Ex Mortis – Jozef van Wissem im Muffatcafé (Bericht)

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© Daniel Hilbrecht

Ex mortis – vom Tode: So ist das neue Album von Jozef van Wissem betitelt, das er auf  seiner aktuellen Europatournee vorstellt. Vom (scheinbaren) Tode auferstanden ist (unter seinen Händen) nicht nur van Wissems Instrument, die Laute, nach jahrhundertelanger Vergessenheit, sondern auch der Live-Musik-Betrieb, nach monatelanger Brache aus allzu bekannten Gründen.

Van Wissem, der in den Niederlanden gebürtige Lautenspieler, kann auf ein eigenwilliges und unverwechselbares Werk zurückblicken, das vom markanten Stil seiner Herangehensweise an das geschichtsschwangere Instrument geprägt ist. Van Wissem genoss eine klassische Ausbildung an der Laute, sein kompositorischer Ansatz ist jedoch alles andere als historisch orientiert: Seine Mittel sind Dekonstruktion, Repetition und Verfremdung. So entstehen hypnotische Stücke, die van Wissem auch als Film-Musik-Schreiber und -Performer gefragt machen; am bekanntesten dürfte sein Grammy-prämierter Score für Jim Jarmuschs »Only Lovers Left Alive« sein, der kürzlich auf Sacred Bones Records wiederveröffentlicht wurde; doch auch seine Musik zum experimentellen Film »Partir to Live« ist beide Ohren wert.

Am Samstag, den 25. September 2021 führt van Wissem sein Wiederauferstehungs-Umgang ins Münchner Muffatcafé. Wer nicht auf der Bühne steht, der sitzt – mit Maske.

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© Young and Cold Records

Als Support-Acts sind der Augsburger Adam Usi und das Landshuter Duo DIAF (was keine Abkürzung, sondern Dialekt ist) geladen. Usi macht auf die Minute pünktlich um 20 Uhr den Anfang. Der Solo-Künstler verdient großes Lob für seinen gelungenen und engagierten Auftritt. Usi gelingt es binnen Minuten, der Situation ihre sterile Unnatürlichkeit zu nehmen. Beherzt ergreift er das Mikrophon, füttert seine Loop-Maschine und bedient seinen Synthesizer. Spätestens ab dem zweiten Song ist er ganz in seine Musik abgetaucht, seine emotionalen Songs sind eingängig, sein Auftritt authentisch. Man beneidet, auf den Zuschauersitz gebannt, den Sänger um seine Bewegungsfreiheit: Gewandt nutzt Usi den schmalen freien Bühnenraum zum Tanz.

DIAF, deren Musik auf Platte ebenfalls auf elektronischen Beinen steht und sich im Dark-Wave-Bereich bewegt, verzichten, vielleicht um keinen zu großen Kontrast zum Haupt-Act des Abends zu bilden, auf Beats und Synthesizer und bieten ihre Songs im Akustikgewand dar. Die beiden Musiker machen einen liebenswürdigen Eindruck und die Alben-Versionen ihrer Songs versprühen in ihrer Kombination aus eingängigen Schwarzes-Leder-schwarze-Seele-Stücken und Mundart-Texten durchaus eine kauzige Coolness. Die an diesem Abend gebotenen Unplugged-Versionen wollen aber nicht recht vom Boden abheben und bleiben meist im Schrammel-Stadium, ein zu blasser Hintergrund für die theatralische Gesangesdarbietung N.s, des Protagonisten des Projekts, die infolgedessen eher ungelenk und übertrieben wirkt.

Leise und unauffällig betritt schließlich des Abends Stern, Jozef van Wissem den Raum und die Bühne. Dunkler Lidstrich, schon schütteres schulterlanges Haar, ein großes silbernes Kruzifix um den Hals, schwarzer Anzug: eine Mischung aus Iggy Pop und Priester.

© Daniel Hilbrecht

Wortlos und wie beiläufig nimmt van Wissem Platz, greift sich sein großes bauchiges Instrument aus dem Koffer und beginnt zu spielen; das, was zunächst wie ein Einspielen oder Soundcheck aussieht, entpuppt sich als das erste der Stücke, die van Wissem heute darbieten wird. Er ergreift von der Bühne Besitz wie ein Straßenmusiker, der morgens seinen Hocker aufbaut und nach einem kurzen Blick in die Runde schnell den Blick auf sein Instrument senkt und sich beeilt, zwischen sich und der ihn umgebenden Öffentlichkeit eine Wand aus Klang errichten, die ihn in exponiert und abschirmt zugleich. So spielt sich van Wissem durch seine Stücke, entrückt-spöttisch über die Köpfe der Zuschauer hinwegblickend. Dabei verzichtet er auf elektronische Manipulation, präsentiert die Musik ungeschminkt in ihrer repetitiven, flirrenden Einfachheit, manchmal begleitet durch Gesang, was der Musik in ihrer Fremdartigkeit einen gewissen Hauch von The Velvet Underground, manchmal auch von Blues eingibt.

© Daniel Hilbrecht

Nach nicht einmal einer Stunde, man ist, so scheint es, gerade erst in van Wissems Klangwelt hineingeglitten, steht der Musiker unvermittelt auf, bedankt sich und wünscht eine gute Nacht; es gibt noch eine kurze Zugabe im Stehen (was mit einer riemenlosen Laute gar nicht so einfach ist), dann verschwindet van Wissem zügig. Es scheint, als sei ihm die Bühnensituation wirklich nicht sehr genehm, als sei eine weniger geballte, erwartende Aufmerksamkeit, wie sie die klassische bestuhlte Konzertkonstellation hervorbringt, seinem frei schwebenden Spiel angemessener.

Derart erinnert, dass nur die himmlischen Freuden ewig währen, lässt sich dennoch eine positive Bilanz des Abends ziehen. Wir sind wieder erwacht, noch ist die Kühle nicht recht aus den Knochen gewichen, doch wir stehen aufrecht und fragen: »When shall this bright day beginn?«