Komplett im Arsch – Feine Sahne Fischfilet in der TonHalle (Bericht)

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Gebrannt hat es zwar nicht, aber eine lange Kette hat sich trotzdem vor der TonHalle am 16. Februar 2018 mitten im Werksviertel Mitte am Ostbahnhof München gebildet. Obwohl man irgendwie jedes Mal einen neuen Weg zu dem alten Kartoffellager gehen muss, kommt man nach einigen Minuten des Herumirrens doch irgendwann an. Feine Sahne Fischfilet, die Trompetenpunker aus dem Norden, stehen heute auf dem Spielplan – restlos ausverkauft, etliche verzweifelte Kartensucher vor der Halle. Fast ein wenig überraschend, wie groß diese Band geworden ist, wie sehr sie vielleicht auch gerade im Trend liegt. Dementsprechend sind auch die T-Shirts in der Halle: von üblichen Southside-Shirts bis Thy Art Is Murder-Logos – alles zu entdecken.

Zugegeben, den Titel des bekanntesten Songs der Band als Überschrift zu wählen, das ist durchaus ein wenig billig – andererseits beschreibt nichts anderes diesen Abend besser. Dabei fängt es um 20:00 Uhr noch recht ruhig an, als FSF-Frontmann Monchi auf die Bühne kommt, um die Support-Band des heutigen Abends anzukündigen: Moscow Death Brigade. Hat man sich nicht zumindest kurz einmal angehört, was hinter dem Namen steckt, dürfte das Folgende nicht wenig überraschend gewesen sein: Hip-Hop aus Russland, teilweise mit Punk-, teilweise mit elektronischen Samples. Das alles ist zwar irgendwie so gar nicht das, was man erwarten mag, passt aber tatsächlich immens gut und spätestens beim zweiten Lied „It’s Up“ wird man so langsam aber sicher mit den drei maskierten Gestalten warm, denn das ist das erste Lied mit Gitarren-Sample – aller Grund für die goldene Mitte der TonHalle, bereits zum Moshen anzufangen. MDB motiviert das umso mehr und liefert mit ehrlichen Ansagen gegen Rassismus und Gewalt auch genau die Messages ab, für die der Hauptact auch steht. Wäre der ganze Spaß nicht so unfassbar eintönig, was den Beat betrifft, und würde man hier und da auch mal ein klares Wort verstehen – der Auftritt wäre tatsächlich perfekt. So bleibt allemal ein ungewöhnlicher und solider Einheizer.

Setlist: Anne Frank Army, Pt. II / It’s Us / Brother And Sisterhood / Ghettoblaster / Renegade Stomp / What We Do / Boltcutter / Crocodile Style / Papers, Please!

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Einen „Einheizer“ braucht es wahrlich nicht für das, was folgen soll: Feine Sahne Fischfilet. Als allerdings um 21 Uhr das Licht ausgeht und mit ganzen vier (!) Songs aus der Konserve aufgewartet wird, sehen manche Gesichter schon ein wenig genervt aus, da können die Dead Kennedys und Die Toten Hosen noch so schöne Lieder spielen. Erst um etwa 21:15 Uhr verklingt auch das Intro mit Strobolicht, der Vorhang fällt und „Zurück in unserer Stadt“ prescht aus den Boxen. Exakt ab dieser Sekunde verwandelt sich der komplette Stehbereich der TonHalle in einen kochenden Pit, auch bis zu den sonst eher als insgeheim „sicheren Bereich“ deklarierten Säulen. So etwas konnte man zuletzt 2014 bei Limp Bizkit im Zenith beobachten – dass die gesamte (!) Besucherschar dermaßen eskaliert, dürfte man selten bei Einzelkonzerten erleben. Da lässt sich ein Mittvierziger vollkommen mit Bier übergießen, um sich danach in Ekstase in die Menschenmenge fallen zu lassen und laut zu jubeln – morgen sitzt er wieder am Schreibtisch. Ist es dieses „die Sau rauslassen“, was die Leute so fasziniert und so packt? Zumindest wird es in Scharen feierlich zelebriert.

