Natürlich zählen Dead Kennedys und Sex Pistols zu den Ursprüngen des Punkrocks, sie sind Begründer und der Beginn. Dass Punk aber auch im 21. Jahrhundert noch massentauglich bleibt, dafür sorgen andere Bands – ganz vorne dabei Billy Talent. Die Kanadier sind seit ihrem selbstbetitelten Debütalbum auf dem Schirm der Genre-Liebhaber und spätestens seit „Billy Talent II“ weltweit erfolgreich unterwegs. Auch 16 Jahre nach dem Release dieses Werks bespielen die Kanadier die Arenen der Welt, so auch im Jahr 2022, als sie ihre Tour zum neuesten Album „Crisis Of Faith“ antreten. Am 13. Dezember 2022 beehren sie dabei das Münchner Zenith – restlos ausverkauft.
Doch ein Gerumpel kommt selten allein und so schließen sich gleich zwei namhafte Genre-Vertreter dem Billing an. Begonnen wird um 19 Uhr mit Pabst, die seit letztem Jahr als Geheimtipp der Indie-Punkrock-Szene gelten und neben einiger Hauptstadt-Attitüde vor allem treibende Riffs mitbringen. Bassist Tilman Kettner erinnert in seinem roten Overall fast ein wenig an Slipknot-Anfangszeiten, doch dafür fehlt der Musik dann doch noch einiges an Soundgewalt. Für einen so frühen Start-Slot bekommen sie aber relativ viel positives Feedback von der Menge und verlassen nach dem eingängigen „Kiss Me“-Cover nach rund 30 Minuten die Bühne.
Setlist: Dead Ahead / Legal Tender / Ibuprofen / Mercy Stroke / Crushed / Shake The Disease / Skinwalker / Kiss Me (Sixpence Non The Richer cover)
Eine echte Überraschung dürfte im Vorfeld die Ankündigung des Main Supports gewesen sein: Frank Turner & The Sleeping Souls. Der dauerspielende Brite ist unlängst der Größe eines Supports entwachsen und spielt bei eigenen Shows schon vor mehreren tausend Besucher*innen – dementsprechend bekannt sind die Melodien, die es in einem komprimierten 50-Minuten-Best-Of zu hören gibt. Ungeschlagen seine unendliche Sympathie: Turner hält alle Ansagen auf Deutsch – er habe eine Wette verloren, wie er sagt – und macht sich dabei reichlich gut, das Publikum dankt es ihm und zieht passend zur ungemein treibenden Musik die Tanzzügel an. „Get Better“, „Non Serviam“ und die beiden abschließenden Gassenhauer „I Still Believe“ und „Four Simple Words“ sorgen für so eine Euphorie und Begeisterung, dass das Ende des Auftritts mit reichlich Bedauern entgegengenommen wird. Sein 2719. Konzert hat Frank Turner mit seinen perfekt eingespielten The Sleeping Souls astrein absolviert – der nächste München-Auftritt des Briten kann gar nicht schnell genug kommen.
Setlist: Recovery / Try This At Home / Eulogy / Photosynthesis / Punches / 1933 / Haven’t Been Doing So Well / Non Serviam / The Gathering / Polaroid Picture / Get Better / I Still Believe / Four Simple Words
Eigentlich bereits musikalisch reichlich belohnt, ist die Hauptband des Abends noch ausstehend: Billy Talent. Um 21:20 Uhr verdunkeln sie die Halle und legen unverblümt ohne Intro mit „Devil In A Midnight Mass“ los – großer Pomp und unnötige Überinszenierung ist hier nirgendwo zu finden. Zwar gibt es ein paar LED-Wände mit unauffällig begleitenden Projekten, außerdem einen übergroßen Backdrop, aber sonst hält sich das Quartett an ihre eigenen Regeln: it’s a punkrock show, hier geht es schnell, zackig und laut voran. Ganze 21 Lieder werden sie am Ende in etwas über 90 Minuten gespielt haben – eine beachtliche Anzahl in dieser Zeit. Der Fokus der Setlist liegt, wie sollte es anders sein, besonders auf den Erfolgsalben „Billy Talent II“ und „Billy Talent III“, aber auch fünf neue Songs aus „Crisis Of Faith“ rasseln in die Liederliste – davon funktionieren zwar nicht alle bestens, aber das groovige „Hanging Out With All The Wrong People“ und überraschend harte „Reckless Paradise“ werden besonders einprägsame Momente des Abends.
Dabei haben die Kanadier einen etwas schwierigen Start – die ersten beiden Lieder klingen vor allem gesanglich, noch ausbaufähig, Frontmann Benjamin Kowalewicz trifft bei weitem nicht alle Töne. Zu „I Beg To Differ“ groovt er sich aber ein und singt sich zielsicher durch die weiteren Nummern, im feinen Zusammenspiel mit dem Hintergrundgesang seiner Kollegen. Beeindruckend auch Gitarrist Ian D’Sa, der die teils doch recht komplizierten Punk-Riffs bestens meistert, dazu noch fleißig singt und wohl seit seiner Geburt unverändert mit aalglatten, nach obenstehenden Haaren seinem Signature-Look treu bleibt. Auch nach Wochen auf Tour agieren die Herren noch äußerst agil und spielfreudig, selbst wenn sie sicher die Anzahl, wie oft sie Songs wie „Fallen Leaves“ und „Red Flag“ schon gespielt haben, schon lange nicht mehr umreißen. Aber es wirkt, als mache es ihnen so viel Spaß wie beim ersten Mal – und die Zuschauer*innen sind für die treibenden Punk-Rhythmen sowieso dankbar, bewegen sich fleißig mit und sorgen für ein aktives Dienstagabendkonzert. Um kurz nach 22:50 Uhr verabschieden sich Billy Talent – zurück bleibt ein astreines Punkrock-Konzert mit drei fantastischen Live-Bands des gleichen Genres, aber dennoch mit verschiedenen Ansätzen. Doch ob Brit-Punk oder Kanada-Punk: Punk ist nicht tot, das ist wieder einmal lautstark manifestiert worden.
Setlist: Devil In A Midnight Mass / This Suffering / I Beg To Differ (This Will Get Better) / Afraid Of Heights / Perfect World / Hanging Out With All The Wrong People / Tears Into Wine / Pins And Needles / Rusted From The Rain / The Wolf / Diamond On A Landmine / End Of Me / Try Honesty / Surrender / Saint Veronika / Reckless Paradise / Surprise Surprise / Fallen Leaves / Devil On My Shoulder / Viking Death March / Red Flag
Bericht: Ludwig Stadler