Ich will, werden sich nicht wenige gedachten haben, als Anfang November das Münchner Stadion-Konzert der größten deutschsprachigen Band angekündigt wurde: Rammstein. In Windeseile waren alle 70.000 Karten für den 8. Juni vergriffen, Eventim und MünchenTicket sind kollabierend vom Ansturm zusammengekracht. Eine Stunde nach VVK-Start die erlösende Nachrichten: ein Zusatzkonzert, direkt am 9. Juni 2019 im Olympiastadion! Nicht überraschend, dass auch hier alle Karten noch am gleichen Tag weg waren. Nach ihrem ersten Warmspielen besuchen wir nun das Zusatzkonzert und fragen uns bereits, wie viel Feuer München überhaupt aushält.
Sehr viel, soweit im Voraus. Bevor es aber zur heißen Show geht, beehrt das Duo Jatekok die Fans im ausverkauften Stadion. Es ist nicht die erste ungewöhnliche Vorband der Berliner, nicht seit Kraftklub 2013 oder Peaches 2016. Nun also ein klassisches Piano-Duo, die die Arrangements des „Klavier„-Albums zum Besten geben. Die beiden Damen spielen fein und nuanciert, der Sound ist ihnen prinzipiell auch wohlgesonnen – aber ein kurzes, klassisches Konzert im Stadion vor einer Metal-Band? Ein schwieriges Unterfangen, was viele Fans nicht ganz so euphorisch annehmen und sich lieber unterhalten. Übrigens gibt es hier nur Rammstein-Songs zu hören. Als Hintergrundmusik läuft: Rammstein, ohne Ausnahme. Und dann gibt es eben noch die Band selbst. Wer nachts nicht andauernd den stampfenden Beat im Kopf hat, war schlicht nicht anwesend.
Setlist: Klavier / Mein Herz brennt / Engel / Du hast / Ohne dich / Frühling in Paris / Seemann / Sonne
Um 20:25 Uhr, noch im Hellen, wird der Jubel laut: Rammstein, in persona, die Echten!, betreten die Bühne. Wieso man sich allerdings für „Was ich liebe“ als Opener entschieden hat, einer sich nur langsam aufbauenden Mid-Tempo-Nummer, bleibt ein bereits im Vorfeld vieldiskutiertes Geheimnis. Wieso nicht die legendären Eröffner von „Rammlied“ bis „Wollt ihr das Bett in Flammen sehen?“ nutzen? Aber spätestens beim folgenden „Links 2-3-4“ stampfen Drums und Gitarre aus den Boxen und die Menge headbangt fröhlich vor sich hin. Das kann sie auch bestens, denn der Sound ist knallhart, irrsinnig laut und, wie für eine Band dieser Richtung zu erwarten, gut und gerne ein Stückchen lauter als alle anderen. Besonders beim späteren Best-Of-Programm wird die Gitarre gefühlt noch einmal etwas hochgedreht. Aber wenn nicht bei Rammstein, wo dann?
Zehn Jahre hat es gedauert, ein neues Album auf den Markt zu bringen – am 17. Mai ist es mit dem selbstbetitelten Album dann doch geschehen. Die Lieder haben wir uns bereits HIER angehört, aber wir klingt das denn nun live? Ziemlich gut! Natürlich zündet nicht jede Nummer und Lieder wie „Zeig dich“ und auch „Puppe“, trotz spannender Show um einen brennenden Kinderwagen, bleiben hinter den Studio-Versionen zurück, aber insbesondere im Zusammenspiel mit den Klassikern und wenigen Raritäten wie „Heirate mich“ entsteht eine angenehme Setlist, die die Spannung tatsächlich über zwei Stunden halten kann und maximal in der Zugabe letzte Ermüdungserscheinungen beschert – was wohl eher an der Rammstein-Dauerbeschallung ab Einlass liegen mag als am Konzert selbst.
Frontmann Till Lindemann singt sich überraschend stimmstark durch die Diskografie, die Band wirkt motiviert und mit ordentlich Spaß bei der Sache. Ohne eine richtige Leinwand ist es allerdings auch kaum möglich, die kleinen Gestalten, wie sie es im Olympiastadion fast automatisch werden, so recht zu sehen. Egal, letztendlich geht es ja um die Musik – und die Show! Die ist bei den Berlinern seit Jahrzehnten ein Markenzeichen und enttäuscht auch heute nicht. Zwar wird nicht bei jedem Song eine Pyro- und Feuer-Tirade gezündet, wie von manchen Fans erhofft, aber allein der beachtliche Bühnenaufbau und die darin inkludierte Lichtshow ist jeden Cent wert. Zu später Stunde werden für „Du hast“ und „Sonne“ alle (Pyro-)Register gezogen, bevor man sich auf die B-Stage begibt, um nur zu Klavier und mit der gesamten Fanschar „Engel“ zu singen. Die folgende Schlauchboot-Fahrt und die vielen Gimmicks von der Schaum spritzenden Penis-Kanone bei „Pussy“ bis zum Feuerwerks-Gewitter bei „Ich will“ sind dann zwar allesamt viele tolle kleine Momente, aber den großen Moment auf der B-Stage toppen sie nicht mehr. Die eindrucksvollsten Momente entstehen eben immer noch ohne große Show.
Setlist: Was ich liebe / Links 2-3-4 / Tattoo / Sehnsucht / Zeig dich / Mein Herz brennt / Puppe / Heirate mich / Diamant / Deutschland / Radio / Mein Teil / Du hast / Sonne / Engel / Ausländer / Du riechst so gut / Pussy – Zugaben: Ohne dich / Ich will
Bericht: Ludwig Stadler