Pink Floyd gelten als eine der erfolgreichsten Musikgruppen aller Zeiten, soweit, dass auch heute noch, knapp 40 Jahre nach inoffizieller Auflösung der Band, das berühmte Prisma ihres Albums „Dark Side of the Moon“ Modeartikel bei H&M und co. schmückt. Mitgründer und Visionär hinter dem wohl erfolgreichsten Konzeptalbum aller Zeiten „The Wall“, Roger Waters, ist seit seinem Ausstieg 1985, genau wie seine damaligen Mitstreiter, solo unterwegs. Mit seiner „This Is Not a Drill“ Tour hat Waters letztes Jahr seine erste Abschiedstournee angekündigt, natürlich auch mit einem erneuten Stopp am 21. Mai 2023 in der Olympiahalle München. Wie schon bei seinem letzten Konzert in München vor fünf Jahren wird sein Auftritt allerdings nicht von allen Willkommen geheißen. Im Vorfeld gibt es einige Proteste seitens der jüdischen Gemeinschaft und weiterer politisch aktiver Gruppierungen. Grund dafür? Roger Waters umstrittene Haltung zum Israel-Konflikt und sein damit verbundenes politisches Engagement. Die Stadt Frankfurt wollte das Konzert dort sogar absagen, allerdings hat Waters nach einer Klage vor dem Frankfurter Gerichtshof Recht bekommen.
Beim Betreten der Olympiahalle wird man erst einmal von einem riesigen dreidimensionalen Kreuz aus LEDs begrüßt, das über der in der Mitte der Halle zentrierten Bühne thront. 15 Minuten vor Showbeginn ertönt die erste, von Waters aufgenommene Nachricht über die schon für Pink Floyd typischen Surroundlautsprecher: Ein einfaches „15 minutes until the start of the show“. Fünf Minuten später das selbe Spiel, diesmal allerdings mit angehängter Botschaft: Er sei kein Antisemit, das Gericht in Frankfurt hätte ebenso geurteilt, er verurteile Antisemitismus zutiefst und freue sich bereits auf sein Konzert in Frankfurt. Scheinbar möchte Waters hiermit bereits im Vorfeld diese Problematik aus dem Weg räumen, das Publikum hat er dem Applaus zu urteilen bereits auf seiner Seite. Zum Start des Konzertes ertönen dann noch zwei Appelle: Man möge bitte aus Respekt vor seinen Mitmenschen die Mobiltelefone ausschalten und wer nur für Pink Floyd Songs hier ist und nichts von Waters politischem Engagement halte, möge sich jetzt raus zur Bar begeben, oder wie er es etwas direkter formuliert hat: „May fuck off to the bar now.“
Mit großer Videoshow auf seinem nun langsam nach oben fahrenden LED-Kreuz ertönt die düstere Neuauflage des Pink Floyd-Hits „Comfortably Numb“, allerdings vom Band. Bereits im Anschluss folgt mit „The Happiest Days of Our Lives“ also Intro fungierend „Another Brick in the Wall“ Part 2 und 3. Damit sind die zwei wohl größten Hits von „The Wall“ bereits abgehakt und das Publikum adäquat aufgewärmt. Es folgen gleich drei Songs aus dem Solo-Repertoire von Roger Waters, „The Powers That Be“, „The Bravery of Being Out of Range“ und der während der Pandemie entstandene Song „The Bar“, den er im Vorfeld ausführlich erklärt. Begleitet werden die Songs sowohl in den Ansagen als auch oftmals sehr grafisch auf den Videoscreens von politischen Botschaften gegen Kapitalismus, Imperialismus und für Menschenrechte. Mit dem „Wish You Were Here“-Segment des Abends bestehend aus dem gleichnamigen Song zum Album, „Have A Cigar“ und „Shine On You Crazy Diamond“ werden erstmals ruhigere Töne angeschlagen, die sich eher auf den Entstehungsprozess von Pink Floyd und den tragischen Verlust von Mitbegründer Syd Barrett konzentrieren. Die erste Hälfte des Konzertes wird dann dennoch mit „Sheep“ beendet, der wieder zurück zur Politik führt und als Hommage an die Verfasser diverser Dystopien, allen voran natürlich George Orwell, gewidmet ist.
