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Die Apokalypse der Moderne – „Der Riss durch die Welt“ im Cuvilliéstheater (Kritik)
Es ist eine Wochenende hoch in den Bergen, in einer Hütte (oder einem Palast), dass im Cuvilliéstheater inszeniert wird und am 8. November 2019 seine Uraufführung feierte. Doch der Schein trügt, denn das Stück von Roland Schimmelpfennig handelt nicht etwa von einer beschaulichen Landschaft in malerischen Bergen, vielleicht gespickt mit Romantik, sondern von der Apokalypse selbst, von den biblischen Plagen. Und nicht etwa romantisch geht es zu, sondern ganz im Gegenteil: das Stück handelt von Hass und niederen Instinkten, die ins Verderben führen. Dabei ist es gar nicht so einfach der Handlung, die von Tilmann Köhler inszeniert wurde, zu folgen, denn sie wechselt ständig zwischen den Handlungssträngen und Zeitabschnitten hin…
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„Vielleicht sind wir gar nicht geschaffen für die Zufriedenheit“ – „Drei Schwestern“ im Residenztheater (Kritik)
Eine vertrackte Mischung aus Gehemmtheit und Trägheit, aus Zwang und nicht aufgebrachter Kraft durchzieht Anton Tschechows „Drei Schwestern“. Steckengeblieben in einer russischen Provinzstadt zirkulieren Olga, Mascha und Irina innerhalb der vier vom verstorbenen Vater zurückgelassenen Wände, die nur scheinbar eine Wartehalle umgrenzen: Der Vorabend des großen Aufbruchs – nach Moskau!, in die Freiheit, in eine neue Zeit – entpuppt sich als Endstation, die Sammlung zum großen Sprung fällt zusammen in ein Haschen nach letzten Strohhalmen. Simon Stone nahm sich der Aufgabe an, die „Drei Schwestern“ in die Jetztzeit zu überführen, seine Neufassung (Übersetzung: Martin Thomas Pesl) lässt die Grundelemente des Originals bestehen, versucht aber, das gesamte Stück vollkommen im Jahr…
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„Lass uns hineingehen – Musik!“ – „Der Kaufmann von Venedig“ im Volkstheater (Kritik)
Am 27. Oktober 2019 feierte „Der Kaufmann von Venedig“ im Münchner Volkstheater Premiere. Das Stück von William Shakespeare wurde im Jahr 1600 das erste Mal aufgeführt und seitdem immer wieder von verschiedenen Theatern gespielt. Die Inszenierung und Interpretation im Volkstheater kann sich durchaus sehen lassen. Das Stück, das knapp zwei Stunden geht, dreht sich dabei um den venezianischen Kaufmann Antonio (Silas Breiding) , der seinem Freund Bassiano (Jonathan Hutter) helfen will, die begehrte Porzia (Carolin Hartmann), eine reiche Adlige, zu heiraten, was mit 3000 Dukaten zu Buche schlagen würde. Leider hat er das Geld nicht, da sich all seine Schiffe derzeit auf hoher See befinden und erst später einlaufen, so…
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Der lange Weg zur Symphonie – „Olympiapark In The Dark“ im Marstall (Kritik)
Nachdem bereits das Cuvilliéstheater als auch das Haupthaus des Residenztheaters mit neuen Produktionen eingeweiht wurden, ist nun die kleinste Spielstätte des Bayerischen Staatsschauspiels an der Reihe: der Marstall. Dieser überrascht erst einmal beim Betreten, denn die Neugestaltung von Wolfgang Menardi ist anfangs ungewohnt, aber dann doch einfach konsequent und äußerst gelungen – helle Holzwände, Sitzmöglichkeiten und ein Pflanzenbeet zieren jetzt das Foyer. Eine Einstimmung auf die folgende Premiere von „Olympiapark In The Dark“, denn, abgesehen von Resi-Urgestein Barbara Melzl, findet man nur neue Gesichter auf der Bühne an diesem Samstag, 26. Oktober 2019. So ist es auch Melzl, die die neuen Darsteller, plappernd im Entenmarsch, durch das Theater führt und…
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Der Hunger des satten Menschen – „Sommergäste“ im Residenztheater (Kritik)
Erst bei den Salzburger Festspielen hat man sich an „Sommergäste“ von Maxim Gorki versucht, nun wagt sich das Residenztheater an die russische Tragikomödie, die als dritte Premiere unter der Intendanz von Andreas Beck die zweite Spielwoche eröffnet. Die Besetzung: mit 14 Personen wahrlich vielzählig, hochkarätig und zudem eine großartige Mischung aus altbekannten und neuen Gesichtern. Wie das alles harmonieren wird? Oder besser zu Gorkis Stück passend: Wie das eben nicht harmonieren wird? Die Premiere am 25. Oktober 2019 gibt Aufschluss. 130 Minuten am Stück wird sich der Konflikt einer russischen Familie und allerlei aus dem Bekanntenkreis aufbauschen. Gemeinsam verbringen sie den Sommer im Ferienhaus von Bassow (Robert Dölle) und Warwara…
