Afterglow – Sunrise Avenue auf dem Königsplatz (Konzertbericht)

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Ach, der Königsplatz… auch wenn sich etliche Stadtbewohner darüber echauffieren, dass die Location im Sommer mit diversen Veranstaltungen bespielt wird, entfaltet sie doch gerade dann erst ihren Charme und ehrlich gesagt auch ihren Sinn. Ansonsten liegt der historisch nicht allzu positive belastete Platz nämlich einfach nur brach und sieht hübsch aus, mehr aber nicht. Am Freitag, 22. Juni 2018, war nun wieder eines dieser Abendveranstaltungen, die Leben auf den rasenreichen Platz brachten. Niemand geringeres als die finnischen Überflieger von Sunrise Avenue haben sich in die bayerische Landeshauptstadt begeben, um gemeinsam mit Michael Schulte und Tom Beck einen zwar kühlen, aber dennoch sonnigen und komplett regenfreien Konzertabend zu gestalten.

Es ist kurz vor 19 Uhr, als Michael Schulte mit Band auf dem bereits halb gefüllten Platz ihr Konzert beginnen. Schulte ist in den letzten Monaten vor allem für eines bekannt gewesen: die Teilnahme beim Eurovision Song Contest 2018 für Deutschland. Platz 4 erreichte er letztendlich mit seinem Song „You Let Me Walk Alone“, der das Set natürlich abschließen darf. Zuvor bietet er aber sichtlich erfreut und motiviert verschiedene Lieder aus seinem aktuellen Best-Of „Dreamer“ dar, wie beispielsweise „The Maze“ und „Take Me As I Am“ – der frisch vermählte Mann mit den verstrubelten Haaren kann dabei vor allem mit einem feinen Songwriting und einer wahnsinnig starken und pointierten Stimme punkten. Leider ist die Aufmerksamkeit noch etwas gering und die Animationsversuchen gipfeln ein wenig im Nichts – dennoch ein einwandfreier Auftritt, der beweist, wie Pop-Musik im Jahr 2018 klingen könnte und sollte.

Setlist: The Maze / The Night Is Young / Rock And Scissors / Satellite (Lena Cover) / Take Me As I Am / Rusted Blood / You Let Me Walk Alone

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Das absolute Gegenstück gibt es kurz danach mit Tom Beck und seiner Band, die er mit „The Horny Horns“ ankündigt. Der Schauspieler, der bis 2013 in „Alarm für Cobra 11“ die Hauptrolle übernahm, musiziert allein aufgrund seines Musical-Studiums schon seit Ewigkeiten, nun aber seit 2011 unter seinem eigenen Namen wieder intensiver und umfassender. Spätestens seit dem Wechsel ins deutschsprachige Repertoire hätte er aber lieber aufhören sollen, denn all das, was Schulte richtig gemacht hat, macht Beck massiv falsch. Das Songwriting ist lieb- und belanglos, die Texte triefen vor Schmalz und laufen nach Baukasten-Prinzip, sowohl auf Englisch als auch Deutsch, und Becks Ansagen treiben mehr Fremdscham als Entertainment-Zufriedenheit in die Gesichter des Publikums – jeder Witz scheitert und die jämmerlichen Versuche zu jodeln werden mit noch zu wenig Häme bestraft. Hier hätten Opener und Main Support lieber einmal Plätze tauschen sollen. Als der Auftritt um kurz nach 20:30 Uhr endet, scheint niemand arg böse darüber zu sein. Kein Wunder.

Setlist: Hey Puppe / Ain’t Got You / I’m The One For Me / Life’s Too Short / Alles was ich will / Fort von hier / Helden der Nacht / One Love / When You Go

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Besonders spannend ist auf diesem Konzertevent natürlich das Publikum. Denn wer besucht ein Sunrise Avenue-Konzert? Freilich sind etliche Pärchen oder auch Einzelne in den besten Vierzigern dabei, aber auch junge bis sehr junge Besucher haben sich hergewagt, auch viele Eltern oder Elternteile mit der hysterischen Fan-Tochter. Insgesamt ist aber der Altersdurchschnitt überraschend gehoben – so wundert es kaum, dass eine Dame plötzlich ein Live-Video für Facebook startet und Teile des Konzerts überträgt. Die Generation Instagram, die wohl am ehesten auch dieses Medium zur Live-Übertragung nutzen würde, ist direkt nebenan vorhanden und posiert lieber mit inszenierten Gesichtern für hübsche Bilder. Auf der anderen Seite holt eine Frau wohl ihre Yoga-Stunden nach und verrenkt sich auf dem Rasen des Königsplatzes. Etwas weiter hinten veranstalten einige Mannen (Oberpfälzer, wie wir erfahren sollten) in Metalkutte einen Circle-Pit um sich selbst. Spannend wäre es wohl einmal, alle zusammenzuführen – immerhin sind sie gemeinsam für das Gleiche vor Ort.

