„Es gibt Leute, die tun’s, uns, doch wir tun‘s nicht.“ Scheinbar tun’s junge Menschen in Japan nicht oder nicht mehr.
Während in Europa also schon das Jugendtheater mit Frühlings Erwachen die Zuschauer über den Beischlaf unterrichtet, wird in „No Sex“ erforscht, wer diese Menschen sind, die in Asien scheinbar kein Interesse an körperlicher Liebe mehr haben und wie sie sich benehmen. Am 15. Mai, einen Monat nach Premiere, läuft das Stück von Toshiki Okada zum zweiten Mal in den Münchner Kammerspielen.
Vier junge Männer kommen in eine Karaoke-Bar, so weit so ungewöhnlich. Sie sehen allerdings aus, als kämen sie geradewegs von einem Haute-Couture-Laufsteg. Das liegt nicht so fern, hat doch Designerin Tutia Schaad die feinen Garderoben entworfen. Die vier androgynen Barbesucher verhalten sich auch ihrem abgehobenen ‚Cluster‘ entsprechend: fragen den verunsicherten Barkeeper (Stefan Merki), ob es ihm nicht unangenehm sei, Menschen aus einem so anderen sozialen Umfeld in seiner Nähe zu haben; Menschen, für die Bier und Karaoke singen nicht einem freizeitlichen, sondern selbstexperimentellen Zwecken dient.
Die „Zierpflanzen“ verhalten sich dabei zwar alle in höchstem Maße androgyn und künstlich, trotzdem kann man bei Christian Löber, Thomas Hauser, Benjamin Radjaipour und Franz Rogowski differenzierte Rollen erkennen, was mit dem übertriebenen gestischen Schauspiel, welches Okada hier einsetzt, nicht selbstverständlich ist.
Zu jedem Satz gehört eine grotesk anmutende Choreographie, die der Schauspieler mit seinem Körper verführt, als wäre es normal, sich beim Sprechen zu verrenken. Dies sorgt für einige Lacher im Publikum, das sich sicher fragt, ob das wohl No- Theater sei oder die einfach so sind. Doch der Habitus gibt auch zu denken: wie unnatürlich ist es, dass junge Menschen lieber auf Zärtlichkeit verzichten als sich Emotionen auszusetzen, die sie als störend und unproduktiv empfinden? Mindestens so unnatürlich wie die Einrichtung der Karaoke-Bar. Mit bedruckten Tapeten von Bambus über Kacheln bis zur Glitzeroptik schreit das Bühnenbild (Dominic Huber): „Du kannst dir alles faken, hol dir die Natur ins Haus, mit Bambusdrucktapete!“
Das wild wechselnde, bunte Licht (Pit Schultheiss) tut seinen Teil, um alles noch kitschiger, übertriebener, künstlicher wirken zu lassen.
Auch bei der detaillierten Beschreibung eines Love-Hotels durch die Reinigungskraft (Anette Paulmann) wird klar: Ja, in Japan gibt es einen künstlicheren, kühleren Umgang mit Sex und Zuneigung. Zwischen den paraphrasierten Ausführungen über die hypothetische Identifikation mit dem ‚Ich‘ oder dem ‚Du‘ in einem Lovesong wird dann tatsächlich gesungen. Diese Einlagen sind erfrischend und vor allem witzig, weil hier die allseits bekannten englischen Songtexte ins Deutsche übersetzt (Anna Galt) ad absurdum geführt werden. Spätestens beim Blick auf die englischen Übertitel kommt dem Zuschauer das Grinsen, wenn er erkennt, um welches Lied es sich handelt.
Absolut abgerockt werden die Songeinlagen von Merki und natürlich von Paulmann, da diese beiden, noch vom altem Schlag, als einzige wissen, wie man sich Leidenschaft und Musik hin gibt. Das Stück ist also etwas experimentell; wären die absurden Bewegungen nicht mit so viel Situationskomik verbunden, fiele es manchem Zuschauer sicher schwer zu folgen. Die Frage, warum junge Japaner keinen Sex haben, wird mit so viel Gestik schlussendlich fast etwas verdrängt. Oder aber auf eine Art sehr deutlich beantwortet: weil sie so komisch sind, dass man sie ohnehin nicht versteht. Ein zu simpler Ansatz?
Kritik: Jana Taendler
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