Love, Try Not to Let Go – Julia Jacklin im Strom (Bericht)

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Über dem Eingang des Strom hängt eine wunderbare, retro-amerikanisch anmutende Stecktafel, die das tägliche Programm verkündet. Heute lautet »the name on the marquee«: Julia Jacklin. Die australische Indie-Folk-Rock-Pop-Queen ist zurzeit mit ihrem aktuellen Album »PRE PLEASURE« auf Tour und hat gleich zwei Support Acts dabei: Die amerikanische Singer-Songwriterin Erin Rae sowie Jacklins Landsmännin Stella Donnelly.

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Rae, die hierzulande noch deutlich weniger bekannt sein dürfte als in ihrer Heimat, spielt solo, nur mit verstärkter Akustikgitarre; es scheint, als verlören ihre Stücke dadurch ein wenig von der zerstreuten Eleganz, wie sie sie auf ihren Alben zur Schau stellen (jüngst: »Lighten Up«). Dessen ungeachtet hört man Rae gerne zu und spendet ihr großzügig Applaus, als sie sich um 20 Uhr verabschiedet.

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Stella Donelly hat sichtlich schon einige AnhängerInnen im Publikum und wird herzlich begrüßt, als sie und ihre vierköpfige Band ihr Set mit »Lungs« eindrucksvoll eröffnen. Dass es sich hier um eine Truppe professioneller MusikerInnen handelt, wird schnell deutlich, da beinahe jeder Song einen Besetzungswechsel mit sich bringt: (Fast) jede*r darf mal trommeln oder das Keyboard bedienen; dazu gibt es gelegentliche Flügelhorn- und Tanzeinlagen. Im unbestrittenen Zentrum all dieser Beweglichkeit steht aber Donelly selbst, hell strahlend, angestrahlt werdend, von ihren Kolleg*innen, von begeisterten Zuhörer*innen. Der elaborierten musikalischen und paramusikalischen Inszenierung von Witz und Außergewöhnlichkeit werden auf die Dauer aber weder Donellys Songwriting noch ihre Texte so recht gerecht.

Zu »My Heart Will Go On« von Celine Dion tritt schließlich Julia Jacklin nach der Umbaupause auf die Bühne. (Die Musik der Drama-Queen habe ihr beim Schreiben ihres neuen Albums geholfen, so Jacklin.) »Ist sie das schon?«, murmelt es weiter hinten im Publikum. Dion verstummt, Jacklin beginnt. Allein, nur mit E-Gitarre und der eigenen Stimme bewaffnet, stimmt sie das schleppend-schwebende »Comfort« an – und lässt mitten im Song ihre Stimme einfach ausklingen. Macht ein irritiertes Gesicht und sucht mit gerunzelter Stirn etwas in ihrem Kopf. Vergeblich. Das wohlwollende, gut gelaunte Publikum ruft ihr Textpassagen zu. Sie überlegt. »Ne, das hab ich doch gerade schon gesungen.« Denkt weiter nach. Irgendwann beschließt sie: »Ach, dann sing ich das eben nochmal.« Ihre unkomplizierte Ruhe macht die Person(a) Jacklin auf Anhieb sympathisch. Energische (schließende) Handbewegung: »Okay. Back to sad.« Immerhin muss hier ein melancholischer Song zum Ende gebracht werden. Auch den folgenden Song beginnt sie allein, doch alsbald kommt ihre Band hinzu, bezieht still hinter ihr Stellung und setzt mit ein: ein voller, hervorragend abgemischter Sound.

Die Truppe, die nun auf der Bühne steht, bildet einen deutlichen Kontrast zur aufgeweckten, sendungsbewussten Vorband: Mimi Gilbert (Bass), Laurie Torres (Schlagzeug), Will Kidman (Gitarre) und Jennifer Aslett (Keyboard/Gitarre) musizieren ruhig und hingegeben, auf sich selbst und die Instrumente konzentriert. Allein, wenn es ein Problem mit eingezwickten Haaren beim Gitarrenwechsel gibt, treten Jacklins Bandkolleg*innen sofort aktiv in Erscheinung; »everything is going just great«, kommentiert Jacklin die Verwicklungen trocken und selbstironisch. Diese allgemeine Unaufgeregtheit und gleichzeitige Versunkenheit in die Musik ist eine äußerst angenehme Erscheinung.

Im Kern der Songs wirkt Jacklins ruhige und doch starke, dringliche Stimme, um deren Melodie die Beiträge der restlichen Band sich wie eine vielschichtige Blüte legen. Auf ihrem neuen Album arbeitet Jacklin mit Instrumentierungen, die über das herkömmliche Indie-Rock-Schema deutlich hinausweisen; ihre Fähigkeit, durch Reduktion und Wiederholung zu einem fesselnden und lang nachwirkenden Ausdruck zu finden, beweist das hypnotische »Body« mit seinem dunklen Bass-getragenen Rhythmus: nach wie vor einer der eindringlichsten Songs Jacklins, der tagelang im Kopf bleibt.

Aber aus dieser unbestimmt gespannten Grundstimmung lassen sich auch klangliche Eruptionen herausschlagen, wie »Love, try not to let go« beweist. Es startet zart über einer Klaviermelodie, nur begleitet von einer zitternden E-Gitarre, entfaltet sich zweistimmig, hämmert dann in einem abrupten Crescendo das „TRY NOT TO LET GO” des Refrains ein. In ähnlicher Weise wirkt das schlagzeug-getriebene »Lydia Wears a Cross«, das über den verwirrenden Umgang mit Religiosität in Jacklins Kindheit und Jugend reflektiert. Um die Folkballade auf einen E-Drum-Rhythmus schlingt sich ein hypnotisch-nostalgisches Gitarren-Element, im Refrain gesellen sich die restlichen Instrumente dazu.

Viel zu schnell endet der Abend, als Jacklin die Uhrzeit im Publikum erfragt: Nur noch 10 Minuten, bevor im Strom um 22:30 Uhr die Amps ausgeschaltet werden müssen. »Two more songs«, und dann verlassen die Musiker*innen schon wieder die Bühne. Schade, die angeregte Publikumsgesellschaft hätte sicher gerne noch länger in heimeliger Stimmung im dunklen und warmen Strom mit Jacklin und ihrer Band ausgeharrt.

Setlist: Comfort / Be Careful With Yourself / To Perth, Before the Border Closes / Love, Try Not to Let Go / Pool Party / Good Guy / Moviegoer / Body / Lydia Wears a Cross / Ignore Tenderness / Motherland / Don’t Know How to Keep Loving You / I Was Neon / Head Alone / Pressure To Party

Bericht: Tobias Jehle