Die Band Die Ärzte ist auf Stadiontournee, ihre „Buffalo Bill in Rom“-Tour führt sie zwar weder nach Rom noch in die USA, aber immerhin in die „nördlichste Stadt Italiens“. Die Berliner Punkrock-Band, bestehend aus den drei Multiinstrumentalisten Farin Urlaub, Bela B Felsenheimer und Rodrigo Gonzalez sind das erste Mal seit fast 10 Jahren wieder in München zu sehen. „Dieses Konzert wird laut!“, steht auf ausgedruckten DinA4-Zetteln an den Eingängen in das Olympiastadion am 16. Juni 2022, weitere Vorwarnungen sind auf dem Ticket zu finden: Verboten sind nicht nur Feuerwerkskörper und Glasflaschen, sondern auch Tiere, Nazis sowie Röntgenstrahlen im Fußbereich des Veranstaltungsraumes.
Um kurz nach 19.00 Uhr betritt der Ärzte-Sänger Farin Urlaub unter großem Gejohle die Bühne, mit verschmitztem Lächeln kündigt er den mitgebrachten Support, die Antilopen Gang, an. Diese hätten, anders als seine „bäste Band der Welt“, dieses Stadion schon einmal ausverkauft – zwar nur ein Corona-Konzert mit 200 Leuten, aber ausverkauft. „You know, I hate you“, lacht er und übergibt Bühne und Publikum an Danger Dan, Panik Panzer und Koljah. Diese steigen mit „Wünsch dir nix“ gleich voll in ihr Programm ein: Unterstützt von Schlagzeuger, Bassist und einer DJ, springen die drei Hip-Hopper über die Bühne, animieren das Publikum, der Beat knallt, die Bässe pumpen. Dass ihr Anspruch über den einer gewöhnlichen Rap-Formation hinaus geht, wird auch schnell klar; Danger Dan überzeugt mit einem virtuosen Keytar-Solo, später beim Song „Enkeltrick“ auch am Klavier. Für ihren erfolgreichen Hit „Pizza“ holen sie sich, wie auch schon auf der Studio-Aufnahme, den Ärzte-Schlagzeuger Bela B als Feature-Gast dazu.
Sicherlich haben die Ärzte ihren Support nicht von ungefähr ausgewählt, politisch wie humoristisch sind sie Brüder im Geiste. Umso bedauerlicher ist es, dass viele aus der alteingesessen Deutschrock-Riege mit dem modernen Sound der Antilopen Gang etwas zu fremdeln scheinen, so richtig springt der Funke nicht über. Lediglich die U30-Fraktion weiß sich zu bewegen und kennt ein paar Texte. Schade, denn sicherlich könnten viele Ärzte-Fans auch außerhalb der schön in den Stil eingeflochtenen Punkelemente bei den Hip-Hoppern viel Bereicherndes entdecken.
Nach gut 45 Minuten räumen die Rheinländer das Feld, die Bühne wird mit Molton abgehangen, hinter dem schweren, schwarzen Stoff lassen sich die letzten Umbauten und Soundchecks vermuten. Bis dann der Zeiger der vielen festivaltauglichen Armbanduhren an den Handgelenken auf 20.15 Uhr umschlägt, Prime Time. Aus den Beschallungsanlagen erklingt eine Ouvertüre, die wohl nicht treffender klarstellen könnte, wo an diesem Abend die Reise hingeht: Eine schauerlich schiefe Version des Sonnenaufgangs aus der sinfonischen Dichtung „Also Sprach Zarathustra“. Was einst von Richard Strauss als die wohl mächtigste Einleitung der Musikgeschichte geschaffen wurde, klingt hier nach einem viertklassigen Schulorchester im Vollsuff. Dass Die Ärzte mehrfacher deutscher Meister in der Disziplin „Selbstironie“ sind, werden sie noch ein paar Mal an diesem Abend unter Beweis stellen.
