Ereignisse, die sich nicht wiederholen, nennt man einmalig. Ein einmaliges Ereignis war das Konzert, das am 4. Juli im Circus Krone gegeben wurde; einmalig, abseits von Herakliteischen Spitzfindigkeiten und vom Enthusiasmus eines Pink Floyd-Fanboys. Es war das Konzert von Nick Mason, des einzigen Drummers der britischen Prog-Ikonen, der zurzeit mit einer eigenen Band die Welt bereist und Stücke aus dem Floyd-Katalog darbietet, die aus einer anderen Zeit und einem anderen Geist stammen als die omnipräsenten Prismen, fliegenden Schweine, marschierenden Hämmer.
Sie nennen sich Nick Mason’s Saucerful of Secrets und der Name ist Programm: Auf A Saucerful of Secrets, dem zweiten Pink Floyd-Album, ist die Band schon in der für die kommenden 20 Jahre stabilen Formation Gilmour–Mason–Waters–Wright zu hören, doch auch die enigmatische, brillante Gründerfigur der Band, Syd Barrett, ist noch mit von der Partie. Songs wie »Set the Controls for the Heart of the Sun« oder das Titelstück mit seinem hypnotischen Noise-/Percussion-Teil und dem elegisch-ekstatischen Finale sind charakteristisch für die Frühphase der Band, die mit dem experimentellen Live-Set ohne Publikum im Amphitheater des antiken Pompeji ihren Abschluss, und mit dem im Jahr darauf veröffentlichten Dark Side of the Moon ihr Ende fand. Die Band besteht aus Lee Harris (Gitarre, ex-Blockheads), Dom Beken (Keyboards, High Frequency Bandwith), Gary Kemp (Gitarre, Spandau Ballet), Guy Pratt (Bass, u. a. Post-Waters-Pink Floyd), und natürlich Nick Mason selbst, 78-jährig, lächelnd und bedächtig seine Drums bearbeitend, wie seit jeher. Mason als rhythmischem Rückgrat von Pink Floyd verleiht den ›Saucers‹ die Autorität der Echtheit; doch Mason ist auch Archivar von Pink Floyd: Es ist nicht seine Absicht, seine Version der Band im Solo-Kontext zu vertreten: Er möchte die frühen Floyd-Songs hörbar machen, die in den vergangenen vier Jahrzehnten in den Live-Shows der Band und ihrer (ehemaligen) Mitglieder meistens ausgespart blieben. Daraus speist sich die Leichtigkeit und beinahe Naivität, mit der die ›Saucers‹ die Stücke, die heute Abend auf der Setliste stehen, angehen: Zu vier Fünfteln handelt es sich, könnte man sagen, um eine hochkarätige Tribute-Band, deren Interpretationen von höchster Stelle, der einen Hälfte der verbliebenen Pink Floyd, abgesegnet sind.
Nach dem wummernden Auftakt mit »One of These Days« machen die ›Saucers‹ sogleich Ernst mit ihrem Konzept und bieten die frühe Single »Arnold Layne«. Weitere selten live gehörte Perlen, die es nicht auf die Studioalben schafften (»See Emily Play«), zwischen den längeren Kompositionen ein wenig untergingen (»If«, »Fearless«), oder auf den beiden, häufig übersehenen Soundtrack-Alben More und Obscured by Clouds (»The Nile Song«, »Burning Bridges«) zu finden sind, oder die niemals ordentlich veröffentlicht wurden (»Vegetable Man«): die ›Saucers‹ spielen sie alle. »Das Stück haben auch die Australian Pink Floyd noch nie gespielt«, lässt Mason in Bezug auf »Vegetable Man« schmunzelnd verlauten. Zumeist hält sich der Drummer aber im Hintergrund und überlässt es Pratt und Kemp, mit dem den voll bestuhlten Circus Krone-Bau voll besetzenden Publikum in Interaktion zu treten, was beide mit Witz und Freude tun. Dass Pink Floyd für viele der Anwesenden, die mehrheitlich männlich und jenseits der 50 sind, eine Herzensangelegenheit ist, ist deutlich spürbar. Schon zu Beginn des Konzerts, als Mason sich kurz erhebt, um ein paar erklärende Worte zu dieser seiner ersten ausgedehnten Solo-Tournee zu verlieren, erhebt sich der ganze Saal spontan und zollt stehende Ovationen.
