Karsamstag, der 30. März. Am Kiosk im Münchner Hauptbahnhof treffen sich die Roten und die Schwarzen beim vorsorglichen Bierkauf. Auf den roten T-Shirts stehen die Nummern und Namen der Bayern-Spieler, die heute gegen Dortmund verlieren werden. Was auf den schwarzen T-Shirts und Kutten steht, ist meist unleserlich, und weist die Träger*innen doch eindeutig als Besucher*innen des Dark Easter Metal Meeting aus, das an diesem Osterwochenende zum nunmehr elften Mal das Backstage zur Pilgerstätte für Black- und Death Metal-Fans aus ganz Europa werden lässt.
Auf den drei Bühnen der Kult-Location geben sich an zwei langen Nachmittagen und Abenden verschiedenste Bands die Klinke, respektive das Mikrophon in die Hand. Dabei liegt der Fokus in diesem Jahr besonders auf Bands, die die klassischen Spielarten extremen Metals hochhalten, sei es weil sie selbst zum klassischen Inventar des Genres gehören, oder weil sie sich dem (zähnebleckenden) Weitertragen der Fackel (durch skandinavische Schneelandschaften) verschrieben haben. Doch natürlich gibt es auch Ausschläge in Richtung Folk-, Post-, DS- u.a. –Black Metal.
Die Zeit und der Raum zwischen den Konzerten bieten Verweilmöglichkeiten im Backstage-eigenen Biergarten, beim Ergreifen und Verschlingen der verschiedenen schnell-kulinarischen Angebote, beim Stöbern an den Merchständen und Plattentheken, bei Signierstunden, beim gemütlichen Zusammenstehen und Bereden, was das Line-Up in diesem Jahr tauge, was von den Forderungen, den Taake-Auftritt zu streichen, zu halten sei, und was da eigentlich bei Cult of Fire vor sich gegangen sei.
Den Festivalauftakt spielen im Werk, der größten der drei Backstage-Bühnen, Grand Cadaver. Um einen Auftakt handelt es sich auch für die Band selbst, die heute ihr erstes Konzert in Deutschland gibt. Die schwedische Death Metal-Combo existiert zwar erst seit 2020 und hat bisher zwei Alben veröffentlicht, aber bildet eine Art Super-Group aus hochkarätigen, u. a. (ehemals) bei Dark Tranquility, Katatonia und In Flames tätigen Musikern, die ohne Probleme für einen starken Einstand sorgen.
Anders als die im Werk spielenden Bands teilen sich die Shows in den beiden kleineren Locations je einen Zeitslot. Wer nach Grand Cadaver nicht die Sonne genießen möchte, sondern Lust auf mehr Musik hat, muss sich also entscheiden, in diesem Fall zwischen Black Metal aus Österreich – und Black Metal aus Österreich. Aber sowenig man Tirol und Wien über einen Kamm scheren kann, sowenig Jesajah und Theotoxin. Während sich erstere, die aufgrund der geographischen Nähe schon beinahe zum Münchner Inventar gehören, sich im Club auswüten, sind Theotoxin heute für die Ein- beziehungsweise Entweihung der Hallenbühne zuständig. Nach mehreren hochkarätigen Touren mit Genregrößen wie Taake oder Archgoat sind Theotoxin in der Szene längst nicht mehr unbekannt und entsprechend ist die Halle auch von Beginn an gut gefüllt. Mit ihrer kompromisslosen Auslegung des Black Metal und einer Nuance von Death Metal im Mix machen die Österreicher gleich von Beginn an keine Gefangenen und überzeugen auf ganzer Linie. Mit gut ausgemischtem Sound, einer abwechslungsreichen (aber nicht zu abwechslungsreichen) Setlist und starker Bühnenpräsenz ist der einzige Kritikpunkt, dass nach 50 Minuten bereits der letzte Ton erklingt. Es wäre definitiv keine Überraschung, wenn die Band, trotz ihres brachialen Konzepts, nächstes Mal deutlich höher im Billing zu finden wäre.
