Wenn Vogel und Fisch die Perspektiven tauschen, sehen beide eine ganz andere Welt, und wenn man diesen Vergleich auf das Gärtnerplatztheater überträgt, bedeutet das, dass das Publikum auf der Bühne sitzt und den Saal als Kulisse sieht, was sonst eigentlich den Künstler*innen vorbehalten ist. Mein Sehnen, mein Wähnen heißt die aktuelle Konzertreihe des Hauses, bei der etwa 50 Zuschauer*innen pro einstündiger Vorstellung eine Auswahl der schönsten und populärsten Opernarien erleben dürfen.
Ein stark dezimiertes Orchester unter der Leitung von Chefdirigent Anthony Bramall eröffnet das Konzert am 26. Juni 2020 mit Mozarts Figaro-Ouvertüre – in diesem Fall als Kammermusik mit Klavierverstärkung, bei der jeder Ton auf der Goldwaage liegt. Doch die insgesamt nur vier Streicher*innen halten mit kräftigem Klang den Bläsern stand und lassen das Werk kaum eine größere Besetzung vermissen.
Anschließend folgt mit Quando m’en vo die self-promotion der Musetta aus Puccinis La bohème, raumgreifend und selbstbewusst gesungen von Mária Celeng.
Jennifer O’Loughlin lässt mit ihrem duftigen und trotzdem klanggewaltigen Sopran aufhorchen in Gaetano Donizettis O luce di quest‘ anima, bevor Daniel Gutmann Lieben, hassen, hoffen, zagen von Richard Strauss gefühlvoll und beinahe wie ein Kunstlied präsentiert.
Im Programm auch nicht fehlen darf einer der größten Hits mit Là ci darem la mano aus Mozarts Don Giovanni. Matija Meić spielt den selbigen als Pascha mit verspiegelter Sonnenbrille, die charmante Mária Celeng als Zerlina reicht ihm aber erst die gewünschte Hand (mit Einweghandschuh!), als er seine ausreichend desinfiziert hat.
Immer wieder wird augenzwinkernd auf Hygieneregeln hingewiesen, auch im Finale, als sechs Sänger*innen für Gioacchino Rossinis Fredda ed immobile nebeneinanderstehen und wiederum Matija Meić die Abstände streng mit dem Meterstab ausmisst.
Sowohl hinsichtlich der Besetzungen als auch der Stimmungen hat das Gärtnerplatztheater ein abwechslungsreiches Programm zusammengestellt, zwischen Giuseppe Verdis Bella figlia dell’amore und Parigi, o cara setzt Christoph Seidl mit O Isis und Osiris aus der Zauberflöte eine feierliche Unterbrechung, der dafür benötigte Herrenchor steht auf den Rängen im Zuschauerraum.
Es ist ein unmittelbares Erlebnis, Sänger*innen und Orchester doch so nah und auf einer Ebene (wörtlich, es gibt kein Podium) mit dem Publikum zu sehen. Und möglicherweise entsteht bei einem solchen Konzert mehr Nähe, Unmittelbarkeit und Zusammengehörigkeitsgefühl, als es in einem Prä-Corona-Konzerthaus je der Fall sein konnte.
Kritik: Bea Mayer