Mason repräsentiert Pink Floyd, doch Kemp und Pratt geben sich, was gut ist, keine Mühe, Waters und Gilmour zu repräsentieren, oder gar zu imitieren. Beide haben einen eigenen Gesangs- und Spielstil, den sie auch nicht unterdrücken. Dementsprechend unterscheiden sich ihre Interpretationen auch mehr oder weniger stark von den Originalen. Besonders gelungen ist die Fusion aus »If«, von Pratt mit feinen Bassläufen verlebendigt, und einem Ausschnitt aus »Atom Heart Mother«. Vor allem hinsichtlich der Stücke aus dem Dunstkreis des Debütalbums entschied sich die Band für eine recht schnelle, ruppige Herangehensweise, über der der spielerische, kindlich unorganisierte Charakter der Originale ein wenig verloren geht. Abgesehen von der mitunter kreischend hohen Lautstärke klingt die Band gut, doch ausgerechnet Masons Schlagzeugsound kann nicht recht überzeugen. Vom erdig-luftigen Rumpeln, wie es auf frühen Aufnahmen zu hören ist, ist nicht mehr viel übrig; Masons Drums klingen flach und überkomprimiert. Hinter der Band wirbeln beständig große, farbenfrohe Animationen, doch Mason versucht nicht einmal, an Waters‘ megalomanische Bühnenshows oder auch die Laser-Experimente der späten Pink Floyd-Tourneen anzuschließen. Die Visualizer wirken auf sympathische Weise billig, statt eigens produzierter Animationsfilme sieht man hier etwas, das verdächtig nach in Fehlfarben gefilmtem Spülmittelschaum aussieht. Das ist sympathisch, weil es wiederum die Musik und die Menschen, die sie machen, in den Mittelpunkt stellt und daran erinnert, dass auch Pink Floyd einst eine junge Band waren, und sich ungezwungen von ihrer Kreativität (und ggf. psychoaktiven Substanzen) leiten ließen, ohne vom eigenen Ruf und Ruhm und von ambitiösen Konzepten zu Stecknadel-großen Gestalten zu Füßen einer immensen Leinwand degradiert worden zu sein.
Masons Show firmiert nicht allein unter dem Banner ›B-Sides & Rarities‹ und so spielt die Band auch die bekannteren Stücke aus Floyds Frühwerk, »Interstellar Overdrive«, »Set the Controls for the Heart of the Sun« und (zur großen Freude des Publikums) »Echoes«. Nach einem gut zweieinhalbstündigen, von einer kurzen Pause unterbrochenen Set verabschieden sich die ›Saucers‹ mit einer fantastischen Interpretation des Stücks, nach dem sie sich benannt haben: »A Saucerful Of Secrets«.
Fazit: Es war ein einmaliges Konzert, da es sich voraussichtlich nicht wiederholen wird. Dies soll zwar nicht seine letzte Tour gewesen sein, gibt Mason zu verstehen, aber in demselben Ausmaß wird er sich kein zweites Mal on the road begeben. In eben dieser Einmaligkeit war es ein besonders berührendes und intensives Konzert, denn es ließ die Lebendigkeit und Unmittelbarkeit der (frühen) Pink Floyd hör- und spürbar werden. Es legte das Anziehende dieser Musik, jenseits aller ikonischen Bilder und spektakulärer Liveshows, frei – aber getaucht in die verhaltene Melancholie des letzten Abends des Urlaubs am Fuß des Vesuv.
Setlist: One of These Days / Arnold Layne / Fearless / Obscured by Clouds / When You’re In / Candy and a Currant Bun / Vegetable Man / If – Atom Heart Mother – If / Remember a Day / Set the Controls for the Heart of the Sun // Astronomy Domine / The Nile Song / Burning Bridges / Childhood’s End / Lucifer Sam / Echoes // See Emily Play / A Saucerful of Secrets / Bike