Bei FSF den musikalischen Aspekt bis ins kleine Detail zu untersuchen, ist Blödsinn. Singen kann niemand so recht, Gitarrist Christoph noch am besten, richtig außergewöhnliche Wege sucht man vergebens. Man bewegt sich innerhalb eines Metiers – aber darin zielsicher und sehr solide. Und das Gespür für große Hymnen zum Mitsingen liegt ihnen irgendwie im Komponistenblut, den Filets (ist das eine legitime Abkürzung?). Wenn über 2000 Leute wirklich brechend laut „Geschichten aus Jarmen“ und „Komplett im Arsch“ mitsingen, glaubt man Monchi sofort seine Gänsehaut.
Ebenso glaubt man sie ihm, wenn er über die Zustände vor Ort in den Fluchtländern erzählt und damit das Lied „Suruç“ ankündigt – eines der stärksten Momente des Abends. Denn eine Show existiert de facto nicht, abgesehen von einem Bananaboat bei „Mit Dir“. Die Musiker selbst sind die Show, ihre Musik und die damit einhergehende Verausgabung.

Mit satten 110 Minuten reiner Spielzeit und insgesamt 23 Liedern dürfte kein Konzertbesucher unzufrieden zurückgelassen werden – die Nordlichter halten ihr Versprechen, ordentlich Party zu machen und, wie auf den Festivals, alles zum Kochen zu bringen. Da wirkt es fast etwas fehlaufgestellt, wenn unter den wirklich umfangreichen sechs Zugaben die letzten vier Lieder doch eher ruhig und dümpelhaft sind. Hat man zu viele Kracher am Anfang verschossen? Womöglich, denn die ersten Lieder mit u.a. dem Bombast-Song „Alles auf Rausch“ haben auch nach Ende des Konzerts am meisten Eindruck hinterlassen.
Ja, da mögen viele Hipster- und Trend-Kartenkäufer sein, die mehr verwirrt ob des Moshpits waren als der Band ihre Aufmerksamkeit zu widmen – andererseits spricht es für die Band, wenn sie Aktualität beweisen und damit Interesse zeigen. FSF mögen in den letzten Jahren nicht undiskutabel alles richtig gemacht haben, aber ihre klare politische Positionierung ist vor allem in Zeiten des Alltagsrassismus und der AfD, die einen massiven Aufschwung verzeichnet, immer wieder wichtig und bedeutend. Denn ja, verdammt nochmal – Nazis gehören raus, Menschen sind nun einmal nicht illegal und es gibt wahnsinnig viele coole Leute da draußen, die sich für eine klein wenig bessere Welt einsetzen. Wenn Monchi von muslimischen Bürgern erzählt, die massiv gegen das Unrechtsregime des IS kämpfen und genau solche Leute dann hier diffamiert und angefeindet werden ob ihrer Religion, da gibt es nichts zu diskutieren: sie haben Recht. Mit jedem Wort. Und die Tatsache, dass so etwas auch weiter ausgesprochen werden müssen wird, ist bitter.

Setlist: Zurück in unserer Stadt / Für diese eine Nacht / Alles auf Rausch / Solange es brennt / Stumme Menschen / Mit Dir / Ich mag kein Alkohol / Dorffeste im Herbst / Angst frisst Seele auf / Alles anders / Niemand wie ihr / Geschichten aus Jarmen / Ostrava / Solidarität / Suruç / Wut / Zuhause / Komplett im Arsch Zugaben: Dreck der Zeit / Lass uns gehen / Warten auf das Meer / Wo niemals Ebbe ist / Wir haben immer noch uns / Weit hinaus

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Bericht: Ludwig Stadler
Fotos: Martin Schröter

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