Nach einer etwa 20-minütigen Pause geht es in Teil zwei des Konzertes, angefangen mit „In the Flesh“ und „Run like Hell“. Jetzt wird auch klar, welche Bühnenästhetik im Vorfeld des Konzertes zu den Vorwürfen des Antisemitismus beigetragen haben: Waters betritt die Bühne mit langem Ledermantel, Sonnenbrille und „Marching Hammers“-Binde um den Arm, begleitet von zwei Soldaten. Neben herabfallenden „Marching Hammers“-Bannern feuert Waters zeitweise mit einem Maschinengewehr Platzpatronen in Richtung Publikum. Wer sich mit der Materie Pink Floyd ausreichend auseinandergesetzt hat, dem wird die Szenerie und Symbolik auf der Bühne bekannt vorkommen, denn sie ist fast eins zu eins aus dem gleichnamigen Film zum Album „The Wall“ entnommen und keinesfalls als Sympathie zum Dritten Reich zu deuten, im Gegenteil. Waters war schon immer verantwortlich für die politischen Inhalte von Pink Floyd und schon damals klar gegen faschistische Ideologien positioniert. Daher dürften eingefleischte Fans von dieser „Shock Value“ nicht zwingend überrascht sein. Abseits der Kontroversen geht es weiter mit Musik: Es folgt ein weiterer Abschnitt aus Waters Solo-Karriere. Mit „Déjà Vu“ inklusive Reprise und dem Titeltrack seines letzten Studioalbums „Is This the Life We Really Want?“ folgt der kurze Sprung in die Gegenwart, natürlich erneut begleitet durch politische Statements und schweren Anschuldigungen in Richtung diverser vergangener (und aktiver) US-Präsidenten. Auch der Skandal um das US-Militär und Julian Assange wird erneut aufgerollt. An einem Punkt, an dem einmal mehr die Politik die Musik des Abends überschattet, läutet Waters mit „Money“, „Us and Them“, „Any Colour You Like“, „Brain Damage“ und „Eclipse“ die Ära „Dark Side of the Moon“ ein. Über die gesamte Bühne erstrecken sich gleich mehrere der ikonischen zweidimensionalen Prismen und werden mit der Videoshow auf den LEDs in das Bühnenbild eingebunden.
Als Zugabe folgt der Abschlusstitel des letzten Pink Floyd Albums mit Roger Waters: „Two Suns in the Sunset“, ein passendes Finale, handelnd vom nuklearen Winter und dem Untergang der Menschheit, natürlich erneut begleitet von sehr grafischer Animation auf den Screens. Zu guter Letzt bringt Waters die Show noch einmal zurück zum Lied „The Bar“, in der er eine familiäre Metapher zur Kommunikation aufbaut und sich von seiner fast schon zarten Seite präsentiert. Ein kontrastreiches Ende im Vergleich zur sonst so pompösen Produktion.
Ein Fazit für den Abend ist schwer zu formulieren. Zunächst sei gesagt, dass jeder, der die Trennung von Kunst und Politik fordert, die Quintessenz und den Entstehungsprozess vieler Bilder, Lieder und Filme schlicht nicht verstanden hat. Sei es der Blues, der aus Klageliedern von Sklaven in den USA entstanden ist, oder die 68er-Bewegung (und die dazugehörige musikalische Untermalung) gegen den Krieg in Vietnam und den nach wie vor vorherrschenden Rassismus in den USA. Kunst beginnt meist als Kritik an der Gesellschaft und ist damit ein Inbegriff von Politik, genauer gesagt fungiert sie als Sprachrohr des Volkes. An dieser Stelle sei allerdings auch gesagt, dass Waters heute, anders als noch vor fünf Jahren, den politischen Bogen definitiv überspannt hat. Auch wenn er sich zu keinem Zeitpunkt des Konzertes in politischen Grauzonen oder gar antisemitischen Aussagen verfangen hat, und sich als klarer Advokat für Menschenrechte präsentiert hat, hinterlässt das Konzert einen bitteren Beigeschmack. Die Botschaften verlieren enorm an Wirkung und das Publikum stumpft von Song zu Song immer weiter ab, die gewünschte politische Durchschlagskraft hätte man mit ein zwei Statements weniger wahrscheinlich eher erreicht. Die Bühne zu nutzen, um auf soziale und politische Missstände aufmerksam zu machen ist nicht nur wichtig, sondern auch klar erwünscht, wenn aber zu mehr als jedem zweiten Song Aufnahmen von Kriegsverbrechen und Animationen von systematischer Unterdrückung gezeigt werden, so rückt die Musik langsam aber sicher in den Hintergrund.
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