Es ist jedes Mal doch ein kleines Aufsehen, wenn Jonas Kaufmann einen seiner Solo-Abende in der Bayerischen Staatsoper ankündigt, egal ob Konzert oder Liederabend. Dabei ist der Münchner Tenor alles andere als ein seltener Gast im Nationaltheater und spielt auch im Herbst wieder in zwei Opernproduktionen in München. Wegen einer Erkrankung zu Beginn der Spielzeit ist es nun allerdings tatsächlich der erste musikalische Besuch an der Staatsoper während der Intendanz von Serge Dorny. Der ist ordentlich: ausverkauftes Haus, es steht ein Liederabend mit Pianist Helmut Deutsch auf dem Plan. Erst wenige Tage zuvor hat Kaufmann verkündet, seine Corona-Erkrankung einigermaßen hinter sich gebracht zu haben und den Abend spielen zu können – sein Einstieg nach vielen Wochen gesanglicher Abstinenz.
Das Lieder-Programm liest sich reichlich wild durcheinander – die erste Hälfte besteht aus allerlei einzelnen Stücken verschiedener Komponisten, vermeintlich wahllos zusammengewürfelt, der zweite Akt dann ein reiner Liszt-Teil. Auf den zweiten Blick wird klar: Kaufmann singt seine beiden neuesten Lieder-Alben. Den Anfang macht „Selige Stunde“, seine Lieder-Favoriten-Sammlung, die im September 2020 erschien. Relativ ungewöhnlich also der Einstieg mit Beethovens „Adelaide“ und direkt danach Schuberts „Der Musensohn“. Dadurch, dass es nicht block- und konzeptweise dargeboten wird, scheint das Publikum reichlich verwirrt – wann wird eigentlich geklatscht? Die Antwort scheint schnell gefunden: einfach nach jedem Lied. Doch die Puristen stellen sich dagegen und das „Pssst!“ erschlägt den Applaus. Als erfahrender Liedbesucher weiß man: zwischen den Liedern darf nur lautstark gehustet werden, das dafür aber dann bis zur Mitte des Folgeliedes. Irgendwann ist jegliches Klatschen erstickt und damit auch das verschmitzte Lächeln Kaufmanns während des Applaudierens.
So rebellisch der Start, so gesanglich und künstlerisch stark der Weitergang. Helmut Deutsch am Klavier spielt sich offensichtlich erst warm für das Liszt-Gewitter, was in der zweiten Hälfte folgen sollte. Kaufmann brachte erst vergangenen Herbst ein gesamtes Album mit Liedern von Franz Liszt heraus. Zwar war der nie Meister der überragenden Gesangsspuren, dafür aber umso mehr der instrumentalen Ausarbeitung – und Lieder wie „O lieb, solang du lieben kannst“ sind dann doch in der Gesamtkomposition so stark, dass die Applaus-Unruhestifter wieder zu Werke gehen. Kaufmann deutet sofort auf Deutsch – Ehre, wem Ehre gebührt. Doch der Tenor weiß an diesem Abend auch selbst zu glänzen. Seine Stimme scheint auskuriert, nur zu Beginn muss er sich zweimal räuspern, dann tingelt er wieder in den Höhen und Tiefen wie immer zuvor. Natürlich ist ein Liederabend auch ein dankbarer Einstieg nach einer Pause, seine anstehenden Arien-Konzerte dürften da ein komplexeres Unterfangen werden. Doch auch die Intimität will gelernt sein, die klassische Kopfstimme, beispielsweise bei „Die Loreley“, ist nicht die einfachste – aber an diesem Abend sitzt sie.
Der Schlussapplaus ist euphorisch, einzelne stehende Ovationen fügen sich dem hinzu. Kaufmann ist zurück in der Staatsoper, das muss bejubelt werden! Und gekrönt – mit beachtlichen fünf (!) Zugaben. Immer und immer wieder kehren Deutsch und Kaufmann zurück, erst noch mit Liszt „Es muss ein Wunderbares sein“, mittendrin ein humorvolles Intermezzo mit „Nichts“ von Richard Strauss – und spätestens dann, als die Publikumsstimmen überlegen, wie oft man ihn denn noch rausklatschen könne, schließt Brahms „Wiegenlied“ gegen 22 Uhr dann wirklich den Abend ab. Eine wunderbare, zurecht umjubelte Rückkehr.
Kritik: Ludwig Stadler