Zeit – Rammstein im Olympiastadion (Bericht)

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Viermal das Olympiastadion ausverkaufen binnen weniger Stunden – das ist nichts Geringeres als eine Meisterleistung und gelingt wohl nur einer Band auf diesem Planeten: Rammstein. Es sollte der Startschuss einer Jubelorgie sein, wenn die Berliner am Mittwoch, 7. Juni 2023 zum ersten der vier Gastspiele auf die Bühne kommen – stattdessen umgibt eine ordentliche Anspannung die Konzerte. In den vergangenen Tagen wurden Anschuldigungen gegen den Sänger Till Lindemann laut, es geht um Missbrauch von Macht, Rauschmittel und auch in sexueller Form. Die Schlinge hat sich konstant fester zugezogen, es wurde reagiert mit der Abschaffung der „Row Zero“ und der Aftershow-Party.

Im Stadion selbst ist die Berichterstattung darüber der beherrschende Gesprächsstoff, wenige lassen sich dadurch aber die Vorfreude auf die hart erkämpften Tickets nehmen. Es wird viel diskutiert, mit reichlich Meinung und außerordentlich wenig Wissen. Da verkommt die Vorband Abélard etwas zur Nebensache. Wie schon in den vorherigen Stadion-Touren gibt es durchgehend Rammstein-Musik im Hintergrund, ein Duo aus zwei Pianistinnen, die Klavier-Arrangements gerade gehörter und später abermals zu hörender Lieder spielt, kommt da zwar als schöner Kontrast daher, ändert aber nichts an der absoluten Übersättigung der Musik, bevor auch nur der erste Ton erklingt. Das ist etwa 20:35 Uhr soweit, nachdem noch eine Ansage folgt, dass man doch bitte die Handys auslassen und nicht die Show mitfilmen sollte. Gut gemeint, aber ein nicht zu vernachlässigender Teil ist nur deswegen da – um da zu sein, um sich dort zu zeigen, um diese opulente Show zu sehen, allen Hindernissen zum Trotz.

© Jens Koch

Rammstein starten gewohnt opulent und entscheiden sich im schier endlosen Wust ihrer Opener für „Rammlied“, zuletzt 2011 in der Setlist gewesen. Dass die Stimmung wohl aber auch in der Band äußerst angespannt sein muss, zeigt sich darin, dass sich der eine oder anderen Verspieler gleich zu Beginn einschleicht. Eine musikalische Einheit ist das nicht, das sind eher skeptische Individuen, die die Reaktionen des Publikums abwarten. Und die sind: euphorisch. Erst im Laufe des Sets grooven sich die sechs Musiker ein und liefern anschließend routiniert und gewohnt gekonnt ab. Wer 2019 oder vergangenes Jahr in einer anderen Stadt die Tour bereits besucht hat, kennt mit der Ausnahme von einigen neuen Liedern in der Setlist sowieso bereits den Großteil der Show. Das ist wahrlich kein Grund zur Schande, denn die Produktion ist immer noch das Nonplusultra der Stadion-Shows und fraglos das gewaltigste Spektakel, was man auf dieser Welt in Konzertform betrachten kann. Konfetti, Pyro, Flammenwerfer, Feuerwerk, eine beeindruckende Lichtshow und Feuer, Feuer, Feuer.

Und dennoch lässt sich dieses Konzert nicht so ganz genießen. Es kommt ein unendlich fader Beigeschmack auf, wenn Till Lindemann all diese Rammstein-Texte singt, die man ihm im guten Glauben als Bühnenfigur singen lässt. Dass es nun anders sein könnte und er dieser schwarze Mann sein könnte, vor dem alle Angst haben, das fühlt sich komisch an. Völlig egal, ob das klangstarke „Du riechst so gut“ oder gegen Ende hin „Ich will“, bei dem er streckenweise sogar anfängt zu kichern („Ich will, dass ihr mir vertraut“) – so ganz neutral lässt sich das einfach gerade nicht betrachten. Das sieht die Band selbst auch so und nimmt ihr extremstes Sex-Werk kurzerhand aus dem Programm: „Pussy“. Ersetzt wird es durch eine Full-Band-Version der wundervollen und reichlich unkontroversen Ballade „Ohne dich“. Musikalisch sicherlich die dankbarste Entscheidung.

© Jens Koch

Wer auf große Worte und Erklärungen hofft, kennt Rammstein schlecht. Die einzigen Worte gibt es wie immer am Ende nach dem Kniefall der Band (der von Fans geplante Kniefall zur Band bleibt übrigens aus). „München, danke, dass ihr hier, dass ihr bei uns wart.“ Nicht mehr, nicht weniger. Der schwarze Rauch vom Anfang ist schon lange verzogen, am Ende von „Adieu“ gibt es dafür einen Konfettiregen aus weißen Papierteilchen. Abermals gehen sie in Beifall unter, abermals die jubelnde Menge freudig überzeugt von der fraglos astreinen Leistung. Es stellt sich die Frage, wie die juristische Aufarbeitung der Anschuldigungen in den kommenden Wochen und Monaten weitergeht. Wäre das Thema vor Tourstart aufgetaucht, hätte man der absoluten Öffentlichkeit auch noch entgegenwirken können, so wird die Europa-Tour weiterrollen und wohl auch in den kommenden drei München-Shows für viel Euphorie, aber auch reichlich Bauchschmerzen sorgen. „Aufhören, wenn’s am schönsten ist, die Uhren bleiben stehen“ oder „Doch die Zeit kennt kein Erbarmen, schon ist der Moment vorbei“? Die Antwort liefert, passend zum Songtitel, aus dem die Zitate stimmen, nur eines: die „Zeit“.

Setlist: Rammlied / Links 2-3-4 / Bestrafe mich / Giftig / Sehnsucht / Mein Herz brennt / Puppe / Angst / Zeit / Deutschland / Radio / Mein Teil / Du hast / SonneZugaben 1: Engel / Ausländer / Du riechst so gut / Ohne dichZugaben 2: Rammstein / Ich will / Adieu

Bericht: Ludwig Stadler

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