Was passiert wenn ein erfolgreicher Roman über die Leidenschaft zur Musik zum Bühnenstück wird? Er wird noch erfolgreicher, noch mitreißender.
Genau so verhält es sich bei „Der Klang der ungespielten Töne“. Schon die Textvorlage von Konstantin Wecker erfreut sich großer Beliebtheit. Sie erzählt das Schicksal des jungen Anselm (Michael Dangl), der sich vom Wunderkind zum Virtuosen, vom Kommerzmusiker zum Idealisten entwickelt.
Selbstredend kann ein Roman von den Klängen, den Melodien, auch von der Stille nur schreiben. Der unkundige Leser kann sich die akustische Dimension der beschriebenen Erfahrungen also nicht einmal vorstellen. Mit der Bühnenfassung im Gärtnerplatztheater gewinnen Weckers literarische Ausführungen also nicht nur eine schauspielerische Dimension – die Musik erwacht nur durch sie zum Leben. Mit 75 Minuten kommt der Abend sehr kurz und dennoch ergreifend, unterhaltsam und zugleich lustig daher.
Besonders auffällig ist Weckers poetische Sprache, die auch beim Lesen viele berührt haben dürfte. Schöne, bildgewaltige Vergleiche und Methaphern im Text stehen in einem sehr harmonischen Verhältnis zur zurückhaltenden Inszenierung, die Nicole Claudia Weber zu verdanken ist. Die DarstellerInnen erwecken die im Roman erscheinenden Figuren dadurch zum Leben, über sie zu sprechen oder ihnen die Stimme zu leihen. Sehr klug zeigt sich die Entscheidung, auf szenische Darstellungen, auf ein ‚Nachspielen der Handlung‘ zu verzichten. Nicht zuletzt kann der Grund hierfür auch darin gesucht werden, dass es inhaltlich ja um Klänge und Musik und nicht primär um Dramen geht. Die Darsteller, neben Michael Dangl auch Yara Blümel und natürlich Konstantin Wecker selbst, treten also als Sprecher auf Hockern mit Text auf dem Pult vor sich auf, wie bei einer Lesung. Dieses Element unterstreicht die Nähe zur Literaturvorlage noch einmal. Wirklich lebendig wird die Inszenierung jedoch erst die Musik des Orchesters des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Durch die Bühnenpräsenz desselben wird dem Publikum erst richtig bewusst, wie tief die inhaltlichen Ausführungen über die Leidenschaft zur Musik reichen, wie der Protagonist leidet, jubelt, verzweifelt. So kann durch die Musik, ein so emotionales Medium, wirklich erfahren werden.
„Der Klang der ungespielten Töne“ ist kein Liederabend. Es ist eine Geschichte über Musik, die von derselben ausgemalt wird. Wecker beweist dabei ein hervorragendes Talent, aus verschiedenen Stilen der Musikgeschichte eine Auswahl zu treffen, die praktisch jeden Zuhörer ansprechen würde. So kommen weltbekannte Klänge wie Puccinis Nessun dorma zwar vor, der Abend ist aber keine Modenschau des musikalischen Best-Ofs, die sowieso jeder kennt. Eben sowenig verkommt er zu einem avantgardistischen Stück aus neuer Musik, welches dann nur für ein Fachpublikum geeignet wäre. Nein, hier sollte der Musikwissenschaftler eine ebenso große Freude beim Schauen haben wie der Musikunkundige. Lobend erwähnt werden sollte, dass Wecker, obwohl Autor und Darsteller, nicht das Zentrum des Abends ist. Wie häufig führen solche Konstellationen zu One-Man-Shows der Selbstdarstellung, nicht so in diesem Fall. Wer nicht weiß, welcher der Darsteller Wecker ist, würde es auch nicht erkennen. Etwas mehr nach vorn drängt in seinem Spiel dann schon Michael Dangl, dem man die Schauspielerei beim Sprechen schon anmerkt. Nicht so Yara Blümel, die sich wie Wecker darauf verlässt, dass ihre Präsenz und ihre Stimme allein überzeugen wird. Eine Inszenierung also aus gesprochenem Text, etwas Gesang und Orchestermusik. Für einen Hörmitschnitt ist sie sehr gut geeignet.
Wozu also ein Theaterabend? Hätte Wecker nicht ein Hörspiel aus seinem Buch machen können?
Hätte er! Sollte er! Doch die Musiker und die Sprecher auf der Bühne unterstreichen nach dem Lockdown mehr denn je, wie wichtig die Körperlichkeit der Beteiligten für das Erlebnis ist. Die Gänsehaut fährt einem über die Arme bei der Gewissheit, dass jeder Ton, jedes Flüstern, jedes Schweigen da oben gerade wirklich und gegenwärtig erzeugt wird. In der zurückhaltenden Inszenierung ist dieser Abend der Erzählung, der Musik und der Stille so ergreifend wie es ein Radiobeitrag oder ein Hörspiel nie sein könnte.
Wenn der Protagonist im späten Verlauf der Handlung darüber klagt, er würde nur noch kommerzielle Schlager machen, wird der kluge Betrachter merken, dass der Abend, in dem er gerade sitzt, wohl auch nicht unerfolgreich und wohl auch hin und wieder ein kleines bisschen schnulzig ist. Dieses Parallele kann aber kein Kritikpunkt, sondern lediglich Grund zum Schmunzeln sein. Das einzige, was an der Konstellation Gärtnerplatztheater meets Konstantin Wecker also schade ist, dürfte die geringe Zahl der erlaubten Besucher und Vorstellungen sein. Es würden sich so viele Menschen finden, die durch dieses Stück nicht nur bereichert, sondern für einen Abend verzaubert würden!
Kritik: Jana Taendler