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„Ich bin nicht wie sie, kann aber so tun“ – „Nirvanas Last“ in den Kammerspielen (Kritik)
25 Jahre ist das letzte Konzert der Band Nirvana mittlerweile her, damals am 1. März 1994 am Flughafen in Riem – also in München. Anschließend sagte die Band die gesamte Tour ab, es folgten zwei Suizidversuche von Sänger Kurt Cobain, kurz danach der Tod. Ihr frühes Ende machte sie zum Mysterium, teilweise zum Märtyrertum – womöglich war, könnte man hämisch überladen sagen, Cubains Tod der einzig konsequente Zug, dem Mainstream zu entkommen, dem sie unweigerlich verfallen sind. Damian Rebgetz, seit einigen Jahren bereits Schauspieler an den Münchner Kammerspielen, hat sich dem Thema angenommen und in einem eigenwilligen Konzept „Nirvanas Last“ am 24. Oktober 2019 in der Kammer 1 Premiere feiern…
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Wer reitet wen? – „Die drei Musketiere“ im Cuvilliéstheater (Kritik)
Reife des Mannes: Das heißt, den Ernst wiedergefunden haben, den man als Kind hatte, beim Spiel. – Friedrich Nietzsche Manche Geschichten haben sich dem kulturellen Gedächtnis und Bewusstsein so nachhaltig eingeprägt, dass es nicht mehr nötig ist, ihren Ursprung zu kennen, um auf stehende Assoziationen zugreifen zu können, wenn die entsprechenden Stichworte fallen; ihre Motive finden sich wieder und wieder verarbeitet und weitergesponnnen, sei es die Odyssee, das Buch Hiob, oder die Geschichten aus 1001 Nacht. Und auch ohne je auch nur eine Zeile von Alexandre Dumas gelesen zu haben, und selbst, ohne eine der zahllosen Verfilmungen gesehen zu haben, ersteht im Geiste beim Stichwort „Die drei Musketiere“ sogleich das…
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„Im Säurebad der Welt“ – „Die Verlorenen“ im Residenztheater (Kritik)
„Was ist (uns) der Mensch?“ – mit dieser Frage als Leitstern startet das Residenztheater mit seinem neuen Intendanten Andreas Beck in die erste Spielzeit. Und eines steht fest: „Die Verlorenen“, mit welchem Stück am Samstag, den 19. Oktober ebendiese Spielzeit eröffnet wurde, wirft sich mit Anlauf in diese Frage hinein, diese dumme Frage, deren Antwort man doch längst auf Wikipedia oder im Journal der sogenannten Lebenserfahrung nachschlagen kann, oder die zu stellen der Zweckrationalität des behaglich getakteten Überlebenskampfes widerstrebt. Auf das Leben, das Menschsein reflektieren lässt sich vor allem dann, wenn selbiges ins Stocken gerät, gehemmt ist in seinem selbstverständlichen Fließen. Ewald Palmetshofers als Auftragswerk entstandenes Stück ist bestimmt von Momenten…
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Ein Hörbuch auf der Bühne – „Die Verwandlung“ in der Schauburg (Kritik)
„Von Anfang an habe ich ihn verachtet“, so beginnt die Inszenierung der Schauburg über die weltbekannte Erzählung von Franz Kafvka, die wahrscheinlich jeder schon mal in der Schule lesen musste oder durfte, je nach eigenem Ermessen. Von Jan Friedrich inszeniert, macht es sich das Stück zur Aufgabe, die Originalgeschichte zu erzählen und gleichzeitig zu interpretieren, was letztendlich leider nur teilweise gelingt. Dabei wird die bekannte Geschichte von der Schauspielern 1:1 (mit Auslassungen) vorgelesen, aber gleichzeitig auch etwas gespielt. Die Betonung liegt auf etwas, denn von schauspielerischer Leistung kann vielfach keine Rede sein, aber nicht etwa, weil die Schauspieler ihr Handwerk nicht verstehen, sondern ihnen keine Möglichkeit gegeben wird, es zu…
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Ich steh‘ nur hier und schieße ins Blaue – Hedda Gabler im Volkstheater (Kritik)
Selbstmord als der ‚schöne Tod‘, der finale Akt der Selbstbehauptung oder -aufopferung, die Rettung der reinen Seele in eine bessere Welt, Hektor, beim Abschied von Andromache, Ophelia à la Millais. Doch so einfach geht es nicht zu, in den eng geschnürten, alles andere als unschuldigen Niederungen des gehobenen Bürgertums, in welchen Henrik Ibsens Stück „Hedda Gabler“ spielt, das, inszeniert von Lucia Bihler, vergangenen Freitag, den 27. September im Münchner Volkstheater Premiere feierte. Angetrieben vom Wunsch nach einem gut situierten Dasein hat Hedda Gabler (Anne Stein) ihr Leben ‚weggeworfen‘, hinein in eine lieblose Ehe mit dem aufstrebenden Wissenschaftler Jörgen Tesman (Jakob Immervoll), den sie wie sein Kumpane, der Amtsgerichtsrat Brack (Timocin Ziegler),…