Sie sind die Durchstarter der letzten beiden Jahre: Provinz. Die Pandemie konnte höchstens ihre Album-Tour aufhalten, nicht aber den Durchbruch des Vierergespanns aus Vogt bei Ravensburg. Im vergangenen Sommer erschien ihr Debüt-Album „Wir bauten uns Amerika“, kurz darauf folgte die coronakonforme Sommer-Tour. Nun, dementsprechend mit guter Zeitnutzung, erschein im Juni der neueste Streich der Band: „Zu spät, um umzukehren“ titelt sich die EP, die nicht nur das Motto der Gruppe in gewisser Weise darstellt, sondern auch fünf grandiose Songs beinhaltet. Die wollen live vorgestellt werden. Dementsprechend statten sie am 16. August 2021 der Sommerbühne im Olympiastadion einen Besuch ab. Die Ränge sind voll und die zugelassenen 1.500 Personen dürften annähernd erreicht sein.
Als Vorband versucht sich Ennio ab 19:45 Uhr an guten Vibes mit deutschen Texten. Vergangenes Jahr spielte er bereits in Dachau als Provinz-Vorband, damals noch auf Englisch und unter dem Namen EmotionalClub. Nun alles auf Null, ein Neuanfang – und der kommt gut an. Zwar büßt der Sänger an Eigenständigkeit ein und muss sich mit dem Label „Klingt wie Henning May“ herumschlagen, aber das ist ja nun auch nicht das Schlechteste. Die Musik wirkt wie ein wilder Mix dessen, was gerade angesagt ist: Juju, RIN und ein wenig Faber. Das klappt, das wird bejubelt und ist mit etwas über 20 Minuten auch äußerst kurzweilig.
Um 20:30 Uhr betreten dann aber Provinz unter großem Jubel die Bühne – und sie erwidern es gleich mit dem fetzigen Doppelstart aus „Hymne gegen euch“ und „Verlier dich“. Der Sound ist laut, klar und extrem definiert, jedes Bass-Solo wummert über die Südkurve des Stadions. Ein Sound, wie ihn der tanzbare, sehr sprunghafte Klang der Band mehr als verdient hat. Besonders gut hörbar: die Stimme von Frontmann Vincent, der trotz mehrerer Konzerte an aufeinanderfolgenden Tagen glasklar und tonsicher performt. Spielerisch sind sie mit sowieso bereits vielen Jahren Erfahrungen, u.a. in der Vorgänger-Gruppe Twice, bestens aufeinander eingespielt, aber auch auf den großen Bühnen finden sie sich mittlerweile zurecht – und fühlen sich sichtbar wohl. „Ich komme aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus“, sagt Keyboarder Robin freudestrahlend.
Die Fans wohl ebenso, denn selbst stehend unter der Maske sind die Glücksgefühle spürbar. Provinz kürzen die Ansage ab und konzentrieren sich auf das, was sie sowieso am besten können: musizieren. Ganze 17 Songs landen so in gerade einmal 80 Minuten Spielzeit. Mit dabei natürlich: die Songs aus der neuen EP, die auch äußerst gut ankommen – sei es das tanzbare „Zimmer“, welches bereits im Vorjahr im Programm war, oder die textlich und musikalisch großartige Ballade „22 Jahre“, die das Olympiastadion in eine fast schon meditative Stimmung versetzt. Die Songs aus der Anfangszeit, wie „Neonlicht“, stehen genauso auf dem Plan wie die Singles des Albums, u.a. „Diego Maradona“ oder „Wenn die Party vorbei ist“ im Zugabenblock. Dass die Jungs nicht müde werden, neue Musik zu kreieren, beweisen auch gleich mit zwei ganz frischen Titeln: das etwas rockigere „Verrate deine Freunde“ und die ruhige, emotionale Solo-Nummer „Zwei Menschen“, die als erste Zugabe langsam das Ende des Abends einläutet. München scheint mehr als zufrieden mit dem Gastspiel der Schwaben. Wie gut, dass der Nachschub nicht lange auf sich warten lässt: bis April 2022 kommen Provinz ganze viermal (!) in die bayerische Landeshauptstadt. Karten gibt es aber noch für den 15. Februar in der TonHalle.
Setlist: Hymne gegen euch / Verlier Dich / Neonlicht / Du wirst schon sehen / Tanz für mich / Diego Maradona / 22 Jahre / Augen sind rot / Ich will dich wiedersehen / Nur bei Dir / Verrate deine Freunde / Was uns high macht / Zimmer / Großstadt – Zugaben: Zwei Menschen / Wenn die Party vorbei ist / Reicht dir das
Bericht: Ludwig Stadler