Gleich zu Beginn muss ich die magische Grenze der dritten Person durchbrechen und gestehen, dass ich tatsächlich noch nie etwas von der „Rocky Horror Show“ gesehen habe. Zwar hatte ich gefühlt abertausende Möglichkeiten, die Verfilmung „Rocky Horror Picture Show“ anzusehen, aber irgendwie sollte es dann doch nie sein. Nur mit der Musik kam ich in Berührung, aber wie kann man auch Welt-Hits „Time Warp“ nicht kennen?
Es war also nur konsequent, am 21. Februar 2018 die Premiere der „Richard O’Brien’s Rocky Horror Show“ im Deutschen Theater in München zu besuchen, denn wie oft hat mir ein guter Bekannter vorgeschwärmt, wie fantastisch diese Tour-Produktion doch sei, die im historischen Kult-Theater an der Schwanthalerstraße nun für einen Monat einkehrt. Und so viel schon vorweg: er sollte mit jedem Wort Recht behalten.
Das eigentliche Erlebnis startet schon vor dem Beginn. Premiere einer so derartigen Kult-Produktion lockt natürlich ebenso hunderte Fans des Dauerbrenners an, die gewohnt schräg, aber natürlich passend verkleidet, ihre Plätze einnehmen. Bereits vorab werden die nötigen Utensilien in einer hübschen Tasche verkauft, gleich mit der Anmerkung, dass man einige Dinge doch unterlassen solle, wie beispielsweise die Schauspieler mit der Wasserpistole bespritzen. Wasserpistole? Utensilien? In einem Musical? Ja! Wer jemals eine der wöchentlichen Vorstellungen im Museum Lichtspiele besucht hat, weiß das, dort läuft die Verfilmung nun schon unglaubliche 40 Jahre – und jedes Mal mit unglaublicher Interaktion von Reiswerfen bei der Hochzeit bis eben Wasserschlacht im Sturm. Anders ist es im Deutschen Theater nicht, wenngleich auch hier nicht nur eingefleischte Fans sind, sondern das übliche, interessierte Theaterpublikum sich ebenso hinein wagt wie Familien und Pärchen, die das „nun doch endlich einmal“ sehen wollen. Nun denn: gesagt, getan.
Gleich der Beginn kommt einer Dampfwalze gleich. Ohne große Ankündigung erlischt plötzlich das Licht und die doch recht laute Band startet mit voller Wucht in das Intro, übergeleitet zum Epilog zu „Science Fiction Double Feature“. Die Story, die daraufhin folgt, ist weithin bekannt, im Prinzip aber auch gleich erklärt: Pärchen hat Autopanne, landet in einem Haus voller schräger Gestalten mit schrägen Vorkommnissen und einer „Jeder-mit-jedem“-Mentalität. Irgendwann kommt ein Doktor im Rollstuhl, beschuldigt alle als Aliens, das wird bejaht. Daraufhin gibt es ein Massaker und die Aliens fliegen wieder weg auf ihren Planeten „Transexual“. Liest man all das zum ersten Mal – man kommt sich ein wenig veräppelt vor. Auch wenn man es das erste Mal sieht, wird es irgendwie nicht schlüssiger und bleibt stumpf, aber praktisch hat die Handlung auch überhaupt gar keinen Wert, denn es geht um komplett andere Dinge: die Musik und die gnadenlose Überzeichnung. Das Stück lebt einerseits davon, dass jeder die Songs mitsingen kann, andererseits von so einer fast schon (im positiven Sinne) perversen Verspieltheit, die so maßlos im Schauspiel überschritten wird, dass es schon wieder vollkommen genial ist. Ein außergewöhnliches Phänomen.
Das Bühnenbild ist genauso clever wie schlicht. Die prinzipielle Konstruktion im Hintergrund bleibt konstant: eine Treppe, im ersten Stock spielt die wirklich starke und fantastisch abgemischte Band, bestehend aus sechs Musikern. Die restlichen Elemente werden nach und nach hereingeführt, je nach Situation variiert, sind aber auch vollkommen egal, denn der gesamte Fokus liegt durchgehend auf den Darstellern. Wenn Frank’n’Furter seinen ersten Auftritt hat, jubelt das gesamte Theater – kein Wunder, denn Gary Tushaw ist in seiner Rolle eine absolute Wucht. Sein gnadenlos überkandideltes Schauspiel und starker Gesang gehören zu den definitiven Höhepunkten der Show, über weite Teile erinnert er ein wenig an eine britische Version von Uwe Kröger, der in dieser Rolle sicherlich ebenso brillieren würde.
Nichts sollte mehr Aufmerksamkeit erfahren als der wirklich großartige Cast! Sophie Isaacs und Felix Mosse als Janet und Brad geben als bürgerliches, naives Pärchen eine wunderbare Figur ab und wissen stimmlich sehr wohl zu überzeugen, allen voran Isaacs im zweiten Akt. Nicht nur für die Augen eine Weide, sondern auch für die Ohren ist Ryan Goscinski als Rocky, das gelungene Experiment eines Adonis. Klare und kräftige Töne paaren sich vor allem mit dem sympathischen und kindlichen Schauspiel eines Kleinkinds, das alles entdecken möchte. Als er beispielsweise versucht, dem Erzähler sein Buch zu stibitzen, muss der ganze Saal schmunzeln. Der Erzähler wird von niemand geringerem als Kino- und TV-Darsteller Sky Du Mont gemimt. Die größte Aufgabe dürfte dabei sein, auf die etlichen „Boring“-Rufe zu reagieren – auf jeden einzelnen. Das fordert Du Monts Spontanität heraus, welche er aber durchaus beweist und mit lockeren Sprüchen kontern kann.
Die größte Ehre gebührt allerdings Stuart Matthew Price als Riff Raff. Das Multitalent, das selbst u.a. die Musicals „Imaginary“ und „Before After“ komponierte, übernimmt auch wie die letzten Jahre die Rolle des außerirdischen Dieners – zum Glück, denn beginnt Price zu singen, tobt der Saal. Jeder Ton, egal wie hoch oder kräftig, ist glasklar und im perfekten Timbre; kurzzeitig kann man sich fragen, ob es so perfekten Gesang überhaupt geben kann. In jedem Fall ein Genuss, wenn mit so einer grandiosen Stimme der „Time Warp“ angestimmt wird.
„Rocky Horror Show“ ist ein absolutes, unkaputtbares und schier ewig weiterlebendes, weltweites Phänomen. Die Musik fesselt, die Performance reißt mit und die Interaktion mit dem Publikum ist absolut einmalig, selten gibt es selbst in der Pause eine so ausgelassene Stimmung. Wieso genau aber diese simple und ziemlich bescheuerte Geschichte damals so erfolgreich wurde? Die Motive der Transsexualität und Monogamie Anfang der 70er-Jahre lassen andeuten, dass diese damaligen Tabuthemen ein Durchbruch im Theater gewesen sein dürften – nun, 45 Jahre später, bleibt die unsterbliche und immer noch unfassbar mitreißende Musik. Der Einstand im Deutschen Theater hat jedenfalls wieder einmal bestens funktioniert – und die VVK-Zahlen der kommenden Aufführungen sprechen für sich; wer noch dabei sein will, sollte sich ranhalten!
Bericht: Ludwig Stadler
Vielen Dank an Petra Schönberger von Events for you für die Bereitstellung einiger Bilder!
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