Seit etwa 11 Uhr sind die ersten Fans vor dem Olympiastadion – am Vortag! Der Grund ist ein grinsender, rothaariger Junge mit E-Gitarre: Ed Sheeran. Am 29. Juli 2018 gab er ebenda seine große Stadion-Show in München, die erste von zwei. Dass der Singer/Songwriter zweimal das Stadion ausverkaufen wird, war wohl vor einigen Jahren noch eine Utopie, doch jetzt Wirklichkeit. Das bunte Publikum pilgert zu Tausenden bei allersonnigsten Wetter auf ihre Steh- oder Sitzplätze. Dabei ist auf den Gängen mit den Ständen so großes Treiben wie wohl fast nie – annähernd 25 Minuten benötigen wir, um einmal das Stadion zu umrunden. Angekommen am Platz gilt es, irgendwie mit der Sonne klarzukommen, da ertönen erste Klänge von der Bühne.
Jamie Lawson, ein Liedermacher von Sheerans eigenem Label Gingerbread Man Records, startet gegen 18:30 Uhr mit seiner Band den Abend. Er war damals das allererste Signing auf dem Label und wurde weltweit mit der Single „Wasn’t Expecting That“ bekannt, die auch bei uns in den Radios auf und ab lief. Natürlich ist da die Freude groß auf den Hit, aber unabhängig davon finden sich im 30-minütigen Set ein paar schöne Perlen wie „A Little Mercy“ vom aktuellen Album „Happy Accidents“ oder auch das gemeinsam mit Sheeran komponierte „Can’t See Straight“. „The Only Conclusion“ widmet Lawson Sheldon von „The Big Bang Theory“, was für glückliches Gelächter sorgt – allgemein macht der Eröffner einfach nur glücklich und wird zurecht nach „Ahead Of Myself“ lautstark verabschiedet.
Setlist: Fall Into Me / Letter Never Sent / The Only Conclusion / Can’t See Straight / A Little Mercy / Wasn’t Expecting That / Ahead Of Myself
So liebevoll die Musik und Performance von Lawson ist, genauso fragwürdig sollte der kommende Auftritt von Main Support Anne-Marie werden. Wieso genau sich ein Vollblutmusiker wie Ed Sheeran, der seine Vorgruppen selbst auswählt, so eine seelenlose Popmusik ohne Persönlichkeit vor sich holt, schwebt wie ein großes Fragezeichen über die gesamte Performance. Die Britin, deren Name nur so klingt wie der eines Mädels aus Kölle, spielt mit drei Live-Musikern einerseits eigene Lieder, andererseits eben auch die Stücke, durch die sie überhaupt erst Aufmerksamkeit erreicht hat: als Featuring von DJs. Neben „Rockaybe“ von Clean Bandit und „FRIENDS“ von Marshmellow gibt es also auch noch etwas von Rudimental zu hören, was allesamt im Halbplayback sehr quirlig vorgetragen wird. Wenn die Sängerin allerdings für weniger Perfektion und mehr Leben außerhalb von Social Media plädiert, während sie selbst das menschgewordene fancy Instagram-Model mimt, kann man schon gerne einmal die Augenbrauen verziehen. Schade, dass genau der weibliche Musik-Act des Abends etwas deplatziert wirkt. Da fehlt die Liebe, da fehlt letztendlich sogar das Talent.
Setlist: Ciao Adios / Do It Right / Alarm / Perfect / 2002 / Trigger / Bad Girlfriend / Let Me Live (Rudimental Cover) / Rockabye (Clean Bandit Cover) / FRIENDS
„Wo bleibt er denn?“, fragt unsere Nachbarin alle fünf Minuten den Ordner. Der hat natürlich auch nur die Info, dass der große Headliner um 20:45 Uhr die Bühne betritt – und exakt so kommt es dann auch. Auf die Minute genau haut Ed Sheeran kräftig in die Saiten und startet mit „Castle On The Hill“. Das Stadion tobt, die eine Hälfte singend und tanzend, die andere starr am Handy, eine zu erwartende Mischung – und dennoch, wenn es zu den großen Hits wie „Thinking Out Loud“ kommt, singen plötzlich alle ganz laut und zufrieden, wie von Sheeran auch am Anfang gefordert. „Ich gebe auf der Bühne alles und ihr tanzt und singt euch heiser, ist das ein Deal?“ Ein wenig lauter hätte es zwar schon sein können, aber doch, Deal gehalten.
Vor allem von Seiten des Gitarristen und Sängers gibt es die vollkommene Verausgabung und schlichtweg eine perfekte Leistung. Zugegeben, man darf wohl etwas skeptisch an ein Konzert herangehen, bei dem ein einziger auf der Bühne mitreißende Songs für über 70.000 Personen performen soll – aber es gelingt! Sheeran beherrscht die Loop-Station wie kaum ein Zweiter und schenkt dabei den Spielereien mit den Loops nicht mehr Aufmerksamkeit als dem Publikum, wie bei vielen Genre-Kollegen, stattdessen spielt er die Spuren schnell und sauber ein und erschafft einen Sound, der den Studio-Aufnahmen wahnsinnig nahe kommt. Die Sitzränge stehen unlängst, die Stehplätze machen vor allem im vorderen Bereich fleißig mit. Teilweise bis zu 34 Stunden haben die vorrangig weiblichen Ed Sheeran-Ultras gewartet – das Warten dürfte sich für sie vollends gelohnt haben.
Besonders stark wird er aber immer dann, wenn er die Loop Station gar nicht braucht und einfach mit viel Gefühl und Emotion seine ruhigen Songs darbietet. „Tenerife Sea“ und „The A Team“ werden so zu unbeschreiblich schönen Highlights. Vor allen Letzteren erwähnt Sheeran bereits in einer seiner gerne mal ausufernden Ansagen. Er hätte „The A Team“ auch damals bei seinem ersten Deutschland-Auftritt gespielt, beim Rolling Stone Weekender. Die rund hundert Leute reagierten äußerst verhalten. Das passiert ihm wohl heutzutage nicht mehr, im Gegenteil – es wird herzlich über die kleinen Witze gelacht („When you haven’t known that song, you might be on the wrong concert“), aber auch über die vielen Anmerkungen oder kleinen Anekdoten von eigenen Konzertbesuchen. Diese Ansagen werden zwar gegen Ende kürzer und weniger, aber bei dem straffen Programm muss es ja auch irgendwann ein Ende geben, was mit „Shape Of You“ und „You Need Me, I Don’t Need You“ als Zugaben gegen 22:35 Uhr erreicht ist. Als Fan dürfte man genau das bekommen haben, was man erwartet: einen Abend mit dem sympathischen Wuschelkopf und seinen großen und manchmal auch ganz kleinen Liedern. Bis bald, Ed!
Setlist: Castle On The Hill / Eraser / The A Team / Don’t / New Man / Dive / Bloodstream / Happier / Tenerife Sea / Galway Girl / How Would You Feel (Paean) / Feeling Good (Leslie Bricusse Cover) / I See Fire / Thinking Out Loud / One / Photograph / Perfect / Nancy Mulligan / Sing – Zugaben: Shape Of You / You Need Me, I Don’t Need You
Bericht: Ludwig Stadler