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„Ich habe mich dem Tod hingegeben, dieses Jahr“ – 4.48 Psychose im Metropoltheater (Kritik)
Am Freitag, dem 29.10.2021, feierte das Stück „4.48 Psychose“ der britischen Dramatikerin Sarah Kane unter der Regie von Jochen Schölch im Metropoltheater Premiere. Eine richtige Zusammenfassung zum Inhalt dieses quasi als Abschiedsbrief erdachten Stückes zu geben ist schwierig, muss es doch als genau dieses wahrgenommen werden – nahm sich doch die Autorin nach der Fertigstellung des Leben. 4:48: Das ist die titelgebende Zeit, in welcher das von Wahnsinn und Depressionen geschüttelte Ich morgens erwacht und eine Stunde der Klarheit hat, bevor es sich zurück in seine Wahnvorstellungen steigert. Es ist eine Morgenstunde, in der es halbwegs es selbst ist, und sich über seine Situation gewahr werden kann. Nach einem Selbstmordversuch…
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Wenn aus Volksmusikanten experimentelle Dance-Pop Musiker werden – „LOVEMEN“ im Hoftheater
An Sympathie mangelt es den drei Jungs der Band LOVEMEN ganz sicher nicht. Und ebenso wenig an musikalischem Talent. Mit einem spannenden Mix aus Gesang, Synthesizer, Baritongitarre, Drums und Moog Bass bringen sie den Saal des Hoftheaters am 26. Oktober 2021 zum Beben. Die Texte der eigenen Songs stehen dabei ganz im Zeichen des Namens der Gruppe. Das Sujet der Liebe scheint der Band besonders am Herzen zu liegen – im wahrsten Sinne des Wortes. Besonders beeindruckend: Was bei den dreien als klar einstudierter Song beginnt, endet meist in einer wilden Improvisation und zeigt, wie gut sie ihre Instrumente jeweils beherrschen. Ihre Musik wird deshalb auch nie langweilig, entwickelt sich stetig weiter…
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„Ich hab keinen anderen Ausweg, als die Macht zu ergreifen“ – „Graf Öderland“ im Residenztheater (Kritik)
Es gibt diese Stücke, die theatrale Narrenfreiheit genießen und deren inszenatorischer Spielraum schier grenzenlos erscheint – die Stücke von Max Frisch und im Speziellen „Graf Öderland“ gehören sicher dazu. Setzt man sich also keine Grenzen und bemüht sich dennoch um Stringenz, kann es auf der Bühne volle Wirkung entfalten. Regisseur Stefan Bachmann hat sich dem angenommen und genau den richtigen Ton getroffen, den es gebraucht hat. Nach langen Verschiebungen kommt „Graf Öderland“ am 22. Oktober 2021 endlich im Münchner Residenztheater zur Aufführung. Es ist selten, dass vor einer Premiere der Ruf schon vorauseilt – eingeladen zum Berliner Theatertreffen 2021, Aufzeichnung und Ausstrahlung in 3sat. Hoch ist dementsprechend die Erwartung im…
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„Über uns der Himmel, der auf uns herabstürzen könnte“ – „Urteile (Revisited)“ im Marstall
Verhaltener Applaus nach knapp 90 Minuten hochpolitischem Theater. Zunächst traut sich niemand, sich von seinem Sitz zu erheben, dem ein oder anderen laufen Tränen über die Wangen. Doch die Verlegenheit des Publikums steht nicht in Zusammenhang mit der Qualität des Stückes. Vielmehr muss das gerade Geschehene und Gesehene erstmal verdaut werden. Auf dass es in den Köpfen der Menschen ankommt und eine Änderung ihres Denkens und Verhaltens im Alltag erreicht. Urteile (revisited) – Nach dem Prozess feierte am 21. Oktober 2021 Premiere im Marstall-Theater. In Jahre 2021 jährt sich das Öffentlichwerden des sogenannten NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) zum zehnten Mal. Die ersten Morde, die dieser beging, liegen nun mehr als zwanzig Jahre zurück. Bereits 2014 brachte Regisseurin…
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Fakt vor Fiktion – „Es waren ihrer Sechs“ im Marstall (Kritik)
Alfred Neumanns Roman „Es waren ihrer Sechs“ hat bei seiner Veröffentlichung 1945 hohe Wellen geschlagen. Aus dem Exil in Amerika heraus erzählt er die Geschichte der Geschwister Möller, die biografisch an die Geschwister Scholl angelegt sind, aber mit allerlei Einflüssen verfremdet werden. Der Grad zwischen Fakt und Fiktion ist der Grund für die Empörung, auch Jahre später. Selbst heute, über 75 Jahre später, bleibt es heikel, das Thema um Die weiße Rose nicht vollumfänglich geschichtsgetreu aufzuarbeiten. Genau dieses Spiel, diese Verzerrung, ist Anlass für Michał Borczuchs Neuinszenierung von „Es waren ihrer Sechs“, die am 8. Oktober 2021 im Marstall des Residenztheaters Premiere feiert. Sensibel ist das Thema der Geschwister Scholl…
