„Der Film ist tot – alle gucken nur noch Netflix, der Trend geht hin zur Serie! Das Theater ist tot, alle streamen nur noch.“
Häufig diskutierte Thesen im Kulturradio oder im Gespräch unter Film- und Theaterliebhabern. Ein solches könnte der Ausgangspunkt gewesen sein für die Entscheidung, sich inhaltlich dem Kultfilm und später Serie ‚M – Eine Stadt sucht einen Mörder‘ zu widmen. 1931 unter der Regie von Fritz Lang erschienen, zeichnet sich die Ästhetik des Filmes aus heutiger Sicht vor allem durch das Schwarz-Weiß-Bild aus. Dieses wird im zweiten Teil der durch Corona gespaltenen Inszenierung des Residenztheater auch konsequent beibehalten. Aber von Beginn an.
In der Pandemie zauberte das Residenztheater ein auf die neuen Voraussetzungen angepasstes Konzept aus dem Hut und brachte so mit Formaten wie ‚Resi ruft an‘ so viel Theater wie möglich zu den Zuschauern. Auch die Inszenierung zu M – Eine Stadt sucht einen Mörder wurde entsprechend angepasst. Ursprünglich war eine Konzertinstallation nach Fritz Langs Film geplant. Adaptiert von Schorsch Kamerun und Cathy van Eck sollte der heutige Umgang einer Stadt mit Bedrohung und Angst musikalisch verarbeitet werden. Dann kam die Pandemie, die Bedrohung, die Angst. Aktueller hätte es ja nicht werden können, dieses Thema. Daher wurde entschieden, den Abend in drei Teile zu teilen. Nach dem Bayern 2 den ersten Teil „M (1) – Eine Stadt sucht einen Mörder (Wer hat Angst vor was eigentlich?)“ im Hörspielprogramm ausgestrahlt hatte, wurde am 22. Juli 2020 der zweite Teil auf dem Marstallplatz zum Besten gegeben: M (2) – Eine Stadt sucht einen Mörder (Wem nützt welcher Schrecken?)
Die Stühle einzeln und im Abstand gestellt, bekommt das Publikum Bluetooth-Kopfhörer und alle Blicke richten sich auf die riesige Leinwand, die vor dem noch riesigeren Marstall aufgebaut ist. Neben der Leinwand eine kleine Bühne mit einer Band, die den Abend begleitet. Gefilmt wird abwechselnd die Band und die SchauspielerInnen in und um den Marstall. Versatzstückartige Teile reihen sich aneinander. Lisa Stiegler schaut, ganz in grauer Maske und Kostüm, immer wieder besorgt in die Kamera, läuft schüchtern durch die Gänge, dann werden vermeintliche Security-Mitarbeiter vor Bildschirmen in einem Kontrollraum gefilmt. Das Ermittlerteam aus Sophie von Kessel, Delschad Numan Khorschid, Max Rothbart und Oliver Stokowski steht um eine Mindmap, um einen Overheadprojektor, ein Flipchart. Das erinnert an den Moment in jedem Tatort. Text gibt es nur wenig und wenn, dann soll er eher zur Stimmung beitragen als eine Handlung vermitteln. Ist diese Grundhaltung einmal angekommen, hat man sich darauf eingelassen, dass es eher um die Stimmung von Angst,Verunsicherung und Bedrohung geht, die in einen Theaterabend gegossen werden soll, als um eine Geschichte, die mundgerecht serviert wird, dann ergibt sich ein sehr stimmiges Bild. Nach etwa dreißig Minuten Spielzeit erfolgt eine Live-Schaltung zu einer Virologin und einem Sozialarbeiter mit Geflüchteten, die improvisiert über die Handlung und über das Gefühl von Angst, Verunsicherung und die Krise sprechen. Dann geht der Fokus wieder auf die Darsteller, eine gedeckte Tafel wird auf den Platz getragen. Stück für Stück bauen Statist*innen auch um das Publikum herum Requisiten auf, die Inszenierung geht immer weiter in den öffentlichen Raum, genau wie sich ein Virus, ein Angstgefühl Stück für Stück verbreitet und irgendwann jeden vereinnahmt, jeden betrifft.
Nach einem Monolog, in dem Stiegler auf dem Mauerabsatz des Marstalles entlang balanciert, bis sie an einer Stelle ankommt, an der ihr Kostüm sich mit dem Schild ‚Löschwasserentnahme‘ an der Mauern vereint. Es folgt das große Finale: um die Ecke biegt der LKW des Resi, auf der Ladefläche die vier ‚Ermittler‘. Lichteffekte, Man-Power aus Statisten , aufwändige Kostüme. Mit Verlaub, aber die Abschiedsparty der vorherigen Intendanz, die vor etwa einem Jahr an selber Stelle stattfand, war dagegen ein müde Nummer!
In diesem Abend wird absolut eindrucksvoll gezeigt, wie Theater trotz Beschränkungen viel hermachen kann. Viele Möglichkeiten, die eben gerade im Freien auf einer so großen Fläche möglich sind, werden hervorragend verwirklicht. Live-Video und Performance eignen sich für einen solchen Abend, weil sie von einer Bühne losgelöst funktionieren. Inhaltlich ist noch Luft nach oben, das ist aber sicherlich dem veränderten Konzept und der begrenzten Proben und Konzeptionsmöglichkeiten geschuldet. Der Corona-Kompromiss, der hier gemacht wurde, ist auf jeden Fall gelungen. Auch dass das Theater jetzt, wenn wieder aufgeführt wird, seine eigenen Möglichkeiten, große Momente zu schaffen, so feiert, ist eine Hommage an die darstellende Kunst!
Kritik: Jana Taendler