Wir schreiben das Jahr 2015, Mötley Crüe sind zusammen mit Special Guest Alice Cooper auf Abschiedstournee in halb-leeren Hallen durch Europa und schwören beim letzten Song jeden Abend den ewigen Rücktritt. KISS und die Scorpions werden für ihre inkonsequenten Farewell-Touren durch den Kakao gezogen, es wird gar ein notariell beglaubigter Vertrag aufgesetzt, der sämtliche zukünftigen Touren verbieten sollte. Fast-forward acht Jahre und einen Netflix-Hit später, sind sie zurück in Europa, dieses Mal mit Def Leppard und am 27. Mai 2023 gleich vier Mal so groß diesmal auf dem Königsplatz in München. Im Vorfeld gab es einige unschöne Auseinandersetzungen zwischen Band und jetzt Ex-Gitarristen Mick Mars, der aufgrund seiner Erkrankung vom Rest der Band in die Zwangsrente geschickt wurde und prompt die bereits laut gewordenen Playback-Anschuldigungen Richtung Band befeuerte. Für ihn springt Gitarrenvirtuose John 5 (Ex-Marilyn Manson, Ex-Rob Zombie) ein.
Nach der überraschenden Meisterschaft des FC Bayern und den bereits vorherrschenden Problemen der Deutschen Bahn wurde es für einige knapp, zum Startschuss um 19:30 vor der Bühne zu sein. Wer erst zum ersten Ton von Mötley Crüe erscheint, hat allerdings bisher auch absolut gar nichts verpasst, außer vielleicht zum „Rock-DJ“ als Hintergrundgeräusch an den sichtlich überforderten Bierständen anzustehen. Eine Vorgruppe hätte der Veranstaltung definitiv gutgetan, denn Mötley Crüe betreten überpünktlich eine de facto „kalte“ Bühne. Bereits zum Opener „Wild Side“ wirkt ihr Sound chaotisch, die Lautstärken stark variierend. Einem kann man nach besagten Vorwürfen definitiv das Playback absprechen: Frontmann Vince Neil ist zwar deutlich besser in Form als noch auf der letztjährigen US-Tour, hat aber trotzdem noch ein wenig kurzen Atem und verschluckt das ein oder andere Wort. Mit Hilfe von ordentlich Hall und Echo klingt seine Stimme aber definitiv passabel. Neben John 5 an der Gitarre wurden auch die zwei Background-Sänger- und Tänzerinnen etwas verjüngt und bilden ein Highlight der Show.
Trotz einer absoluten Best-Of-Show springt der Funke auf das Publikum zu Beginn noch nicht ganz über. Mit dem Title-Track „The Dirt“ zum gleichnamigen Film tut sich die Band aus LA auch wirklich keinen Gefallen: Via Playback und auf den Videoscreens wird für den fragwürdigen gerappten Refrain Machine Gun Kelly eingeblendet, der auch am Original des Songs beteiligt war. Erst im letzten Drittel beginnt das Publikum mit der Dämmerung und stetig steigendem Alkoholkonsum textsicherer zu werden. Die auf der letzten Tour eindrucksvollen Pyroeinlagen und Schlagzeugkonstrukte werden auf dieser Tour durch zwei aufblasbare weibliche Figuren auf der Bühne ersetzt und es fühlt sich etwas an wie ein Downgrade. Zu „Home Sweet Home“ begibt sich Schlagzeuger Tommy Lee dann auf den Steg Richtung Publikum und darf auch einmal ans Mikrofon. Seine Ansage lässt sich leicht zusammenfassen: Er hätte gerne mehr Bier und mehr entblößte Brüste im Publikum. Die verhaltenen Reaktionen darauf machen deutlich, dass vom Sexappeal und Charme der Band nach über 40 Jahren Bandhistorie eben nicht mehr viel übrig ist. Im Endspurt des 90-minütigen Sets mit „Girls Girls Girls“, „Primal Scream“ und vor allem „Kickstart My Heart“ kommt endlich die gewünschte Stimmung auf und am Ende wird auch abseits des ersten Wellenbrechers mal besser mal schlechter mitgegrölt. Alles in Allem hätte man es eventuell, zumindest was Live-Auftritte angeht, bei der Auflösung 2015 belassen sollen.
Setlist: Wild Side / Shout At The Devil / Too Fast For Love / Don’t Go Away Mad (Just Go Away) / Saints Of Los Angeles / Live Wire / Looks That Kill / The Dirt / Medley / Home Sweet Home / Dr. Feelgood / Same Ol‘ Situation (S.O.S.) / Girls, Girls, Girls / Primal Scream / Kickstart My Heart
Nach durchwachsenem Start ist jetzt Zeit für das britische Pendant zum amerikanischen Glam Rock: Def Leppard. Weniger verrucht und deutlich Balladen-lastiger präsentiert sich die Band um Frontmann Joe Elliot von Beginn an deutlich zahmer, aber mit besserem Sound, allerdings immer noch etwas leise, was durchaus auch der Location geschuldet sein kann. Eben dieser, seines Zeichens zwei Jahre älter als Vince Neil, zeigt klar, wie man seine Stimme über die Jahre instand hält. Im Publikum gab es eine kleine Verschiebung, wie bei Co-Headline-Touren üblich, aber die Lautstärke und der Beifall nehmen spürbar zu. Wie zu erwarten, geben Def Leppard abgesehen von ein paar neuen Songs, wie schon Mötley Crüe vor ihnen, ein Best-Of Set zum Besten. Mit klarem Schwerpunkt auf ihrem Erfolgsalbum Hysteria folgen die Hits Schlag auf Schlag. Trotzdem fehlt es der Band aus Sheffield klar an Showelementen. Ihr Auftritt wirkt zu Teilen recht trocken und statisch, abgesehen von der üblichen Videoshow und dem ein oder anderen Ausflug auf den „Laufsteg“ passiert nicht viel. Ganze 17 Songs packen Def Leppard in ihre 90 Minuten und beenden pünktlich kurz vor 23 Uhr das vermeintliche Treffen der Glam-Giganten. Hätten Mötley Crüe etwas mehr von der Präzision von Def Leppard und Def Leppard etwas mehr von der Attitüde von Mötley Crüe, hätte der heutige Abend deutlich mehr zu bieten gehabt als teuren Durchschnitt.
Setlist: Take What You Want / Let’s Get Rocked / Animal / Foolin‘ / Armageddon It / Kick / Love Bites / Promises / This Guitar / When Love And Hate Collide / Rocket / Bringin‘ On The Heartbreak / Switch 625 / Hysteria / Pour Some Sugar On Me / Rock Of Ages / Photograph
Bericht: Luka Schwarzlose
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