Das Münchner Volkstheater möchte mit dem Gehörlosen-Hörspiel gelebte Inklusion auf die Theaterbühne bringen. Die Anregungen hierfür findet sich in der zufälligen Bekanntschaft des Darstellers Steffen Link mit Steve Stymest, seines Zeichens Model und Fotograf, in einem Technoclub. Sie verstehen sich gut, fühlen sich zueinander hin gezogen, nutzen schließlich die Möglichkeit, das Thema Gehörlosigkeit im Volkstheater zu verhandeln. Das ist für beide Seiten ein Vorteil. Stymest kann seine Geschichte und die der Gehörlosen-Community selbst auf der Bühne performen. Das wäre sonst, so hart es klingt, nicht möglich, ist doch die Sprache elementar für etwa 99% der Inszenierungen am Theater. Darum heißt es schließlich Sprechtheater. Das Volkstheater kann sich seinerseits einer Minderheit öffnen, den eigenen Ansprüchen, Theater für alle zu machen, gerecht werden und sich einer benachteiligten Gruppe widmen. Das ist nicht nur gut fürs Image, sondern auch intellektuell reizvoll.
Beim Gehörlosen-Hörspiel wird dafür verhältnismäßig wenig mit der Stimme kommuniziert. In einer sehr gleichberechtigten Art (aus Sicht einer Hörenden jedenfalls) wird in Gebärden, mit Übertitel und mit Sprache der Text an die Zuschauer*innen herangetragen.
Innerhalb der 90 Minuten Spielzeit geht das Zeitgefühl beim Schauen schnell verloren durch die viele Stille. Dabei kommt das Stück zu Beginn mit den obligatorischen hämmernden Bässen um die Ecke. Ganz im Sinne von Grönemeyers Song Musik nur wenn sie laut ist. Das ist ganz klar: wer nichts hört, spürt Musik nur, wenn sie so laut ist, dass sie in den Magen fährt, nur, wenn der Boden unter den Füßen bebt. Dass darüber, wie im Song weiter beschrieben, vergessen werden könnte, dass man taub ist, ist wie das Stück beweist, wohl unwahrscheinlich. Denn für gehörlose Menschen ergeben sich im Alltag so häufig so tiefe Barrieren, dass man manchmal einfach nach Hause geht, wenn sich niemand die Mühe macht, das gesprochenen für die einzige Person ohne Gehör ins Handy zu tippen. Dieser Aspekt des Abends ist zwar bedrückend und berührt die Zuschauer*innen, viele unter ihnen selbst Gehörlose, doch er ist auch etwas vorhersehbar. Jeder, der sich schon einmal einen Moment Zeit genommen hat, um sich in die Situation einer betroffenen Person zu versetzen, dürfe schon darauf gekommen sein, wie grausam sich Gehörlosen der allergrößte Teil der Kommunikation verschließt.
Dennoch dreht sich der Abend zum Großteil darum, den Zuschauer*innen zu erklären, wie das so ist, ohne zu hören zu leben.
Das Bühnenbild teilt sich dabei in zwei Podeste zur rechten und linken Seite, und ein hinter einer Gaze aufgebautes DJ Pult, von dem aus später die obligatorische Live-Video Sequenz aufgenommen werden wird. Wie wichtig die Schrift für Gehörlose ist, wird anhand der großen Projektionsfläche für Übertitel deutlich. Auch auf die Gaze wird mitunter projektiert, wenn Link und Stymest beispielsweise gemeinsam den Entstehungsprozess des Hörspieles rekonstruieren. Diese Sequenz verdeutlicht zwar treffend, wie so eine Zusammenarbeit funktioniert, dass diese allerdings langwierig sein kann, würde auch deutlich, ohne dass die Szene ihrerseits das auch sein müsste.
Wirklich zum Nachdenken und in Überlegungen schwelgen regen die Verweise auf die Raumfahrt an. Im Weltall ist es völlig still. Egal wie laut geschrien würde, selbst eine riesige Explosion würde niemand hören, da es keine Luft gibt, die Schallwellen erzeugen könnte, indem sie schwingt. Die Informationen über die Raumschiffe Voyager I und II werden auf der Leinwand als Text eingeblendet und geben dem Abend einen großen und philosophischen Aspekt. Auch sonst regt die Inszenierung freilich zum Nachdenken an. Über Privilegien, über die Bedeutung von Geräuschen im Alltag, darüber, wie viel wegfällt, wenn man nichts hört (Musik zum Beispiel) und wie viel einem vielleicht erspart bleibt (schlechte Musik zum Beispiel).
In der Summe ist der Inklusion und der Sichtbarmachung der Minderheit der Gehörlosen mit dieser Inszenierung ein großer Dienst erwiesen worden. Wer allerdings nicht betroffen ist, sei es selbst gehörlos oder sehr interessiert oder Angehöriger, für den bräuchte ein gehaltvoller, anregender Theaterabend wohl noch mehr als das Thema Gehörlosigkeit von und mit Gehörlosen. Will heißen: Es handelt sich hier um eine sehr zielgruppenspezifische Inszenierung. Um das klar zu stellen: Ein Kinderstück kann sowohl für Kinder als auch für deren Eltern und sogar für Zuschauer*innen, die mit Kindern aktuell gar nichts zu tun haben, bereichernd sein, wie die Schauburg in vielen Inszenierungen beweist. Aber ein Kinderstück kann auch jenes sein, mit dem alle, die nicht mit oder wegen der Kinder da sind, nicht so viel anfangen können. In etwa so verhält es sich beim Gehörlosen-Hörspiel.
Kritik: Jana Taendler