NINE ELEVEN SAID WHO – eine Diplomarbeit im Volkstheater
Dass es sich beim Titel NINE ELEVEN SAID WHO um die wissenschaftliche Präsentation einer Diplomarbeit handelt, ist mindestens unerwartet. Caroline Kapp, Regiestudentin der Otto Falkenberg Schule, beschränkt sich aber auf eben dieses Dokument. Denn Mohammed el- Amir/ Atta war nicht nur Attentäter, sondern auch Akademiker. Wie kann aber so ein Theaterabend aussehen, in dem eine wissenschaftliche Arbeit vorgestellt wird? Im Volkstheater: sehr reduziert.
Vier Schauspieler, eine knappe Stunde und eine 360-Grad-Bühne. Die Wände des Raumes sind mit hellblauem Stoff verhangen. Die Zuschauer sitzen um das Geschehen. Vor Beginn der eigentlichen Vorstellung wird man bereits darauf hingewiesen, dass es nicht um den Beweis kreativer Fertigkeiten ginge, sondern um die inhaltliche Auseinandersetzung. Und genau das geschah auch. Attas Arbeit beleuchtet die architektonische Entwicklung eines Stadtviertels in Alleppo und deren gesellschaftliche Hintergründe, den sozialen Wandel und den abschätzigen Blick der westlichen Welt darauf. Ob dieser mit zur Radikalisierung des Studenten beitrug, darüber erlaubt sich die Arbeit kein Urteil. Die vier Sprecher berichten, wie schwer es war, an die Schrift zu kommen, wie geschützt das geistige Eigentum, auch eines Terroristen, ist und geben die „auswendig gelernte“ Diplomarbeit wieder. Das ist keine leichte Aufgabe. Da der Text sich so gar nicht gut merken lässt, muss ab und zu die Souffleurin helfen.
Dennoch ist die Mischung aus Monolog und Gespräch der vier Darsteller zu keiner Zeit langweilig. Im Gegenteil, ohne Kulissen und Illusion schaffen sie es dennoch, das Thema nahe zu bringen. Es fühlt sich ein wenig so an, als würde man eine Hörspieldokumentation über Stadtentwicklung in Alleppo hören. Die Darsteller sind weniger Schauspieler als Sprechkörper, sie tragen die Passagen angenehm vor, sind alle gleich gekleidet und halten den Fokus auf den Text. Sie nehmen das Gesagte ernst, obwohl es nicht um eine Figur und deren Ausdruck geht, sondern einfach um eine wissenschafliche Arbeit.
Wie viel hat das mit dem Anschlag auf die Twin Towers zu tun hat?
Das Stück maßt sich nicht an, das zu entscheiden. So viel ist über diese Anschläge schon gesagt und spekuliert worden. Dass sich Kapp eben nicht dazu hinreißen lässt, darüber Aussagen zu treffen, ist ihr hoch anzurechnen. Sie lässt die Arbeit für sich stehen.
Denn auch ein Terrorist kann, von seiner Tat unabhängig, eine hervorragende Diplomarbeit schreiben. Dieses Format ist eine gute Idee, um wissenschaftliche Arbeiten im allgemeinen der Öffentlichkeit näher zu bringen. Es zeigt, was Theater noch kann, wie es eben auch sein kann. Etwas zwischen dokumentarischem Ansatz und einer Lesung. Wie es auch, entgegen der Theaterkonvention, neutral sein kann und keine Stellung bezieht. Somit vertraut das Stück darauf dass der Zuschauer sich Gedanken macht, denn es gibt ihm keine vor.
Zum Schluss werden die hellblauen Stoffvorhänge aufgezogen, das Deckblatt der Arbeit wird chorisch rezitiert. Titel, Name, Geburtsdatum, Datum der Einreichung, schließlich: Todesdatum: 11. September 2001 New York City. Damit steigt die Spannung noch einmal stark und plötzlich ist klar: Hier lernt man noch etwas über 9/11. Das Stück ermöglicht eine ernsthafte Auseinandersetzung mit einem Thema, welches diesem Mann, Mohammed Atta, wichtig genug war, um darüber seine Diplomarbeit zu schrieben. Damit versteht man einen Teil von ihm sicherlich hundert mal besser als mit jeder Vermutung über seine religiösen Ansichten.
Da schreibt der Mann über Stadtentwicklung und begeht dann einen der größten Eingriffe in die Architektur einer Stadt, die es je gegeben hat. Solche interessanten Gedanken können einem kommen, wenn man von und mit Atta über ein unbekanntes Viertel in Aleppo hört.
Bericht: Jana Taendler
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