Noch immer hinter dem Vorhang versteckt ist nun Farin Urlaubs Gitarre zu vernehmen, passend zum wolkenfreien Himmel eröffnet die Band mit „Himmelblau“. Als dann zur Hälfte des Songs endlich die Bühne enthüllt wird und das breite Grinsen in Urlaubs Gesicht mit der Sonne um die Wette strahlt, ist das Publikum nicht mehr zu halten. Ganze 60 Sekunden ihrer Musik braucht das Punk-Rock-Trio, um den ersten Moshpit in der Menge auszulösen. Es folgen mit „Noise“ und „Wir sind die Besten“ tendenziell eher unbekannte Nummern aus dem großen Songkatalog, mitgesungen wird dennoch. Offensichtlich sind mehr textsichere Fans gekommen als sensationslustige Feiertagsbesucher*innen. Und spätestens bei den Deutschrock-Klassikern „Lasse redn“ und „Meine Freunde“ können sich wirklich alle dem Publikumschor anschließen.
Das wiederum freut die sichtlich gut gelaunten Musiker, die laut Eigenaussage „extra keine Ansagen vorbereitet“ hätten – glaubt man ihnen auch. Das lässt nämlich viel Raum für spontane Witze und Blödeleien. Als sich durch laute Zurufe der Song „Vollmilch“ gewünscht wird, kontert Urlaub ironisch mit dem Bierzelt-Klassiker „In München steht ein Hofbräuhaus“, bevor – anders als es die Setlist vorsieht – tatsächlich „Vollmilch“ gespielt wird. Und sowieso wird das Publikum viel miteinbezogen, es gibt auf Bela Bs Aufforderung hin großen Applaus für „den Typen, der es mit sechs Bechern Bier durch die Menge geschafft hat“, ein anderer Fan, welcher die Schlagzeugbewegungen mit macht, wird mit einem Paar Drumsticks belohnt.
Auch ihrer Liebe zum Trash verleihen Die Ärzte Ausdruck, so wird für „Elektrobier“ (mit anschließendem improvisiertem Medley aus allen möglichen Liedern der „Ab 18“-EP) die Bühne in Schwarzlicht getaucht, die Band trägt leuchtende Warnwesten und lacht sich währenddessen über sich selbst kaputt. Trotzdem ist auch Platz für ernstere Momente; während des Songs „Friedenspanzer“ leuchten die Scheinwerfer in Blau und Gelb, vor „Schrei nach Liebe“ spricht Bela B darüber, wie aktuell der Song leider immer noch ist.
Und so bleibt nach 40 (!) Songs und mehr als zweieinhalb Stunden ein Konzert, bei dem Die Ärzte alle ihre Qualitäten auffahren konnten: energiegeladene Musik, tolles Publikum, viel Gelächter über sich wie über alle anderen und die richtige Mitte zwischen „Sachen nicht zu ernst nehmen“ und „Haltung zeigen“. Als sich die Band nach der elften Zugabe um Punkt 23 Uhr von der Bühne verabschiedet steht auf den Bühnenbildschirmen geschrieben: „Pfiats eich, eire Saupreissen von eure Die Ärzte“.
Setlist: Himmelblau / Noise / Wir sind die Besten / Meine Freunde / Mein kleiner Liebling / Lasse redn / Vollmilch / Kerngeschäft / Fiasko / Angeber / Ist das noch Punkrock? / Doof / Hurra / Besserwisserboy / Rettet die Wale / Ich, am Stand / Lady / 1/2 Lovesong / Morgens Pauken / Friedenspanzer / Der Graf / Plan B / Alleine in der Nacht / Waldspaziergang mit Folgen / Elektrobier / Deine Schuld / Perfekt / Rebell – Zugaben 1: Dinge von denen / Ignorama / Wie es geht – Zugaben 2: Mach die Augen zu / Dunkel / Schrei nach Liebe / Scheißtyp / Junge / Zu spät / Dauerwelle vs. Minipli / Gute Nacht / Schunder-Song
Bericht: Balthasar Wörner