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„Zufrieden? Nein. Nie.“ – „Unsere Zeit“ im Residenztheater (Kritik)
Es wird wieder voll im Residenztheater! Und das ist das erste Mal seit rund 1,5 Jahren wörtlich gemeint, denn mit der neuen Corona-Verordnung darf der Saal mit jedem Platz belegt werden. Das trifft sich passend, denn am 19. September 2021 feiert das Bayerische Staatsschauspiel mit „Unsere Zeit“ die Eröffnung der neuen Spielzeit 2021/2022. Kopf hinter der Produktion, die ursprünglich bereits im Oktober 2019 den Startschuss der Intendanz Beck geben sollte, ist Simon Stone, das Steckenpferd unter den Hausregisseuren in München und bekannt dafür, dass fast jede seiner Inszenierungen allerlei Preise in der Theaterwelt abräumt. Die Erwartungen sind riesig, als sich um 17 Uhr der Vorhang für sechs Stunden Theater hebt.…
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Die durch die Hölle gehen – „Ein Kuss – Antonio Ligabue“ im Hoftheater
Etwas duster ist es, als man die Stufen in das im ersten Stock angesiedelte Hoftheater nach oben schreitet. Auch der charmante und recht kleine Theaterraum ist spärlich belichtet, als wolle man bereits auf das kommende Stück einstimmen, dass weniger als Feel-Good-Produktion zu verstehen ist. „Ein Kuss – Antonio Ligabue“ ist eine One-Man-Show, die sich ganz um die Biografie des gleichnamigen italienischen Künstlers kümmert – ein Leben voller Leid, Ablehnung und immer wieder Rückschlagen, bei denen er sich auch allzu oft selbst im Weg steht. Das Theater am Stemmerhof eröffnet mit dieser Premiere am 9. September 2021 nicht nur die Spielzeit, sondern auch allumfänglich die Pforten. Wie beginnt man also ein…
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Sterben ist gar nicht mal so leicht – „Gott“ im Residenztheater (Kritik)
„Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord.“ So beginnt Albert Camus seinen „Mythos des Sisyphos“. Am Abend des 23. Juli 2021 im Residenztheater müssen wir uns die 68-jährige Elisabeth Gärtner als einen physisch und psychisch gesunden Menschen vorstellen. Und trotzdem: Das Leben bedeutet ihr nichts. Nichts mehr. Seit ihr Mann vor drei Jahren einem Krebs erlegen ist, hat sie nur noch einen Wunsch: zu sterben. So hatte sie ihrem Mann versprochen, es „richtig“ zu machen. Sie verlangt nach einem Medikament, das sie tötet. Nach seinem ersten Theaterstück „Terror“ (2015) hat Ferdinand von Schirach mit „Gott“ (2020) ein weiteres dokumentarisch anmutendes Drama geschrieben, in dem es um existentielle Fragen…
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Textschwall in großer Kulisse – „Herz aus Glas“ im Marstall (Kritik)
Schon die Fotos auf der Website und dem Instagram Account des Residenztheaters versprechen viel von diesem Premierensamstag, dem 3. Juli 2021 im Marstall. Als Textvorlage dient das 1976 erschiene gleichnamige Drehbuch „Herz aus Glas“, daraus hat Elsa-Sophie Jach nun mit einem siebenköpfigen Ensemble einen fulminanten Abend entwickelt. Die Figuren teilen sich dabei in ‚das Dorf‘ und ‚den Seher’, wie bereits das Kostüm erkennen lässt. Die Dorfbewohner erinnern mit aufgetürmten Perücken und Spitzenkragen in Kombination mit verwahrlost wirkenden bunten Jogginganzügen an das Video von Falcos „Rock Me Amadeus“. Ihre Einheit wird noch deutlicher durch den chorischen Sprech, mit dem sie den Romantext vortragen. Heraus sticht eine unauffällig in schwarz gekleidete Pia Händler als…
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Der Kampf um die Rechte – „Bayerische Suffragetten“ in den Kammerspielen (Kritik)
Es ist Pride Month. Jedes hippe Unternehmen hat das eigene Logo mit Regenbogenfarben aufgepeppt, selbst die Münchner Verkehrsbetriebe haben jeden Bus mit einem bunten Fähnchen ausgestattet. Da ist ein Stück über Gleichberechtigung ja quasi Pflichtprogramm, möchte man meinen. Doch statt pauschal über Unterdrückung und Queerfeindlichkeit in dieser, unserer patriarchalischen Gesellschaft zu schwadronieren, präsentieren die Münchner Kammerspiele einen Rückblick auf erste Initiativen der Gleichberechtigung, als von Equal Pay und Quoten in Vorständen noch lange keine Rede sein konnte. Bayrische Suffragetten gibt dabei aufregend und unterhaltsam, aber zugleich keineswegs oberflächlich einen Einblick in den Kampf einer Gruppe couragierter Frauen vor mehr als 150 Jahren. Jessica Glause inszeniert überlieferte Texte wie Tagebucheinträge und Briefe kombiniert mit…