Die durch die Hölle gehen – „Ein Kuss – Antonio Ligabue“ im Hoftheater

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Etwas duster ist es, als man die Stufen in das im ersten Stock angesiedelte Hoftheater nach oben schreitet. Auch der charmante und recht kleine Theaterraum ist spärlich belichtet, als wolle man bereits auf das kommende Stück einstimmen, dass weniger als Feel-Good-Produktion zu verstehen ist. „Ein Kuss – Antonio Ligabue“ ist eine One-Man-Show, die sich ganz um die Biografie des gleichnamigen italienischen Künstlers kümmert – ein Leben voller Leid, Ablehnung und immer wieder Rückschlagen, bei denen er sich auch allzu oft selbst im Weg steht. Das Theater am Stemmerhof eröffnet mit dieser Premiere am 9. September 2021 nicht nur die Spielzeit, sondern auch allumfänglich die Pforten.

© Jürgen Ruckdeschel

Wie beginnt man also ein Stück über eine Person, deren Leben sich konstant in eine größere Spirale von Ausweglosigkeiten bewegt? Mit einem Knall. Marco Michel trägt den Abend und mimt den verkannten Künstler, indem er, einen roten Faden bildend, immer wieder vom Wunsch des Küssens spricht – ein Wunsch, der verwehrt bleibt. Ansonsten geht es chronologisch durch das Leben. Die Geburt kurz vor der Jahrhundertwende, aber das baldige Abwenden der kurz danach versterbenden Mutter, das Aufwachsen bei Pflegeeltern und der sich dadurch entwickelnde Ödipus-Komplex. Ligabue, wie sich der Künstler selbst als Abgrenzung zu seinem Stiefvater nennt, kämpft mit Entwicklungsschwierigkeiten und psychischen Problemen, die ihn zeitweise ins Heim und nach wiederholten kriminellen Aktivitäten, die aus Gründen der rein emotionalen Betrachtung im Stück ausgeklammert werden, auch aus der Schweiz schicken. In Italien im Dorf des Stiefvaters versucht er sich gegen die Dorfbewohner zu behaupten, bleibt aber der Sonderling, der der Sprache nicht mächtig ist.

© Jürgen Ruckdeschel

Michel konzentriert sich dabei vor allem auf eines: das Leid, die inneren Gefühlswallungen Ligabues und immer wieder die Sichtweise des Künstlers. Selbst als der Erfolg im späten Alter kommt, schafft er es nicht, etwas Gutes im Menschen zu sehen – zu viel ist ihm widerfahren, zu misstrauisch hat ihn das Leben gemacht. Michel spielt diese Charakterschwankungen, die sich eben auch in Optimismus, Naivität und Hoffnung wiederfinden, grandios, glaubhaft und authentisch. Er ist letztendlich der Grund, wieso man der doch etwas spröden, weil gar so leidvollen Biografie von Ligabue folgen mag. Besonders faszinierend und das absolute Alleinstellungsmerkmal der Inszenierung: die Live-Zeichnungen mit dem Kohlestift. Marco Michel zeichnet mehrfach zu den Lebensstationen auf der Bühne Gesichter, Landschaften und sich entwickelnde Figuren, während er spielt und spricht. Das entstehende Bild ist dabei zeichnerisch auf wirklich beeindruckendem Niveau und passt sich wunderbar dem jeweiligen Szenario an, auf die Emotion abgestimmt. Eine schmutzige Angelegenheit, denn die beige Hose wird zunehmend schwärzer, die Hände immer dreckiger und dreckiger. Mit jeder Zeichnung verschwindet Ligabues Bühnenfigur mehr und mehr in der pessimistischen Weltansicht. Am Ende sind die Hände so schwarz, dass sie nie wieder eine saubere Hand schütteln könnte.

Am Ende wird Michel zurecht beklatscht. Eine starke Leistung eines fesselnden Stückes in cleverer Einbindung mehrerer Kunstformen. Sicher keine leichte Kost, aber ein eindrucksvoller Start für das Hoftheater in München.
„Ein Kuss – Antonio Ligabue“ läuft bis 1. Oktober im Hoftheater. Karten gibt es auf der Website.

Kritik: Ludwig Stadler