bühne, desto schwerer ist es für die oder den Einzelne/n präsent und in der Rolle zu bleiben. „Auf mich schaut ja dann eh keiner“, scheinen die Darsteller zu denken. Das sieht man vor allem den Kindern an, die in Lederhosen und mit kleinen Flügelchen die Engel (Finn Uetzmann, Michael Schweighart, Benedikt Kapeindl, Simon Steiner, Korbinian Hermannsgabner) spielen, dabei aber auf der Bühne herumlümmeln. Verdenken kann man es ihnen nicht, schließlich wird den Heranwachsenden wohl kaum vor der Vorstellung ein Kaffee gereicht, damit sie noch um 21:45 vor Kraft strotzen.
Zum Schluss der Schluss: Wie Kaspar mit den Herrschaften des Allerhöchsten verhandelt und schließlich ins Paradies eingelassen wird, hat etwas enttäuscht – wäre diese Szene doch perfekt geeignet, um alle Darsteller noch einmal auf die Spielfläche zu holen und den Übertritt ins Himmelreich gebührend zu zelebrieren, mit einem Fest auf Musik und Licht als krönenden Abschluss. Diese Chance wurde leider nicht genutzt.
Trotzdem fliegt der Applaus los, sobald das Licht aus ist, und das Publikum ist begeistert. Der Abend ist eine runde Sache. Manche Zuschauer reisten aus Südtirol an, um dieses Spektakel zu sehen, und das will etwas heißen! Theater ist ein Handwerk, das hier gut beherrscht und umgesetzt wird. Zwischen Komik, Albernheit, und Sommernachtsromantik ist das Stück liebenswert und alle Beteiligten, vom Darsteller über den Leberkasstand bis zum Ordner brennen für dieses Projekt, damit sind die kleinen künstlerischen Versäumnisse vielmals vergessen! Beim Hinausgehen kommt dann noch eine hübsche Überraschung: Sponsor und örtliche Brauerei Schweiger verschenkt kleine Flaschen der neuen Weißbierkreation. Dies Angebot lädt noch zum Verweilen und Austauschen ein. Die Eindrücke der anderen, mit Bierflasche ausgelassen Plaudernden? Durchgehend positiv!
Kritik: Jana Taendler