Zwischen Dichtung und Musik – „Capriccio“ im Prinzregententheater (Kritik)

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Einen der Höhepunkte der diesjährigen Münchner Opernfestspiele bildet Richard Strauss„Capriccio“, welche am 17. Juli 2022 Premiere feierte. Hierfür kamen die Gäste nicht ins Nationaltheater, wie sonst an der Bayerischen Staatsoper üblich, sondern ins Prinzregententheater und entflohen der Hitze in die Kühle des Theatersaales. Da die diesjährigen Opernfestspiele einen besonderen Fokus auf den Münchner Komponisten legen, werden alle vier von ihm komponierten Opern aufgeführt. Capriccio kommt dabei klassisch und zugleich innovativ daher. Doch was bedeutet das?

© Wilfried Hösl

Zum einen denkt man bei Opern an Publikum in teurer Abendgarderobe und an Operndiven mit Brillantencollier auf der Bühne, die sich in den höchsten Tönen überbieten. Zum anderen an verworrene Handlungen mit existenziellen Konflikten, in denen die Protagonisten in minutenlangen Arien über Leid und Schmerz klagen. Capriccio trumpft mit dem besten beider Welten auf. Die Handlung spielt in einem Schloss vor Paris und vereint Eleganz und Klasse mit Inhalt und Kurzweiligkeit. Ende des 18. Jahrhundert, zu der Zeit in der, wie von Strauss selbst beschrieben, die Ideen des Christoph Willibald Gluck an Einfluss gewinnen. Der wollte wieder mehr Reaktion beim Publikum auslösen, es braucht weniger feste Strukturen und mehr Berührung,

So hält sich denn auch Strauss an die Vorgabe. Die Handlung ist gut verständlich und lautet wie folgt: Auf dem Schloss eines gräflichen Geschwisterpaares sind ein Dichter (Vito Priante) und ein Musiker (Pavol Breslik) in die Gräfin (Diana Damrau) vernarrt. Der Graf (Michael Nagy) wiederum hat es auf eine Diva von Schauspielerin (Tanja Ariane Baumgartner) abgesehen und so nimmt die Symbolik ihren Lauf. Eben jene Diva kann man als Symbol für die nicht mehr vorherrschende Kontrolle von Star-Sopranistinnen über die Inszenierung einer Oper sehen. Lange Zeit geben diese die gewünschte Oper nämlich nicht nach den Wünschen der Regisseure zum Besten, sondern erwarteten, dass ihnen die Rollen auf dem Leib geschneidert wurden oder hängen sogar in Eigenregie noch die eine oder andere Kapriole an. Nicht so in dieser Inszenierung. Hier ist Clairon  zwar eine Theaterschönheit, lässt dem theaterbegeisterten Grafen aber seinen Spaß, es mit der Deklamation einmal selbst zu versuchen und ermutigt ihn charmant.

© Wilfried Hösl

Eine weitere symbolische Ebene wird durch den Wettstreit zwischen dem Libretto einer Oper und ihrer Komposition oder zwischen Dichtung und Musik eingebracht. Darüber streiten sich die Künstler und die Gräfin ist sich nicht sicher, zu welchem Mann sie sich hingezogen fühlt. Das Spiel im Spiel – ein Oper, die den vorangegangenen Abend zum Inhalt hat – soll das ganze lösen. Bei ihrer Darbietung der Gräfin merkt man Diana Damrau nicht nur an, wie sie ihren Auftritt genießt, sie hat auch Mut zum Schauspiel und legt viel Emotion in ihren Gesang; mal heiter, dann wieder melancholisch. Was in vielen Opern vorgeworfen wird: Sänger singen ihren Part und stehen sonst steif in opulenten Kostümen und beeindruckenden Kulissen ohne eine Gefühlsregung, gilt hier nicht im Geringsten. Selbst kleinere Parts wie die italienische Sängerin (Deanna Breiwick) und ihr Tenor (Galenao Salas) singen nicht nur, sondern bereichern mit ihrem Spiel den Abend ungemein.

Die Inszenierung von David Marton bringt dabei noch mehr Symbolik. Mit dem Bühnenbild von Christian Friedländer, das eine Bühne mit Unterbau, Zuschauerraum und Logen zeigt, kann das Publikum den ganzen Abend über die selbstreferentiellen Ebenen dieser Oper sinnieren. In der vielfältigen und für das Auge ansprechende Inszenierung merkt man Marton den Einfluss Christoph Marthalers und Frank Castofs an. Denn zum Theatersaal kommt hier einmal ein Vorhang wie aus pinkem Lametta, da eine Reihe Pflanzen, wie in den Gewächshäusern der Adeligen, zum Vorschein. Zudem lässt er einige Bilder aufkommen, die in ihrer Symbolkraft fast Nebenhandlungen gleich kommen; diese scheinen wie Referenzen auf die Entstehungszeit der Oper, kurz vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges. Da werden den drei Tänzerinnen mit einem Lineal die Abstände zwischen Nase und Augen vermessen, da steht eine Familie mit gepackten Koffern bereit zur Flucht nur einen dünnen schimmernden Vorgang vom Prunk der Gräfin entfernt. Eine Referenz auf die heutige Zeit, in der sich die wohlhabenden Münchner*innen an den Opernfestspielen ergötzen, während in Europa der Krieg tobt?

Nach drei Stunden und einem ausführlichen Abschiedsstück, in dem sich die Gräfin entscheidet, sich nicht zu entscheiden, wird das Publikum voller Begeisterung mit viel Stoff zum Nachdenken und der Erinnerung an einen sehr gelungenen Opernabend in den lauen Abend entlassen.

Kritik: Jana Taendler
Besuchte Vorstellung: 20. Juli 2022