Love More – Sharon Van Etten im Strom (Konzertbericht)

We are Excited to be playing all over the UK and Europe with Sharon Van Etten! So many cities we haven’t played in….Es ist immer schön, von den altmodischen Steckbuchstaben begrüßt zu werden, die über der Pforte des Stroms die auftretenden Künstler verkünden. Auftretende Künstlerin an diesem 3. April ist Sharon Van Etten. Die amerikanische Singer-Songwriterin ist gegenwärtig in Europa umtriebig, um ihr aktuelles Album „Remind Me Tomorrow“ vorzustellen. Doch für so manchen ist der Zusatz, der hinter Van Ettens Name über der Strom-Tür prangt, alles andere als schön: Sold Out! Wer nicht zweithändig etwas kriegt und nicht schon hat, muss wohl oder übel nach einer Alternativbeschäftigung suchen, wie Earths Dylan Carlson im Feierwerk? Und nicht einmal übermäßig abwegig wäre das, angesichts der bunten geschlechts- und altersmäßigen Mischung, die Van Ettens Publikum an diesem Abend ausmacht. Die stark vertretene Fraktion der Rockliebhaber erhöhten Alters macht deutlich, dass es hier weit mehr zu erwarten gibt, als textliche Identifikationsstränge für eine bestimmte Zielgruppe.

Aber zuerst einmal gilt es, The Golden Filter zu begrüßen. Das Duo aus Sängerin Penelope Trappes und Synthesizerguru Stephen Hindman hat sich minimalistischen, von prominenten, wummernden Beats getragenen Electro-Songs verschrieben. Wenn sie nicht gerade beide konspirativ über dem Soundcockpit die wippenden Köpfe zusammenstecken, umkreist Trappes in forschen Tanzschritten das Mikro und – deklamiert mehr, als zu singen, in Morrison‘scher Manier eindringliche Texte, die das repetitive Element der Musik, die geformt ist von schweren, monolithischen Melodien, aufnehmen. Auf „Remind Me Tomorrow“ bedient sich Sharon Van Etten ebenfalls, und in dieser Form zum ersten Mal in ihrer Laufbahn, vermehrt an der Palette elektronischer Klänge und Effekte; daher scheint die Wahl von The Golden Filter als Support-Act durchaus nachvollziehbar. Der flächige Ansatz des Duos aus London geht jedoch stark vom Pfade Van Ettens ab, die sich, egal in welcher Sound-Gewandung, als herausragende Songschreiberin zu erkennen gibt und ihren Stücken somit eine gewisse Autarkie gegen das Instrumentarium der Darbietung verleiht; und eben dieser Ansatz ist es auch, der die knappe Dreiviertelstunde, die The Golden Filter die Bühne des vollen Strom innehaben, am Ende zu einem recht monotonen Erlebnis zusammenschrumpfen lässt.

Wenig später bezieht Sharon Van Ettens vierköpfige Band zu Portisheads angsty-Einlaufsong „Buscuit“ Aufstellung, um im gleichen Tonus wie die Trip Hop-Heroen mit „Jupiter 4“, einer dunklen, atmosphärischen, Drone-durchdrungenen Nummer zu starten. Sharon Van Etten selbst beschränkt sich, anders als bei älteren Songs, allein auf das Singen. Ihr Gestus ist ausgreifend, gespannt, konfrontativ. Die so bekannte Mischung aus auf Gitarre oder Schuhe gerichtetem Blick und irgendwo aus den Haaren hervorquellendem Gesang, sucht man hier vergeblich. Es ist eine ungewöhnliche Aufrichtigkeit, die man im Auftreten der Sängerin findet, die weder emotionalen Beinahe-Zusammenbruch noch kalkuliertes Show-Gebaren nötig hat, um ihre Stimme zu finden.

Und was für eine Stimme! Spätestens beim ausladend und massiv aufgezogenen „Hands“ beweisen Van Etten und Band, welches Volumen ihnen zu Gebote steht.

Überhaupt lässt sich in klanglicher Hinsicht nur Lob aussprechen. Nicht nur wunderbarer Live-Sound ist zu genießen, auch die Arrangements der Band, in denen alte wie neue Songs stimmig aufbereitet werden, bereiten wahre Freude. Nicht zuletzt im Vergleich mit den Studio-Versionen auf „Remind Me Tomorrow“ ergibt sich hier ein ungleich organischerer, einheitlicherer Gesamteindruck.

Wiewohl vollendet freundlich, ist Van Etten doch sichtlich um ein ernsthaftes Auftreten bemüht, was ihr auch meistens gelingt. Mag sie auch eine Art Prototyp für eine ganze Welle junger Liedermacherinnen sein oder gewesen sein, so bewegt sie sich doch nicht (mehr) in der Sphäre bloßer nach innen gewandter Gefühlsbeschauung. Mit einer Coverversion von Sinéad O’Connors „Black Boys on Mopeds“ stellt sie unter Beweis, wie das lyrische Ich aus dem Kokon der individuellen Befindlichkeit auf eine Allgemeinheit hin ausgehen kann, ohne dabei zum bloßen Werkzeug für eine vorgefasste Botschaft zu verkommen: In Liebe und Fürsorge für das Ergehen Anderer.

Doch auch wer vor allen Dingen „Every Time the Sun Comes Up“ hören und mitsingen wollte, kommt auf seine Kosten, darüber hinaus gibt es aus Sharon Van Ettens Backkatalog mitunter „Tarifa“ und, als letztes Stück einer mit lautem Nachdruck erbetenen Zugabe, „Love More“ – dessen Titel die Sängerin ausdrücklich appellativ verstanden wissen will.

Setlist: Jupiter 4 / Comeback Kid / No One’s Easy to Love / One Day / Tarifa / Memorial Day / You Shadow / Malibu / Hands / Black Boys on Mopeds (Sinéad O’Connor) / Seventeen / Every Time The Sun Comes Up / StayZugabe: I Told You Everything / Serpents / Love More

Sharon Van Etten und Band liefern ein herausragendes Konzert ab, das keinerlei Vorbedingungen und Vorannahmen nötig hat, um vollends zu überzeugen. Die Frontfrau tritt diese ihre Position mit Nachdruck an – und schafft eben dadurch einen weiten Raum für die Musik und ihre Botschaft.