Das Gleiche, für das nicht nur Genannte, sondern auch abertausend Weitere gekommen sind, betritt um 21 Uhr mit „Prisoner in Paradise“ unter johlenden Tönen die Open-Air-Bretter. Sunrise Avenue, die fünfköpfige Band aus Finnland, ist unlängst in Europa, allen voran im deutschsprachigen Raum, bekannt geworden. Spätestens seit der Teilnahme Samu Habers bei „The Voice Of Germany“ als Juror sind die Kartenkäufe zu den Konzerten explodiert, die Locations gewachsen und die Andränge größer denn je. Den ganz großen Höhepunkt hatten sie 2015 mit dem Best-Of-Album und ihrer Jubiläumstournee, seit 2017 steht alles im Zeichen des neuen Albums „Heartbreak Century“. Das allerdings schießt ein wenig in die falsche Richtung und hat viele Fans zurecht verdutzt zurückgelassen – wo sind die E-Gitarren hin, wo die großen Melodien und seit wann haben die Finnen eigentlich so wenig Eigenständigkeitsmerkmal? Die befürchteten Fragens sollten sich im Laufe des Konzerts leider bestätigen.

Denn die 17 Lieder umfassende Setlist enthält mit neun Stücken aus dem aktuellen Werk damit über die Hälfte neues Material – das ist prinzipiell auch schön und gut, dass eine Band ihre neuen Sachen spielen möchte, aber nicht, wenn es so austauschbarer und schwacher Pop ist, wie leider bei Sunrise Avenue geschehen. Stimmt die Band einmal die großen Hits wie „I Don’t Dance“ oder auch Unbekannteres wie „Unholy Ground“ an, ist die Stimmung bei weitem besser und interessierter als beiden etlichen neuen Stücken. Die „Wohoho“-Parts überschlagen sich und werden unangenehm frequentiert, die Wucht im Sound bleibt aus – nur einzelne Momente wie das emotionale „Let Me Go“ in der Zugabe oder das eingängige „Heartbreak Century“ können irgendwie berühren – ansonsten gelingt das, sieht man von der schrecklichen Neufassung von „Forever Yours“ ab, nur den älteren Smashern.

Im Mittelpunkt der Band, trotz Betonung der einzelnen Mitglieder: Sänger und Gitarrist Samu Haber. Er ist es auch, der die insgesamt drei Ansagen während des Konzerts charismatisch und sympathisch gestaltet, erzählt einerseits von der alkoholhaltigen Mittsommernacht, die gerade in Finnland stattfindet, philosophiert ein wenig über die Chancen des deutschen Teams bei der Fußball-Weltmeisterschaft und wie „shocked“ sie beim ersten Spiel gewesen wären und verrät andererseits in Ansage Nummer 3, die dem Liebeskummer gewidmet ist, wie sich damit besonders gute Lieder schreiben lassen. Das ist alles recht nett und sympathisch und lässt das anfänglich arg kühle Auftreten schnell warm werden – dennoch bleibt der Eindruck, auch in Hinblick auf die Ähnlichkeit der Setlist der letzten beiden München-Konzerte Herbst 2017 und März 2018, dass die Show inzwischen zu konzipiert, zu eingespielt ist, um die ganz großen Momente noch transportieren zu können. Um 22:30 Uhr beginnt mit „Hollywood Hills“ recht früh das letzte Lied des Abends und lässt anschließend die Konzertbesucher über den nächtlich-verträumten Königsplatz nach Hause schlendern, im Wissen, ein zwar sehr schönes Konzerterlebnis mitgenommen, aber das alles in den Vorjahren schon wesentlich besser gesehen zu haben.

Setlist: Prisoner In Paradise / I Help You Hate Me / Beautiful / Unholy Ground / Little Bit Love / Heartbreak Century / Never Let Go / Lifesaver / Question Marks / Flag / I Don’t Dance / Afterglow / Forever Yours / Point Of No Return / Fairytale Gone BadZugaben: Let Me Go / Hollywood Hills

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Bericht: Ludwig Stadler
Bilder: Martin Schröter