Vor die beiden Klavierkonzerte von Frédéric Chopin setzt sich noch Franz Schubert mit seiner Ouvertüre „im italienischen Stil“ D 591. Dieses von Gioachino Rossini und seinen Belcanto-Opern inspirierte Stück wird vom Mozarteumorchester Salzburg und seinem Chefdirigenten Riccardo Minasi sehr leichtfüßig und tänzerisch interpretiert, mit feinen Akzenten und schöner Herausarbeitung der Bläserstimmen. Diese Detailtreue und Musikalität bilden die besten Voraussetzungen für das darauffolgende Programm dieses Nachmittags am 7. April 2019 in der Münchner Philharmonie.
Bereits bevor er zu spielen beginnt, wendet sich Solist Rafal Blechacz persönlich an das Publikum: bereits vor einigen Jahren habe er genau in dieser Konstellation, mit dem Mozarteumorchester Salzburg und Riccardo Minasi, Chopins 1. Klavierkonzert in München aufgeführt. Seine Interpretation habe sich aber in der Zwischenzeit geändert, und er freue sich auf die Aufführung der beiden Konzerte seines Landsmannes. Chronologisch korrekt beginnt er jedoch mit dem 2. Klavierkonzert, das eigentlich vor dem 1. entstand. Blechacz ist derzeit mit Minasi und dem Mozarteumorchester Salzburg auf Tour – und sie haben das Zusammenspiel perfektioniert. Die Balance zwischen Tutti und Soloinstrument ist wunderbar harmonisch. Ein Großteil der musikalischen Kommunikation läuft über Augenkontakt, mehr ist nicht nötig, um ein hochromantisches Klanggemälde zu schaffen, aus dem das Klavier besonders mit strahlenden Kantilenen hervorsticht. Ein Steinway klingt ja gerne einmal etwas hart in den oberen Registern, gerade wenn man mit zu viel Kraft herangeht. Doch Blechacz hat ein bewundernswertes Gefühl für die schmuckvollen, chopintypischen Klanggirlanden und verleiht ihnen eine Brillanz mit trotzdem gesanglicher Weichheit. Sein Spiel ist nicht kitschig, sondern nur authentisch.
Der zweite Satz wird fast zum Weinen schön. Ganz transparent legt sich die Solostimme über den Klangteppich der Streicher und mit ihren improvisatorisch anmutenden Verzierungen und Ornamenten entsteht eine meditative Stimmung, die jäh durchschnitten wird von dem dramatischen Mittelteil des Satzes, in dem sich eine dunkle Tiefgründigkeit ausbreitet. Diesen Stimmungswechsel führen Blechacz und das Orchester eindrucksvoll und kohärent aus.
Das den dritten Satz eröffnende tänzerische Thema gestaltet Blechacz bewusst und präsent aus. Seine Perfektion der vielen Läufe der Solostimme ist unfassbar. Selten kommt es vor, dass er fast zu zart spielt und die Melodien sich nicht über die Orchesterbegleitung hinwegsetzen können. Seine vollkommene Technik überragt das ganze Konzert, hinzu kommt die natürliche Musikalität, die jede einzelne Phrase so wertvoll macht.
Ebenso ist das Mozarteumorchester in Hochform. Auch wenn die Orchestrierung der beiden Klavierkonzerte oft als mager und künstlerisch minderwertig bezeichnet wird, der Vorwurf der Hybris des Klaviers fast immer im Raum steht – unter der energetischen Leitung von Riccardo Minasi avanciert der Orchesterpart zu einem fast ebenbürtigen Teil der Partitur. An den überleitenden Tuttistellen explodiert das Orchester förmlich, die Spannung und Vitalität des Klangkörpers ist begeisternd. Wenn die Bläser die Klavierstimme untermalen, dann stets so melodiös und sensibel, dass sie Blechacz‘ Interpretation komplementieren und komplettieren.
Das 1. Klavierkonzert, das nach der Pause folgt, kommt in äußerst temperamentvollem und dramatischen Gewand. Das Forte, das Blechacz hier auspackt, hätte das vorher gespielte Konzert an einigen Stellen ruhig ebenso vertragen. Das Mozarteumorchester mit gerade einmal acht Ersten Geigen schafft mehr Klangvolumen und Power als es manche groß besetzte Orchester tun. Besondere Raffinesse erhält der erste Satz dadurch, dass Minasi die Streicherbegleitung zu Beginn einer Wiederholung fast unhörbar leise hält, sodass der Fokus automatisch auf das Klavier übergeht. Im zweiten Satz wählt Rafal Blechacz ein (fast zu) freies und andächtiges Tempo. Toll sind wiederum die solistischen Passagen, in denen er teilweise schimmernde Glockenklänge entstehen lässt, bevor das Orchester wieder behutsam einsetzt.
Das Finale des 1. Konzerts wird aber der Höhepunkt des Nachmittags. Nichts als pure Spielfreude spricht aus der so beschwingten und spritzigen Interpretation dieses Satzes. Wobei er keineswegs ins Lächerliche gezogen wird! Blechacz‘ schillernde Phrasierung der zierlichen, volksmusikinspirierten Melodie des ersten Themas wirkt wie eine Unterstreichung seines inoffiziellen Titels des Chopin-Experten.
Als Zugabe spielt Rafal Blechacz ebenso Chopin – natürlich! –, und zwar den Walzer opus 64 Nr. 2. Diesen setzt er nicht so pathetisch an, wie er häufig gespielt wird, sondern eher humoristisch mit vielen kleinen Variationen im Pedaleinsatz und der Akzentuierung der linken Hand. Auf stürmischen Beifall hin folgt auch noch eine reine Orchesterzugabe – das Finale aus Wolfgang Amadeus Mozarts „Haffner“-Sinfonie, das mit ebenso viel Vitalität und Rhythmus dargeboten wird wie die vorangegangenen Stücke eines durchweg begeisternden Konzerts.
Kritik: Bea Mayer