Transparency – Chris Minh Doky in der Unterfahrt (Konzertbericht)

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Einen spannenden Titel hat man da gewählt für das zweite Album des New Nordic Jazz Trio. Während die erste Platte sich programmatisch mit den nordischen Landschaften auseinandergesetzt hat, so versucht man nun mit Transparency, die Bewohner Skandinaviens musikalisch zu porträtieren. Man hat sich dabei aber nicht bestimmte Individuen vorgenommen, sondern versucht durch allgemein gefasste Songtitel wie „Brother“ oder „Woman“ möglichst viele Menschen anzusprechen. Auch dies ein kluger Schachzug, für den die träumerische bis rhythmisch spektakuläre Musik ein treffendes Vorbild bietet.

Obwohl der bekannte Bassist Chris Minh Doky und seine beiden Musikerkollegen Peter Rosendal (Piano) und Jonas Johansen (Drums) der bayrischen Kulturhauptstadt ausgerechnet an einem Mittwoch kurz vor Weihnachten die Ehre erweisen (es handelt sich um den 19. Dezember 2018), ist der angenehm beleuchtete Gastraum des Jazzclub Unterfahrt um 20:30 Uhr dennoch gut gefüllt. Recht pünktlich um 21 Uhr kündigt eine junge Mitarbeiterin des Hauses das Trio an; das Album, so wirbt sie, sei doch außerdem ein wunderbares Weihnachtsgeschenk. Kurz darauf betreten die drei auffällig gut gekleideten Musiker lächelnd die Bühne. Doky überprüft in bester Jazzer-Manier mit ausschweifender Gestik und publikumswirksam die Stimmung seines Instruments und schon befindet sich die Hörerschaft mitten im ersten Stück des Abends, Brother.

Nach den vorerst vergleichsweise dezenten Soloparts nimmt Doky schließlich das Mikro zur Hand und begrüßt sein Publikum auf Deutsch. Er sei der Sprache nur in geringem Umfang mächtig (was man da beinahe laut verneinen möchte) und werde lieber ins Englische wechseln. Schließlich habe er 22 Jahre seines Lebens in den USA verbracht. Dies wiederum sei leider auch der Grund für seine deutlich amerikanisch gefärbte (für den Nicht-Muttersprachler übrigens akzentfreie) Aussprache. „Everybody knew me as the American Bassist – but actually I didn’t feel like that at all“, erzählt Doky aus der Zeit seiner persönlichen Identitätskrise. Der Sohn einer dänischen Sängerin und eines vietnamesischen Arztes und Gitarristen wollte sich nicht mit dem US-Amerikanischen identifizieren. Vielmehr fand er, der Dänemark mit 18 Jahren für ein Musikstudium in New York den Rücken gekehrt hatte, schließlich zu seinen skandinavischen Wurzeln zurück, was die wesentliche Triebfeder für die Entstehung seines neuesten Projektes gewesen sei. Und nun sei er hier – auf der Release-Tour zu seinem bereits zweiten „nordischen“ Album.

Im Folgenden begeistern die Musiker immer mehr durch ihr Können. Während Sister dem vorangegangenen Stück abermals etwas dezenter nachfolgt, entwickelt sich schließlich ein wahres Feuerwerk der Dynamik, für das ganz wesentlich Johansen an seinem umfangreichen Schlagzeug verantwortlich ist. Ob er dezent auf Ride-Becken und Rim begleitet oder fabelhaft mit diversem Schlagwerk soliert – ständig wechselt er seine Schlägel, ständig scheint er neue Ideen zu haben, ständig versetzt er die Zuschauer in Begeisterung. So entstehen Grooves von höchster rhythmischer Komplexität trotz der weitgehend von 6/8, 3/4 und 4/4 bestimmten und daher eigentlich recht traditionell gehaltenen Taktformen. An anderen Stellen steigert er die Dynamik bis in einen soliden, schnellen Rock-Beat hinein. Zügeln muss er sich kaum. An anderer Stelle des Abends setzt er außerdem einen Looper ein, mit dessen Hilfe er unter Benutzung von Glöckchen, Becken und sogar seiner eigenen Stimme einen spannenden Rhythmus erzeugt. Leider ist der Looper im Mix etwas leise, da hätte man seitens der Technik durchaus nachregeln können. Dennoch lässt Johansen sich seine Show nicht stehlen. Ein wenig anders sieht es aus beim Pianisten Rosendal. Auch er ein größer Könner seines Instrumentes – doch scheint es so, als wäre der häufige Blickkontakt mit Doky eher eine Art Maßregelung. Etwas seltener darf der Musiker seine Spielfertigkeit ausreizen. Oder ist man hier voreingenommen und nimmt das Klavier einfach als ein klassischeres Solo-Instrument mehr wahr als Bass und Schlagzeug…? Wäre es sein eigenes Ensemble, dürfte man sich hier dennoch auf mehr freuen. Dies wird vor allem in einem der letzten Stücke deutlich, als er in einem spektakulären Solo blitzschnelle Läufe und Harmoniefolgen mit einer spannenden Rhythmik kombiniert.

Doky selbst ist ein großartiger Bassist. Er lässt seinen Begleitern durchaus viel Raum, übernimmt die tragenden Stimmen in vielen Stücken aber natürlich selbst. Der eher kleine Kontrabass (übrigens mit einem flachen Rücken!) wird mit Mikro und keramischem Tonabnehmer in Kombination verstärkt und liefert einen wunderbaren Klang – von klassisch holzigem Jazzsound bis zu schwebenden Obertönen weiß Doky dem Instrument ein breites Spektrum an Tönen zu entlocken, das er kreativ in seinen Soli verarbeitet. Besonders virtuos durchspielt er die obere Oktave seines Basses, ein Tonbereich, vor dem viele Spieler ob des dünneren, wenig sustainreichen Sounds eher zurückschrecken. Nicht umsonst ist Doky ein gefeierter Instrumentalist und Jazzkomponist. Eine Bass-Intro zieht er mehrere Minuten in die Länge und wechselt dabei eindrucksvoll zwischen seinem Melodiespiel und seiner eigenen Bassbegleitung dazu. Allgemein kann man sagen, dass die Stücke des New Nordic Jazz – Projektes sehr melodisch und träumerisch daherkommen. Es gibt durchaus auch schnellere Parts, klassischen Jazz, sogar die Adaption eines bekannten dänischen Kirchenliedes (das in die musikalische DNA jedes Dänen eingegangen sei, wie Doky scherzhaft kommentiert) – aber der Eindruck, der sich durchsetzt, ist der einer träumerischen, melodiösen Musik, die sich teilweise durchaus einfacher, aber auch eingängiger Harmonien bedient. Dokys Weg, um sein Skandinavien den Menschen näher zu bringen.

Die Musiker spielen insgesamt ca. zwei Stunden, gegen 21:50 Uhr machen sie eine kurze Pause. Von Ermüdung keine Spur. Nach einem atemberaubenden zweiten Teil kommen sie gegen 23 Uhr zum Ende; als Zugabe schließlich hat Doky ein älteres seiner Stücke ausgewählt: The Sniper – eine Hommage an sein jugendliches Vorbild James Bond. Nach weiteren zehn Minuten verlassen die Musiker die Bühne. Was noch einen Moment bleibt, ist ein kleines bisschen skandinavisches Lebensgefühl.

Bericht: Thomas Steinbrunner