„Immer scheitern, wieder scheitern, besser scheitern“ – „Die Goldberg-Variationen“ im Volkstheater (Kritik)

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Ein Sommer in der Stadt – Surfer am Eisbach, am Gärtnerplatz gemeinsam auf den Sonnenuntergang warten, im Englischen Garten die Sonne genießen. Niemand wird widersprechen, dass dieser Sommer für die meisten von uns außergewöhnlich ist oder sein wird. 

Auch die Münchner Theaterszene hat in diesem besonderen Sommer etwas Besonderes zu bieten. Unter dem Motto „Ein Sommer Theater“ hat das Volkstheater am 24. Juli 2020 mit der Inszenierung „Die Goldberg-Variationen“ die neue Sommerspielzeit eröffnet. Anstelle der altbekannten Sommerpause tritt diesen Sommer ein Programm mit insgesamt vier neuen, corona-konformen Produktionen, unter anderem auch auf einer temporären Gartenbühne im Innenhof. 

© Arno Declair

Wenn der Intendant Christian Stückl selbst Regie führt, sind die Erwartungen standardmäßig hoch angesetzt. Dazu kommen die neue Gartenbühne, Publikum unter social distancing-Regeln und Abstandsgebot für die Schauspieler auf der Bühne. Stückl begrüßt das gespannt wartende Publikum gewohnt locker, eindeutig enthusiastisch und motiviert. Die Abstandsregeln werden alle Beteiligte an diesem Abend, im Feuer des Gefechts, nicht immer einhalten können, warnt der Intendant bereits im Vorhinein und erntet damit deutliche Sympathiepunkte. Dann jedoch geht alles sehr schnell, Christian Stückl wünscht allen viel Spaß und verschwindet, das Publikum verstummt und der Vorhang hebt sich für „Die Goldberg-Variationen“ . 

© Arno Declair

Denn es gibt natürlich einen Vorhang, auf der Outdoor Bühne im Innenhof, für das Stück von George Tabori, in dem sich alles ums Theater dreht, um Gott und die Welt, um die wohl bekannteste Geschichte unserer Existenz: das alte Testament. Regisseur „J“ , bissig und wundervoll überheblich dargestellt von Pascal Fligg, inszeniert mit seinem Regieassistenten „Goldberg“, zum Verlieben sympathisch gespielt von Mauricio Hölzemann, Szenen aus dem ersten Teil der Bibel. Hinzu kommen die „SchauspielerLuise Deborah Daberkow, Ceengiz Görür und Timoci Ziegler, die das kleine Ensemble mit ihren Macken und Ansichten vervollständigen und das Regieteam in den Wahnsinn treiben. Wie viel Wahrheit hinter einer solchen Darstellung tatsächlich steckt, können wohl nur die Beteiligten verraten, jedoch ist es faszinierend mit anzusehen, wie sich die „Schauspieler“ durch die verschiedenen Szenen des alten Testamentes spielen, dabei neue Denkansätze hervorbringen oder Szenen ganz und gar neu interpretieren.

Am Ende dieses wirklich kurzfristigen Abends steht außer Frage, dass Theater – gutes Theater – sich auch von Abstandsregeln und Publikumseinschränkung nicht abschrecken lässt. Theater kann sich anpassen, kann seine Form und seinen Ort verändern, Theater kann neue Wege finden, uns alle zu begeistern. „Die Goldberg-Variationen“ in der Regie von Christian Stückl ist nur eines der vielen Beispiele, die uns zeigen, dass Theater und Kultur für München durchaus systemrelevant sind. 

Kritik: Anna Matthiesen