Weiter geht es am späten Nachmittag mit Hellbutcher im Werk. Hellbutcher haben noch weniger Alben veröffentlicht als Grand Cadaver, nämlich gar keins – doch der Titel ›Newcomer‹ passt auf diese Band noch weniger als auf ihre Landsleute. Warum das Werk für eine vermeintliche Newcomer-Band bereits so gut gefüllt ist, könnte mit Frontmann Per Gustavsson zusammenhängen. Letztes Jahr hatte seine ›alte‹ Band Nifelheim relativ kurzfristig ihren Auftritt beim DEMM aufgrund von persönlichen Differenzen abgesagt. Sein neues Projekt soll, auch wenn es seinen Nifelheim-Künstlernamen trägt, nach eigener Aussage A) abgesehen vom Sound nichts mit Nifelheim zu tun haben und B) kein Soloprojekt sein, sondern eine Band mit gleichberechtigten Mitgliedern. Soundtechnisch sind die Parallelen vom ersten Ton an nicht von der Hand zu weisen. Etwas weniger ungestüm und ab und an fast melodisch feuern Hellbutcher zunächst ausschließlich neues Material aus den Röhren. Die Stimmung im Publikum, das die Songs größtenteils zum ersten Mal hört, ist erstaunlich gut, auch zur sichtlichen Freude der Band. Als kleines ›Schmankerl‹ zum Abschluss ihres Sets gibt es dann noch zwei Songs, die wirklich jeder im Publikum kennen sollte: »Die in Fire« von Bathory und Genrenamensgeber »Black Metal« von Venom heizen noch einmal ordentlich ein, bevor der Vorhang vor der Bühne sich wieder schließt. Auch wenn sich der ein oder andere sicherlich eine Nummer von Nifelheim im Programm gewünscht hätte, muss man diesen konsequenten Bruch auch respektieren. Ob Hellbutcher eine Eintagsfliege bleiben oder sich, auch nach dem zumindest vorübergehenden Ende von Nifelheim, langfristig etablieren können, bleibt abzuwarten, ihr Auftritt jedenfalls macht definitiv Lust auf mehr.
Während sodann die heimischen Post-Black Metal-Veteranen von Nocte Obducta in der Halle schlechte Stimmung verbreiten, kann man im Club mit Angstskríg Spaß haben. Das dänische Duo hebt sich allein optisch von der Genre-Etikette ab: Da tritt mit dem Sänger/Gitarrist/Frontman, dessen Name, ebenso wie der seines Kollegen am Schlagzeug, unbekannt ist, ein beleibter Mann im ordentlichen schwarzen Hemd und mit Melone auf dem Kopf vors Publikum, den man sich gut in einer Melo-Death oder Prog-Metal-Combo vorstellen könnte – wäre da nicht der schwarze Strumpf über dem Gesicht, und wäre da nicht das herrlich rotzige, weder auf Konvention noch auf Progression viel gebende Set, das Angstskríg vom Stapel lassen. Mit erdigem, mitunter fast Stonereskem Gitarrensound, haarigen Shouts und sogar vereinzelten Clean-Gesangs-Passagen wissen Angstskríg ordentlich gute Laune zu verbreiten. Schade ist allein, dass die Band ohne dritten Mann zur Live-Unterstützung antritt und die Bassparts daher vom Band kommen. In welche Richtung sich Angstskríg entwickeln werden, bleibt abzusehen; für den Moment haben die Dänen einen Sweet Spot getroffen.
Weiter geht es mit Bewitched im Werk. Häufigen DEMM-Besuchern dürften einige Gesichter auf der Bühne sehr bekannt vorkommen: Mit Bewitched steht nicht nur die halbe Besetzung von Naglfar auf der Bühne, sondern auch ein (mal mehr mal weniger aktives) Urgestein der schwedischen Black Metal-Szene. Mit starken Einflüssen aus dem Black’n’Roll und Thrash Metal sind sie eine willkommene Abwechslung und lockern das etwas festgestandene Publikum gleich zu Beginn deutlich auf. Ihre Setlist bewegt sich, wie schon im Vorfeld angekündigt, bewusst im Bereich der ersten 2–3 Alben mit einem klaren Fokus auf dem Beisatz ›Old-School‹. Natürlich sind solche Special Sets immer bis zu einem gewissen Grad auch limitierend, so wirkt auch das Set von Bewitched gegen Ende ein wenig eintönig, was der Stimmung aber keinen Abbruch tut. Die Erwartungen haben Bewitched definitiv erfüllt.
Wer nach Bewitched nicht ans Abendessen denkt, hat die Option auf noch mehr tirolerischen Black Metal mit Asphagor oder auf Teil 1 einer dreistündigen Reihe kreativ-linientreuen norwegischen Black Metals mit Nordjevel.
Die Tiroler Asphagor sind alle paar Jahre wieder ein gerne gesehener Gast im Backstage. Trotz zeitlicher Überschneidung mit Nordjevel und einer Luft, die man sehen kann, ist der Club bereits zu Beginn sehr gut gefüllt. Knackige Riffs, ein relativ traditionell gehaltener Black Metal-Sound und eine kleine Prise Moderne scheinen für Asphagor sowohl live als auch auf CD ein mittlerweile bewährtes Erfolgsrezept zu sein. Kritikpunkte gibt es jedenfalls keine, als nach etwa 50 Minuten der letzte Ton erklingt und die Völkerwanderung in Richtung Taake beginnt.
Nordjevel spielen Black Metal, der zeitgemäß klingt, aber durchaus dem klassisch-norwegischen Spirit verschrieben ist. Mit ihrem potenten, stark ausgeführten No-Bullshit-Ansatz fährt der Vierer um Sänger Anders Hansen (Doedsadmiral) vor dicht gefüllter Halle ziemlich gut. Insbesondere die stampfenden, im Midtempo gehaltenen Nummern lassen die Fäuste, Hörner und Bierbehältnisse hochfliegen.
Bier und andere Getränke, es sei an dieser Stelle erwähnt, wurden, ebenso wie die verschiedenen Speisen, zu für Festival-Verhältnisse zivilen Preisen angeboten. Dass in den kleineren Locations auf Glasflaschen statt Plastikbecher gesetzt wurde, freute Gaumen und Umwelt.
Setlist Nordjevel: The Shadows of Mord / Blood Horns / Satans Manifest / The Funeral Smell / Whithin the Eyes / Fenriir [»To our brothers in Taake«] / Gnawing the Bones / Djevelen i Nord / Sunset Glow
Teil zwei des TNBM-Trios bestreiten Taake ab 20 Uhr im Werk. Dass dem, der einmal in Braunes, Glitschiges steigt, ein gewisser Geruch noch lange anhängt, weiß Taakes Chefkeifer Hoest inzwischen wohl besser als manch anderer. Seit jenem berüchtigten Vorfall in Essen stellen Taake-Konzerte immer wieder einen Stein des Anstoßes in den Augen jener da, die Hoests Beteuerungen, Taake wollten provozieren, aber nicht propagieren, nicht kennen oder nicht glauben. Das Backstage entschied sich auch diesmal dafür, Taake als im relevanten Sinne unpolitische Band anzuerkennen und den Forderungen nach der Ausladung der Norweger nicht nachzukommen. So viel Worte sich über die Persona Hoest verlieren lassen, so schnell und wenig aufregend rauscht das Konzert der Norweger über das prall gefüllte Werk hinweg. Der Sound ist klar, die Performance präzise, doch einen Spannungsbogen sucht man vergeblich. Ungeachtet dessen sichert ihr Status als Kult- und – unter DEMM-Besucher*innen – Konsensband Taake anhaltende Aufmerksamkeit.
Wer nun genug von skandinavischer Orthodoxie hat, flüchtet in den Club und lässt sich von Dymna Lotva aus Belarus mit eingängigem, Synth-lastigem Atmo-Black Metal verwöhnen. Wer nicht, die/der findet sich in der Halle vor Mork. Die Combo um Thomas Eriksen hat sich in den letzten zehn Jahren einen Namen als stilsichere Wahrer und Weiterdenker norwegischen Black Metals gemacht. Der Band bringt ihren Mix aus räudig-ruppigen Riffs, melodischen, beinah post-punkigen Anklängen und (live etwas windschief geratendem) Klargesang à la Helheim/Enslaved souverän und mitreißend auf die Bühne.
Und schon ist der Abend fortgeschritten, schon ist es Zeit für Tiamat. Vor fünf Jahren durften wir die Schweden schon einmal als Headliner des DEMM erleben. Und wenig gibt es dem, was sich damals beobachten ließ, hinzuzufügen. Die Herren liefern ein schönes, gut umgesetztes Klassikerset mit obligatorischen Hits wie »Whatever That Hurts« und »Do You Dream of Me?«, das auch für Menschen, denen ihr Alter echte Nostalgie nach dem Goth-Doom-Death-Sound der 90er Jahre verwehrt, anschlussfähig und fühlbar ist. Eine willkommene Gelegenheit, nach all dem trven Gebolze des Nachmittags und Abends ein wenig durchzuatmen. Anfangs herrscht tatsächlich eine gelöste Dynamik im Werk, doch bald schon lichten sich die Reihen, nicht zuletzt weil es vielen ein Anliegen zu sein scheint, sich für die DSBM-Helden von Psychonaut 4 einen guten Platz in der Halle zu sichern.
Setlist Tiamat: Vote for Love / Wings of Heaven / Mountain of Doom / Whatever That Hurts / The Ar / Divided / Cold Seed / Phantasma De Luxe / Cain / Do You Dream of Me? / Brighter Than the Sun / The Sleeping Beauty / Gaia
Die „depressive“ Seite des Black Metal ist auch dieses Jahr wieder auf dem DEMM repräsentiert, durch keine geringere Band als Genre-Größen Psychonaut 4. Sonst ein eher seltenes Ereignis, die Band live zu erleben, haben sich ihre Shows seit dem Covid-Neustart zumindest etwas gehäuft. Die Band verzichtet bei ihrem Auftritt bewusst auf Dekoration, Outfits oder Corpsepaint und legt den Fokus eher auf das eigene musikalische Schaffen. Leider springt der Funke nicht ganz über, eine düstere Atmosphäre, wie bei DSBM-Shows üblich, bleibt aus. Unter schlecht gewählter Beleuchtung kommen Psychonaut 4 nicht über einen maximal durchschnittlichen Auftritt hinaus.
Setlist Psychonaut 4: Parasite / We Will Never Find the Cure / Moldy / Too Late to Call an Ambulance / Sana cura / Beware the Silence / Lethargic Dialogue / Forest / My Sweet Decadance
Wen nach der Show von Psychonaut 4, bzw. Deathrite, die parallel den Club aufrieben, nicht die (Lebens-)Müdigkeit oder der DB-Navigator vom Gelände treibt, auf die/den wartet noch ein zünftiger Rausschmeißer. Denn kurz nach Mitternacht ist es Zeit für den letzten Act des Abends, keinen geringeren als die norwegischen Schwergewichte von Kampfar. Gewohnt kraftvoll navigieren die Routiniers durch ihr ebenfalls sehr old-school-behaftetes Set. Kampfar verzichten dabei auf aufwendige Bühnenoutfits oder übertriebenes Corpsepaint und lassen ähnlich wie Psychonaut 4 ihre Musik für sich sprechen – nur mit mehr Erfolg. Trotz der Uhrzeit und den üblichen Scherereien mit den öffentlichen Verkehrsmitteln lassen sich die wenigsten Besucher diese Kultband entgehen. Ähnlich wie schon Taake sind Kampfar eine Band, die nicht jedes Jahr auf dem Dark Easter Metal Meeting spielen könnten, ohne dass es je eine einzige Beschwerde darüber gäbe. Kampfar selbst spiegeln die Energie aus dem Publikum wider und hängen am Ende sogar noch eine zweite Zugabe dran. Ein würdiger Abschluss für Tag eins.
Setlist Kampfar: Feigdarvarsel / Ravenheart / Skogens Dyp / Ophidian / Troll, Død Og Trolldom / Lyktemenn / Mylder / Urkraft / I Ondskapens Kunst / Tornekratt / Hymne / Det Sorte
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